VR still in love Aktuelle Kunst, die durch, in oder mit Virtual Reality erfahrbar ist
4. Juni 2021 • Text von Julia Meyer-Brehm
VR-Kunst sieht immer gleich aus? Absolut nicht: Von Erinnerungskultur über Zukunftsvisionen und Fragen der Körperlichkeit bis hin zu Geschöpfen aus der Tierwelt ist bei den folgenden Projekten alles dabei. Die Kunstwerke sind zuhause, im Stadtraum oder in Ausstellungen erlebbar. Eine Liebeserklärung an die Vielseitigkeit von Virtual Reality.
Ob denn der Hype um Virtual-Reality-Kunst schon vorbei sei, fragt ihr? Wir antworten: Welcher Hype? Denn was sich oft als kurzfristiger Trend tarnt, birgt spannende Möglichkeiten für die Zukunft der Kunst: Wenn Künstler*innen mit Virtual Reality experimentieren, geht es eben nicht nur darum, Altbekanntes zu digitalisieren, sondern vor allem darum, neue und ästhetisch ansprechende Narrative zu kreieren, die der Vermittlung und dem Genießen von Kunst innovative Wege ebnen. Dass VR also kein Hype sondern ein spannender Zweig der zeitgenössischen Kunst ist, beweisen diese aktuellen Projekte:
VRHAM! Virtual Reality & Arts Festival
Sieht so das Festival der Zukunft das? Das VRHAM! Virtual Reality & Arts Festival findet in diesem Jahr als hybrides Format statt. Vom 4. bis 12. Juni werden die neuesten Virtual- und Augmented-Reality-Kunstwerke gezeigt – vor Ort im Hamburger Oberhafenquartier und online in der von INVR.SPACE kreierten virtuellen Venue VRHAM! VIRTUAL. Insgesamt sind 18 Arbeiten aus 15 Ländern für die VREXHIBITION, das VR CINEMA und die IMMERSIVE INSTALLATIONS ausgewählt worden. Die Arbeiten beschäftigen sich mit Naturerfahrungen, Zukunftsvisionen oder unserer Erinnerungskultur. Vor Ort könnt ihr die Ausstellung mit individuellem Zeitslot besuchen. An den begleitenden Panels, Keynotes und Artist Talks lässt es sich aber auch online, mit oder ohne VR-Brille, teilnehmen. Und auch die Kunstwerke können zuhause bestaunt werden: Das nötige Equipment kann bei VRHAM! ausgeliehen und im Festivalzeitraum abgeholt werden. Zusätzlich ist VRHAM! im Hamburger Stadtraum in Form einer Plakat- und Werbeaktion erlebbar. Per QR-Code können Hamburger*innen bereits vor Festivalbeginn in virtuelle Welten eintauchen. Also Augen auf beim Fischbrötchenkauf!
Dieser Absatz entstand in freundlicher Zusammenarbeit mit dem VRHAM! Virtual Reality & Arts Festival.
„In VR we trust“ von nextmuseum.io
Eine echte Vertrauensübung hat die Ausstellung „In VR we trust“ bestanden: Ursprünglich war die Ausrichtung der Präsentation im Düsseldorfer NRW Forum und in der Nudelfabrik in Zeitz geplant. Aufgrund der Pandemie wurde die Show, die anhand von vier kritischen Positionen den aktuellen Stand und zukünftigen Wert von Virtual Reality reflektiert, dann jedoch in selbige verlegt. Die rein digitale Ausstellung zeigt Arbeiten von Dani Ploeger, Elena Romenkova, Matias Brunacci und Robin Kötzle. Letzterer thematisiert mit seiner VR-Arbeit “Chinesischer Pavillon” koloniale Fiktionen und Aneignungsstrategien am Beispiel des Chinesischen Pavillons in der Parkanlage von Schloss Pillnitz bei Dresden. Die Ausstellung, die von der Plattform nextmuseum.io initiiert wurde, ist noch auf unbestimmte Zeit online abrufbar. Besonders schön: Auf der Website können kostenlos limitierte Cardboards bestellt werden, mit denen dann im eigenen Zuhause Kunst erlebt werden kann. Jetzt heißt es also Popcorn kaufen und Licht dimmen – dem VR-Erlebnis auf der heimischen Couch steht nichts mehr im Weg!
