Vielfalt aus Stetigkeit
Parallel Vienna

4. Oktober 2017 • Text von

Ende September lud die Kunstmesse PARALLEL VIENNA ein, zeitgenössische Kunst in einem ungewöhnlichen Rahmen zu betrachten.Lynn Kühl berichtet von einer aufregenden Entdeckungstour durch einen Dschungel an künstlerischer Vielfalt.

PARALLEL VIENNA, Foto: Siggi Hofer.

Der Wandel des Inneren des hohen Gebäudes mit 70er Jahre Büro-Charme und dem Schriftzug LOST auf der breiten, grauen Außenwand, fiel beim zweiten Betreten sofort auf. Die Baustelle neben dem großen, mehrstöckigen Haus wirkte wie eine Metapher für das, was sich im Herzen abspielte. Wände wurden weiter bemalt, hier und dort fanden sich KünstlerInnen, die die nachmittägliche Ruhe nutzten, um Räume weiter zu gestalten und an mancher Stelle wurde Kunst so gedruckt, dass sie direkt verkauft werden konnte. Die Fenster waren dreckig, außen an einer Seite flatterte ein Seil, gebunden aus Pullovern und Hosen, fast wie zur spontanen Flucht vorbereitet. Die hellen Neoröhren an der Decke gaben dem Innenraum etwas Normales und der Veranstaltung auf angenehme Weise einen verruchten Charme.

Parallel Vienna.

Zum fünften Mal fand die Parallel Vienna dieses Jahr statt. Diesmal in der alten Sigmund-Freud Universität im dritten Bezirk. Der Anspruch, eine einmalige Plattform zu erschaffen, die junge als auch etablierte Kunst präsentiert, wurde ebenso erfüllt, wie hierbei unterschiedlichsten Initiativen und Kunstpraktiken, einen Raum zu geben. Gefunden werden konnten lokale und internationale KünstlerInnen, Räume kuratiert von Galerien und Kunstschaffenden selbst. Parallel sieht sich selbst als eine Art Hybrid zwischen Kunstmesse, Ausstellung, Galerie und Atelier und möchte ein professionelles Netzwerk für junge Kreative erschaffen.

Begi Guggenheim, © Thomas Eisl.

Überraschungen begegneten einem in jedem Stockwerk. Überall gab es was zu entdecken. Zerstörung war erlaubt und erwünscht. Begi Guggenheim demolierte ein Fenster mit einem überdimensionalen Papierflieger und ließ ihn in das herausgebrochene Fenster gleiten. Das hereinfliegende Geschoss wirkte eher wie eine Waffe, als ein zartes Spielzeug. Guggenheim kreierte durch die Intervention ein Kunstwerk, das perfekt auf den vorhandenen Raum zugeschnitten war und das Gefühl des Ortes unterstrich, in dem man sich befand. 

Roland Murmair, © Thomas Eis.

Auch Roland Maurmair arbeitete mit dem vorhandenen Raum und erschuf eine Intervention, die einen Blick auf das erlaubte, was auf dem zehnstöckigen Gebäude thronen könnte und uns so davor schütze, selbst hinaufzusteigen, um die eigene Neugierde zu stillen. Die Arbeiten des Tiroler Künstlers bestehen häufig aus natürlichem Material wie Holz oder wachsender Kresse und stellen so an mancher Stelle politische oder ökologische Konstrukte in Frage.

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Der Weg führte weiter, vorbei an Räumen in denen blutige Rituale, gefilmt und inszeniert vom Hermann Nitsch Orgien Mysterien Theater, durchgeführt wurden und an welchen, die von Luiza Margan und der Galerie Kunstbuero lediglich durch eine zerbrochene Brille gefüllt wurden, die einem Riesen von der großen Nase gerutscht sein muss. Jakob Neulinger wiederum spielte mit der schlafzimmerartigen Einrichtung des kleinen Raumes und erzeugte durch die Verwendung von unterschiedlichen Materialien wie Glas und Tau, den Eindruck, eine moderne Schiffers Koje betreten zu haben. Es fehlte nur ein windiger Blick in den verregneten Wiener Herbsttag, um das wilde Rauschen der Wellen zu hören, die draußen an die kahlen Wände schlagen.

Marianne Vlaschits, © Thomas Eisl.

Weniger romantisch nutzte Marianne Vlaschits das Bett und gruselte durch die Andeutung eines vergangenen Gemetzels. Das Schwein als Täter, der Täter das Schwein? Oder womöglich nur eine versaute Fressorgie? Je dunkler der Raum eingekleidet, desto düsterer die Gefühle und desto fieser der Blick, das Schwein in seiner Erscheinung. Das Bizarre lehnte sich an andere Arbeiten Vlaschits an, in denen man in manch einer Installationen durch ein skurriles Raumschiff geführt wird oder in denen man erotische Reisen ins mondbeschienene Malibu machen kann.

Michael Gumhold, © Thomas Eisl.

Der Schreck lässt sich in einem schwarz, gräulich ausgekleideten Zimmer bei einem Shot Wodka LINIA verarbeiten, dessen Flaschen einer kunstvollen Edition von Michael Lukas angehören, um dann vom Alkohol inspiriert in das mit Kronkorken gefüllte Zimmer Michael Gumholds zu stolpern. Der Wiener Künstler beschäftigte sich bereits in vorherigen Installationen mit der Kombination aus Gebrauchsgegenständen und deren Umfunktionierung, so dass die Nutzlosigkeit des so manchen Stückes ad absurdum geführt wird und Neuerschaffen einen höheren Sinn erfüllt, als ehemals angenommen. Die Unzahl an verteilten Kronkorken vermittelte das Gefühl, in dem Zimmer eines hochgradigen Säufers gelandet zu sein und gleichzeitig weckte es den Wunsch, zu spielen, hineinzutreten in den Berg aus Einzelteilen, wie in einen Blätterhaufen am Straßenrand. Gumhold berührte das Gefühl von Chaos und Ordnung, forderte auf, Unsortiertes zu akzeptieren.

Etablierte Wiener Kunstschaffende wie Eva Schlegel und Erwin Wurm rundeten die alternative Messe ab und ermöglichten so, dem selbst gestellten Anspruch der Vielfalt aus Stetigkeit und Auftrieb gerecht zu werden.

WO: PARALLEL VIENNA

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