Vom metaphorischen Gehalt der Seife
Emmanuel Tussore im Gespräch

12. Oktober 2017 • Text von

Für Fotograf und Filmemacher Emmanuel Tussore wurde eine Kernseife aus Aleppo vor neun Monaten zum Ausgangspunkt und Bildträger seiner plastischen Kunst. Nun wird das Projekt in Berlin gezeigt. Wie es zustande kam und welche Symbolik er darin erkannte, hat er uns im Gespräch erzählt.

Emmanuel Tussore, Aleppo Soap, Home, 2017 © Emmanuel Tussore

„I’m not a soap freak“, stellt Emmanuel Tussore mit ernster Miene klar. Doch fällt es schwer, ihm das abzunehmen, wenn man sich in den Räumlichkeiten der Galerie Benhadj&Djilali umsieht. Beim Eintreten sticht bereits der herbe Geruch von Oliven- und Lorbeeröl in die Nase. Der unverkennbare Geruch von Aleppo Seife, der ältesten, aus Syrien importierten Kernseife der Welt. „Ich experimentiere mit der Seife in unterschiedliche Richtungen, weshalb die Ausstellung auch den Titel ‚Study for a Soap’ trägt. Ich sehe sie beinah als Laboratorium für dessen Erkundung. Das Material dient als Ausgangspunkt. Die diversen Kommunikationsträger, die in das Projekt mit einbezogen wurden, passen sich daran an: Skulpturen, Fotografien der Skulpturen, Video- und In-Situ-Installationen – Ich bewege mich vom einen ins nächste Medium und schalte ganz natürlich um.“

Emmanuel Tussore, Aleppo Soap, Home, 2017 © Emmanuel Tussore

In den Räumlichkeiten der Galerie auf der Torstraße zieht der 33-Jährige gewissermaßen eine Zwischenbilanz seines fortwährenden Projektes, das er Anfang des Jahres begann. Seit neun Monaten schnitzt er unerbittlich aus den Seifenblöcken architektonische Ruinen, die an die Trümmer ihres Herkunftsortes erinnern sollen. Instabil wie die politische Situation vor Ort, flüchtig und fragil wie die Hoffnung auf Frieden. Das Thema Krieg und Zerstörung wird hier auf sehr behutsame, sensible und ungewöhnliche Art und Weise angegangen. Hier wird man nicht mit gewaltsamem Bildmaterial verstört, keine politische Haltung wird einem entgegengeschleudert. Tussore weiß selbst, sich das als privilegierter Monegasse mit amerikanischem Pass nicht anzumaßen. Er erkennt seine Position als Außenstehender an, hält die Distanz zu der Thematik aus. Und setzt sich auf handwerklicher Ebene mit der Verwahrlosung und Zerrüttung durch Krieg auseinander.

Emmanuel Tussore, Aleppo Soap, Walls, 2017 © Emmanuel Tussore

„Ich habe bei den Seifen einfach und ganz natürlich drauf losgegraben, ich tauche richtig ein und auf einmal habe ich ein Haus mit eigener Persönlichkeit in den Händen. Doch während des Schnitzprozesses lebe ich regelrecht in diesen Gebäuden und schweife durch dessen Räume.“ Der gelernte Fotograf hat die Seifen, bevor er von dem größten Seifenimporteur Frankreichs gesponsert wurde, zum persönlichen Gebrauch im orientalischen Supermarkt um die Ecke seiner Wohnung in Paris gekauft. Über die Jahre fiel ihm auf, dass sich das eingestampfte Erstellungsdatum nicht mehr änderte: 2012. „Das war wohl der letzte Bestand, der nach Europa exportiert wurde, im Anfangsstadium des Krieges. Mit jedem Jahr erschienen mir die Blöcke kostbarer und besonderer.“ Und so begann er, dem Objekt metaphorische Eigenschaften zuzusprechen. „Der Gebrauch von Seife ist eine sehr zivilisierte und bewusste Geste. Nun wäschst du dich mit etwas, das physisch aus einer Region kommt, in der andere Körper leiden, sterben, unter Asche und Trümmern liegen. Aus westlicher Perspektive ist Krieg noch immer etwas Abstraktes. Doch hat das Material in seiner Gegenständlichkeit und Präsenz mich aus einer individualistischen Perspektive in die Thematik eingeführt. Es legt ein physisches Zeugnis der Entwicklungen in Syrien ab. Dieser kleine Würfel hat so viel zu sagen.“

Emmanuel Tussore, Aleppo Soap, Installation view, 2017 © Emmanuel Tussore

Auch kann dieser Würfel als Backstein fungieren, wie Tussore in seiner ortsspezifischen Installation beweist. Eine zweite Wand zieht sich quer durch den Raum, wirkt beengend, erzeugt das Gefühl, sich innerhalb eines instabilen Hauses zu befinden. Doch wird nicht eindeutig klar, ob es sich dabei um ein halb eingestürztes oder nicht fertiggestelltes Gebäude handelt. Und dieser Zwiespalt ist wichtig und gewollt. Er wirft ein Licht auf die innere Zerrissenheit der unzähligen Geflüchteten, die gleichermaßen den Abschied des Unwiderruflichen wie die Hürden des Neubeginns zu bewältigen haben. „Metaphorik zu lenken und in eine plastische Form zu bringen, ist die größte Herausforderung und Errungenschaft für mich als Künstler“, merkt er hierzu an. Dies gelingt auch in der Videoinstallation die quasi innerhalb der Ziegelmauer platziert ist. Hier liegt eine seiner Seifenruinen auf einer Drehscheibe, die an der Spitze von acht aufeinandergestapelten Fernsehern befestigt ist. Der Seifenblock wird ringsum von übermächtig wirkenden Überwachungskameras gefilmt, deren Aufnahmen auf den Bildschirmen wiedergegeben werden. Die Aussage ist deutlich: „Das Werk spielt nicht nur mit Kriegs- und Drohnensymbolik und verwendet dabei die Bildsprache von Überwachung und Kontrolle, auch repräsentiert es eine weitere Architektur: den Wolkenkratzer, ein tiefgreifendes Symbol für westliche Zivilisation. Er befindet sich in einem starken Kontrast mit den Seifenziegeln, doch ist diese Nähe auch gleichzeitig stimmig.“ Auch an dieser Stelle sagt er nicht zu viel, er vermittelt keinen Standpunkt. Er spricht mit Bildern, liefert Anreize, fertig denken muss der einzelne Besucher.

WANN: Die Ausstellung eröffnet heute, am 12. Oktober, um 18 Uhr und ist bis zum 23. November zu sehen.
WO: Benhadj&Djilali, Torstraße 170, 10115 Berlin.

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