„Resonanz der Realitäten“ im Haus am Lützowplatz
„Die digitale Kunst wurde sehr lange abgegrenzt von der zeitgenössischen Kunst, auch die Geschichte der digitalen Kunst wurde parallel zur Kunst generell erzählt. Das ändert sich jetzt.“, prophezeit Tina Sauerländer im Interview mit gallerytalk.net. Wer sich davon persönlich überzeugen möchte, hat noch bis 4. Juli die Gelegenheit dazu: Bis dahin ist die von der künstlerischen Leiterin des VR Kunstpreises der DKB in Kooperation mit CAA Berlin kuratierte Ausstellung „Resonanz der Realitäten“ noch im Haus am Lützowplatz zu sehen. Die Schau präsentiert die Kunstwerke der fünf Stipendiat*innen Banz & Bowinkel, Evelyn Bencicova, Patricia Detmering, Armin Keplinger und Lauren Moffatt, die allesamt in eine ortsspezifische Installation eingebettet sind. Aber auch digital kann partizipiert werden: Die präsentierten Werke sowie viele weitere können mit der Radiance VR App erlebt werden. Am 23. Juni finden per Zoom zudem eine Kuratorinnenführung und ein anschließendes Gespräch mit Evelyn Bencicova statt. Die Künstlerin wird über ihre Arbeit „Artificial Tears“ berichten, die die Geschlechtsspezifität von Maschinen und unsere Vorstellung vom männlichen Schöpfer und der weiblichen Maschine thematisiert. Den Link zur Anmeldung findet ihr hier.
„Journey Through A Body“ in der Kunsthalle Düsseldorf
Ist das World Wide Web nun Freund oder Feind? Die Arbeiten der Künstlerin Nicole Ruggiero, die derzeit in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen sind, liefern eine ambivalente Antwort auf diese Frage: „How the Internet changed my Life“ ist ein digitales VR- und AR-Erlebnis und zeigt, wie unterschiedliche Individuen das Internet wahrnehmen und sich damit identifizieren. Mal in Form eines netten Gesprächs mit digitalen Freund*innen, mal als Kampf gegen den eigenen Avatar. Im Mittelpunkt der Gruppenausstellung „Journey Through A Body“, die noch bis 1. August zu sehen ist, steht die Diskussion um festgefügte Geschlechtsidentitäten und Körperverständnisse. Alle Künstler*innen, die an der Ausstellung beteiligt sind, lassen sich locker als Digital Natives bezeichnen und haben den Wechsel ins immaterielle digitale Zeitalter am eigenen Leib miterlebt. Dass sie es auch wunderbar mitgestalten können, beweisen Luki von der Gracht, Tschabalala Self und viele weitere Künstler*innen sehr eindrucksvoll.
Multi-User-Ausstellung „Spatial Affairs. Worlding – A tér világlásas“
Das internationale Forschungsprojekt „BEYOND MATTER“ befasst sich mit Fragen nach kulturellem Erbe und der Entwicklung von Kultur. Dankenswerter Weise spielt auch virtuelle Realität bei dieser Fragestellung eine Rolle, zum Beispiel dann, wenn es um Vermittlung, Kuration oder das Wahrnehmen von Räumen geht. Ein sehr anschaulicher Teil des Projekts ist die Online-Umgebung „Spatial Affairs. Worlding – A tér világlásas“, die vom niederländischen Designstudio The Rodina gestaltet und programmiert und vom ZKM Karlsruhe und EPFL Pavilions co-produziert wurde. In der Multi-User-Ausstellung herrscht auf den ersten Blick Desorientierung: Zu gleichförmigen Klängen schwebt man durch eine Umgebung, die an die unendlichen Weiten des Weltraums erinnert. Der eigene Avatar, mit dem man mit anderen Nutzer*innen interagieren kann, ähnelt einem organisch-bunten Lego-Stein. Ulkig geformte Körper kreuzen den Weg, einige davon lassen sich anklicken und führen zu den einzelnen Projekten der Künstler*innen, darunter Morehshin Allahyari, die Net-Art-Gruppe Jodi und Rafaël Rozendaal. Die Navigation durch die bunten Steine macht Freude, das Erkunden der browserbasierten Projekte ebenso – und der Mute-Knopf hilft, wenn die Eindrücke dann doch zu bunt werden.