Walk away from boredom
Kunst im öffentlichen Raum in München

13. Januar 2021 • Text von

„Gedanken wollen oft – wie Kinder und Hunde -, dass man mit ihnen spazieren geht“ wusste schon Christian Morgenstern. Ein Spaziergang öffnet den Geist und schafft Platz für neue Ideen. Wenn alle Kunstorte geschlossen bleiben, kann man sich an einem sonnigen Wintertag immerhin etwas Kunst im öffentlichen Raum erlaufen. Wir empfehlen ein paar Stationen für eine ausgiebige Lustwandelei.

Cana Bilir-Meier: Düşler Ülkesi, 2020, Landeshauptstadt München, Kulturreferat, Fotos: Cana Bilir-Meier.

Fünf mal fünf Meter misst das Billboard auf dem Lenbachplatz in der Innenstadt. Seit des von Elmgreen & Dragset 2013 kuratierten Projekts „A Space Called Public / Hoffentlich öffentlich“ dient die beidseitig bespielbare Plakatwand als „Kunst-Insel“ im öffentlichen Raum. Die in München und Wien lebende Künstlerin Cana Bilir-Meier bespielt das Display bis Ende Februar mit einer poetischen Intervention, die auf ein tragisches Schicksal verweist und doch Hoffnung gibt. „Ich will leben, wie ich es mir wünsche…Schmerzlos ohne Sorgen“ ist auf der einen Seite zu lesen, ein Zitat aus einem Gedicht der Poetin Semra Ertan, die sich in den 1980er Jahren aus Protest gegen den unmenschlichen Umgang mit Arbeitsmigrant*innen in Deutschland das Leben nahm. Auf der anderen Seite des Billboards sind die türkischen Worte „Düşler Ülkesi“ geschrieben, „Land der Träume“, die sich auf ein von migrantischen Kulturschaffenden organisiertes Kinder- und Jugendtheaterstück beziehen. Zuversicht durch gemeinsamen kulturellen Austausch.

Brigitte Kowanz: Lichtpartitur, 2000, wikimedia.

Ein Stückchen weiter entlang des Altstadtrings findet man eine Installation, in der die Bewegungen und die Dynamik des städtischen Raums aufgegriffen und gespiegelt werden. Wie eine dreidimensionale Filmsequenz wirken die Lichtobjekte von Brigitte Kowanz an der Fassade der Zentrale des Goethe-Instituts am Oskar-von-Miller-Ring. Neonstäbe, die nach einer speziell von der Künstlerin entwickelten „Partitur“ angesteuert werden, erzeugen einen pulsierenden Rhythmus aus bewegten Farben.

Flaka Haliti: I See A Face. Do You See A Face, 2020 (li.); I See A Face. Do You See A Face, 2016 (re.).

Wie die naive Zeichnung eines Kopfes, durch dessen Silhouette  man den Winterhimmel erkennen kann, wirkt die 15 Meter hohe Skulptur von Flaka Haliti, die seit August vor dem Berufsschulzentrum an der Ruppertstraße steht. Aus beschichteten, schwarz lackierten Stahlrohren geformt, wirkt sie zugleich fragil und doch enorm. Wolken und gezeichnete Formen hat Flaka Haliti auch schon in früheren Collagen und Zeichnungen zueinander in Beziehung gebracht, für dieses Projekt im öffentlichen Raum ist sie nun in die dritte Dimension gegangen. Zunächst war die Skulptur bei der Lokalpolitik nicht sonderlich beliebt, dennoch thront sie jetzt am Rande des Schlachthofviertels. Im Mai sprachen wir mit Flaka Haliti über das Verhältnis von Macht und Kontrolle, strukturelle Bedingungen und künstlerisches Material, das selbst performt.

Alicja Kwade: Bavaria, 2020, Landeshauptstadt München, Kulturreferat, Foto: Daniel Bürkner.

Ein bisschen unscheinbar wirkt die Bronzeplastik von Alicja Kwade an der Corneliusbrücke und doch bezieht sie sich auf eine monumentale Skulptur, die München immer noch prägt. Alicja Kwades „Bavaria“ ist keine Kopie der Bronzestatue Ludwig Schwanthalers an Theresienwiese, die Künstlerin hat sie modifiziert, humanisiert und aller Symbole des Sieges und der Macht entkleidet. Auf menschliches Maß geschrumpft wirkt sie nicht heroisch und dominant sondern fast verletzlich. Sie ist keine Göttin mehr, diese „Bavaria“ ist fast eine normale Bürgerin dieser Stadt.

Olafur Eliasson: Umschreibung, 2004, wikimedia.

Nicht weit von der echten „Bavaria“ findet man, versteckt im Hof eines Bürokomplexes, eine imposante skulpturale Arbeit von Olafur Eliasson: Eine endlose Treppe, die wie ein Möbiusband, weder Anfang noch Ende hat. In ihr kann man, ohne die Richtung zu wechseln, von Unten nach Oben und wieder zurück gehen.  Dass die Skulptur im Innenhof der Wirtschaftsprüfer von KPMG an der Ganghoferstraße steht, könnte man auch als dezenten Hinweis auf das karrieristische Auf-und-Ab in der Finanzbranche verstehen.

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