Wie wir zusammenkommen Gruppenausstellung "Vulnerable" bei KOW
20. September 2024 • Text von Katrin Krumm
Mit “Vulnerable” stellt sich KOW mit dessen Programm an seinem neuen Standort an der Kurfürstenstraße vor. Zum fünfzehnjährigen Bestehen feiert es gemeinsam mit seinen repräsentierten Künstler*innen. Geladen sind 28 Positionen, von denen drei Gastpositionen die Stimmen erweitern.
Vorbei an dem langen Schaufenster, das zu einer der Seitenstraßen der Kurfürstenstraße führt, laden Bierbänke zum gemeinsamen Verweilen ein, und ein riesiger Topf steht auf dem Herd. Mit der fortlaufenden Reihe “Cooking with Mama” läutet der irakische Künstler Hiwa K den neuen Standort bei KOW in der Kurfürstenstraße ein. Dieses Mal sind Filmemacher Nabaz Samad und die kurdische Schriftstellerin Khanda Hameed geladen, die um den Kochtopf stehen. Auf Anweisung von Samads Mutter, die per FaceTime auf dem Bildschirm zugeschaltet ist, wechseln Siebe und Zutaten die Hände.
Mit dem Standortwechsel in die Kurfürstenstraße zieht das KOW nicht nur in einen der wichtigen Galerieknotenpunkte Berlins, sondern etabliert sich auch als Institution im Viertel. Während es sich einerseits mit Hiwa Ks “Cooking Occasion” als real erfahrbarer nachbarschaftlicher Willkommensgruß vorstellt, präsentiert es im Inneren der neuen Räumlichkeiten 28 Positionen, die jeweils einen kurzen Einblick in ihre jeweilige Praxis geben – repräsentativ für das sozialpolitische Programm der Galerie.
Ähnlich eng wie die Gäste der Kochaktion im Vorderhof der Galerie auf den Bierbänken sitzen, sind die Arbeiten so nah beieinander, dass sie stellenweise fast ineinander überzugehen scheinen. Der Wunsch nach Zusammenkommen, den Kreis enger zu schnüren, um sich zu schützen – aber auch seine Stimme zu erheben, gehört zu werden und um einen Platz zu kämpfen: Verletzlichkeit kann gleichzeitig laut und leise sein. Sie kann sich im Gemeinschaftlichen ebenso wie im Privaten zeigen und wandelt zwischen zwei Polen.
An der Wandseite, die zum Innenhof zeigt, läuft Hiwa Ks Filmarbeit “Moon Calendar”. Sie zeigt das Red Security Building im Irak, einst ein berüchtigtes Gefängnis, in dem das Regime von Saddam Hussein zwischen 1979 und 1991 politische Gefangene inhaftierte. Seit 2003 befindet sich dort ein Museum, das die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Im Film betritt der Künstler die historischen Räume. Nach einiger Zeit fängt er an, im Takt seines Herzschlags zu steppen, den er durch ein Stethoskop vernimmt – während seine Bewegungen in dem Raum widerklingen, der einst Schauplatz von Folter und Hinrichtungen war.
Die Arbeiten in “Vulnerable” offenbaren persönliche, soziale und politische Missstände, sprechen Staatsgewalt und Unterdrückung, Geschlechterrollen und Diskriminierung an. Immer wieder zeigen sie die kunstschaffende Person als politisches und soziales Wesen und thematisieren auch die Umstände der Kunstproduktion.
In “A Horse is not a Metaphor” zeigt die Performancekünstlerin und Filmemacherin Barbara Hammer private Szenen aus ihrer Krankheitsgeschichte. Als die Künstlerin an Krebs erkrankte, filmte ihre Partnerin sie während der Krankenhausaufenthalte und Behandlungen. Die Szenen werden immer wieder mit verlangsamten Aufnahmen von Pferden überblendet, deren kräftige Bewegungen im Kontrast zu Hammers von der Krankheit geschwächtem Körper stehen. Schonungslos lässt die Künstlerin die Betrachtenden bis in die Zellen ihres Körpers blicken. So sind direkt neben ihrer Filmarbeit zwei Abbildungen platziert, die Röntgenbilder zeigen, die von Hammer angefertigt wurden.
Der eingeschränkte, verletzbare Körper ist ein wiederkehrendes Motiv in der Ausstellung. So auch in den Werken von Hudinilson Jr. Der 2013 verstorbene brasilianische Künstler wuchs in einem repressiven Brasilien der 1970er Jahre auf. Als junger, queerer Künstler sah er sich gegenüber einem System, in welchem freie Meinungsäußerung und Kunstfreiheit der Zensur und Unterdrückung wich. Während er seiner Zeit im Untergrund das Nachtleben São Paulos lebte und sich gezwungenermaßen bedeckt hielt, ballen sich in seinen Arbeiten provokative, explizite Darstellungen des männlichen Körpers.
Hudinilson Jr.s Arbeit “Untitled” zeigt ein aufgeladenes Objekt seiner Zeit. Das Unwissen um die Herkunft der Männerunterhose kollidiert mit einer suggestiven Ahnung: sichtlich benutzt, impliziter Hautkontakt, die Anonymität einer fremden Person. Der Mittelpunkt der Arbeit zeigt zudem in den vermeintlichen Schritt. Als Relikt ihrer Zeit hält sie das Begehren fest, ist aber gleichzeitig Dokument der repressiven Staatsgewalt.
Die Positionen und Stimmen in “Vulnerable” stehen nicht nur für sich, sondern beziehen auch ihre Umgebung und anknüpfenden Geschichten mit ein: Die Künstler*innen der CATPC, der “Congolese Plantation Workers Art League”, aus der Demokratischen Republik Kongo bearbeiten in ihren Werken die kolonialen Traumata und die über Generationen erfahrene Gewalt. Während ihre in der Ausstellung gezeigte Wandskulptur von der Geschichte des ersten Präsidenten der unabhängigen Republik Kongo erzählt, verhandeln sie in ihrer Praxis die Ausbeutungsgeschichte von Plantagenarbeiter*innen.
Aus erlebter Verletzlichkeit folgt Verantwortung füreinander zu übernehmen, mit Blick in eine faire Zukunft. So schafft das Künstler*innenkollektiv eine Praxis, die fördert: Mit ihren Kakaoskulpturen, die in europäischen Kunstgalerien verkauft werden, ermöglichten sie den Arbeiter*innen ein besseres Einkommen.
WANN: Die Ausstellung “VUL|NE|RA|BLE” läuft bis Samstag, den 16. November.
WO: KOW, Kurfürstenstraße 145, 10785 Berlin.