Von Urzeitkrebsen und DADA-Dandies

21. Februar 2016 • Text von

Das Leben ist zu kurz für langweilige Ausstellungen – wie einfach alles sein kann und doch irgendwie komplex, lernen wir bei „from sperm to urn“ von Jonas Tröger und eine Brise Humor holen wir uns bei der Gelegenheit im DADA-Circus von Tal R ab.

Am Donnerstag, den 4. Februar eröffnete das Zumikon wie gewohnt eine Doppelausstellung und wir waren dabei. Diesmal durfte der dänische Tal R mit seiner Künstler-Verleger-Crew dem Dandy-Roman „Flametti“ im Studio des Zumikon ein Denkmal setzen, während Jonas Tröger, Meisterschüler bei Michael Hakimi an der Kunstakademie Nürnberg, die Lounge von kleinen „Sea-Donkeys“ bevölkern ließ – einst passionierte YPS-Leser dürften aufhorchen.

Flamingo Flametti von Tal R

Tal R, Flamingo Flametti, Foto: Harpune Wien

Zunächst referierte Axel Heil, Künstlerkollege Tal Rs und Professor für „experimentelle Transfertechniken“ aus Karlsruhe, pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum über die Anfänge des Dadaismus rund um Hugo Ball, das Cabaret Voltaire und die Literaten-Muße Emmy Hennings; danach bereicherte Sebastian Tröger, ebenfalls Künstler und Bruder des ausstellenden Jonas Tröger, die Anwesenden mit einer Einschätzung der Situation aus der Sicht eines bekannten Wiener Psychoanalytikers. Überhaupt versprühte dieser Abend irgendwie viel Wiener Schmäh. Da fügte sich auch gut ins Gesamtbild, dass Isi Kunath, die neue Künstler-Gastronomin des Zumikon ihre „Speisekammer mit Garten“ mit der Anmerkung eröffnete, sie sei ein rustikaler Typ und hätte schon im zarten Alter von zehn Jahren ihr erstes Huhn geschlachtet. Aber keine Angst, so blutrünstig ging es gar nicht zu, das Häppchen-Buffett war jedenfalls vorzüglich. Auch kulinarisch bleibt das Zumikon also ein Anziehungsort.

Flamingo Flametti von Tal R

Flamingo Flametti, im Vordergrund: Holzschnitt-Skulptur von Josef Zekoff, dahinter: Wand mit Originalen aus der Dada Zeit von Axel Heil, Foto: Harpune Wien

Man hatte nun die Wahl: Entweder man drängte sich zuerst in Tal Rs Wunderkammer an den Spaßautomaten entlang, die das schlauchartige Studio des Zumikons fast gänzlich ausfüllen, oder man begab sich mit Jonas Tröger in der Lounge des Zumikon auf evolutionäre Talfahrt. Wir starteten mit dem Studio: Hier wähnten wir uns im Requisiten-Lager des Cabaret Voltaire – eröffnet wurde das Hinterzimmer-Varieté von einer Wall of Fame des Dadaismus. Das von Harpune Wien verlegte Künstler-Buch Tal Rs zu dem Hugo Ball-Roman „Flametti“ war hier Stichwortgeber. Der ferne Sound einer sanften Spielorgel im Hintergrund verlieh dem Arrangement die nötige schaustellerische Klangwürze. Vielleicht hätten wir uns hier sogar noch etwas mehr Nonsense und Wortwitz gewünscht. Kein schlechter Einstieg, aber man hat den Eindruck als stünde man, nach Betreten über den Hintereingang, im Backstage-Bereich des Dadaismus, so dass man nicht so recht mitkriegt was auf der Bühne so los ist. Der performative Aspekt, der bis heute Kabarettisten wie bildende Künstler weltweit inspiriert, kommt dabei etwas zu kurz.

Jonas Tröger, from sperm to urn, Foto: Jonas Tröger

Jonas Tröger, Ausstellungsansicht: Schöpfungsritus, 2016, Installation, div. Materialien (Wurzelholzfurniere, 3D-Drucke etc.), Maße variabel. Lonely island, 2015, Fotoprint auf Alu Dibond, Elektronen-Mikroskopie-Aufnahme einer abgebrochenen Graphitmine, 120x280cm, Foto: Jonas Tröger

Bei Jonas Trögers Ausstellung „from sperm to urn“ geht es offenbar sehr viel existenzieller zu, doch auch bei Tröger ist alles durchtränkt von einem feinen, ganz eigenen Humor. Die auf dem Flyer angekündigten „Sea Donkeys“, Urzeitkrebse aus der Pulvertüte, durften laut Tröger schon aus urheberrechtlichen Gründen keine „Monkeys“ sein und wenn man Ihren unbeholfenen Schwimmversuchen beiwohne, so der Künstler, wäre es sowieso schlüssig von See-Eseln und nicht -Affen zu sprechen. Doch bevor man diesen im zur Brutstätte umfunktionierten Kellergeschoss des Zumikon-Studios begegnet, passiert man staunend eine überdimensionale Elektronen-Mikroskop-Aufnahme einer Bleistiftspitze, die sich im Bild zu einer monumentalen Felsenlandschaft verwandelt – wie das Meiste hier ein Sinnbild für den künstlerischen, wie biologischen Schöpfungsprozess: Zu uterusartigen Trichtern geformte Künstler-Hände werden in einem futuristischen Möbel-Objekt verwahrt und deklinieren das Material-, Farb- und Formenrepertoire moderner 3D-Drucktechniken durch, was ja eigentlich eine Entkoppelung von Hand und Werk bedeutet. Das simple Zerknüllen eines Papierblattes findet dabei auch nicht mehr manuell statt, sondern wird am Rechner als hochaufwendige Computeranimation simuliert.

Jonas Tröger, Ausstellungsansicht, Scamper & the Donkeys, 2016, Installation, div. Materialien, 120x80x80cm o.T., 2016, Industrielle Siliziumkristalle in grundierter Leinwand, 100x70x12cm, Foto: Jonas Tröger

Jonas Tröger, Ausstellungsansicht: Scamper & the Donkeys, 2016, Installation, div. Materialien, 120x80x80cm o.T., 2016, Industrielle Siliziumkristalle in grundierter Leinwand, 100x70x12cm, Foto: Jonas Tröger

Die Ausstellung selbst, so Alexandra Hojenski im ausliegenden Text, würde hier zum Forschungsgegenstand erklärt. Jedenfalls ist die Lust Trögers am Experiment und an immer neuen Transformationen von Material und Bedeutung gut spürbar. Alle Besucher sind eingeladen zu einer urzeitlichen, lohnenswerten Expedition, irgendwo zwischen Jurassic Park und Psychoanalyse.

WANN: Beide Ausstellungen laufen noch bis zum 2. April 2016. Besuchen darf man sie immer Mittwoch bis Sonntag 9 bis 19 Uhr.

WO: zumikon, Großweidenmühlstraße 21,90419 Nürnberg

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