Vergiss die Asche, hier wird Feuer weitergetragen!
30 Jahre Westwerk und noch nicht müde

29. Juni 2016 • Text von

„Westwerk“, das klingt schon irgendwie trutzig. Der Name lässt an dicke mittelalterliche Mauern denken. Tatsächlich verbirgt sich dahinter ein alteingesessener Hamburger Kunstort, der aber alles andere als verstaubt ist. Seit 30 Jahren stellen hier auf der Hamburger Fleetinsel Künstlerinnen und Künstler unermüdlich ihr eigenes Ausstellungsprogramm auf die Beine.

Die aktuelle Westwerk-Truppe

Die aktuelle Westwerk-Truppe

Mitte der 80er fing alles damit an, dass ein Haufen junger Künstler und Kreative in und über ein verlassenes Kontorhaus stolpert. Spontan entsteht ein Plan: Könnte man hier nicht Leben und Ausstellen verbinden? Gesagt, getan – da gab es nur ein Problem: Das Gebäude gehörte der Stadt und die wollte nicht mit einzelnen Privatpersonen verhandeln. Also gründete die Gruppe einen Verein, der dann auch zumindest befristete Mietverträge für die Räumlichkeiten bekam. Kurze Zeit später will Hamburg das Grundstück jedoch verkaufen. Endgültig kommt erst Ruhe in die Situation, als der Mäzen und Jurist Hans Jochen Waitz es kauft und der Gruppe dauerhafte Mietverträge bietet. So blicken Carsten Rabe und André Lützen stellvertretend fürs Westwerk auf eine ganze Menge Hamburger Off-Geschichte zurück.

Gallerytalk.net: Wer seid ihr überhaupt?
Westwerk: Wir sind das älteste Künstlerhaus in Hamburg, Kunstverein, Veranstaltungsort, Hausgemeinschaft, Überlebenskünstler, Musiker, bildende Künstler, Fotografen, Familien, 140 m² Ausstellungsfläche, 120 m² Bar- und Konzertfläche und noch viel mehr und irgendwie auch nichts davon.
Wir sind ein Verein, aber nicht vereinsmäßig. Wir sind ein Kollektiv, in dem jede und jeder eine eigene Meinung hat und das sich ständig verändert. Wir sind ein selbstverwaltetes Künstlerhaus. Die Veranstaltungsflächen im Erdgeschoss betreiben wir ehrenamtlich. Außerdem leben und arbeiten wir in den Wohnungen und Ateliers in den oberen Geschossen des Gebäudes.

Wie viele seid ihr? Sind noch viele „Veteranen“ dabei?
Wir sind rund 30 Leute im Verein, davon sind etwa ein Drittel aktiv bildende Künstler, ein Drittel bewegt sich an der Schnittstelle zur Kunst und ein Drittel ist in den sogenannten „Kreativberufen“ unterwegs. Davon sind noch so sechs oder sieben waschechte Gründungsgenossen, noch mal so viele sind seit den ersten fünf Jahren nach der Gründung dabei.

Ausstellungsansicht „Panmediale“ 28. August – 1. September 2012

Ausstellungsansicht „Panmediale“, 28. August bis 1. September 2012

Wenn man so lange zusammenwohnt und Ausstellungen macht, entsteht doch sicher ein Familienfeeling, oder?
Ja, absolut! Wir sind auch eine funktionierende Hausgemeinschaft. Das macht auch aus, dass wir es seit 30 Jahren schaffen, diesen Kunstverein am Laufen zu halten!

Was ist eure Agenda? Was treibt euch an?
Austausch und Kommunikation. Wir sind als Teil einer großen Kulturfamilie gewachsen und ein Knotenpunkt in einem Netzwerk. Alle, die neu dazukommen, bringen ihre Kontakte mit, so dass sich über die Jahre ein extrem vielfältiges Beziehungsgeflecht gebildet hat. Es geht um Stadtkultur, darum, Kultur selber zu machen und uns gesellschaftlich zu engagieren. Hier sind in den letzten 30 Jahren Tausende von Leuten durchgegangen, ein paar davon sind berühmt geworden, zum Beispiel Thomas Schütte, Stephan Balkenhol oder Element of Crime. Wir sind einer der wenigen größeren Räume in Hamburg, die noch nicht etablierten Künstlern Sprungbretter bieten. Wenn wir nicht mehr da wären, würde diese Schnittstelle fehlen.

Sommerfest der Galerien auf der Fleetinsel, 2016

Vor dem Westwerk wird gefeiert. Sommerfest der Galerien auf der Fleetinsel, 2016


Wir wählen sehr genau aus und achten auf Qualität. Den Künstlern, die wir toll finden, ermöglichen wir, hier frei zu arbeiten. Wir geben ihnen eine Plattform und Raum für ihren Prozess. Wir wollen Raum für neue Ideen schaffen – ganz ohne finanziellen Verwertungszweck. Das Finanzielle schwingt heute ja bei fast allem ganz anders mit als früher. Hier kann man sich ausprobieren, man darf auch scheitern, und zwar ohne dass Scheitern auch gleich sterben bedeutet.

Dieses Jahr 2016 ist ja euer Jubiläumsjahr, ihr werdet 30. Wie schlägt sich das im Programm nieder?
Dieses Jahr ist alles anders. Die gerade beschriebenen Reihen setzen wir für ein Jahr aus. Aus Anlass des Jubiläums haben wir dieses Jahr nur kuratierte Ausstellungen mit anderen Artist-Run Spaces, in denen also wie bei uns Künstler ihr eigenes Programm gestalten, und Kollektiven. Das Ganze beschränkt sich auch nicht auf Deutschland, sondern wir haben uns international umgeschaut. So wird es etwa einen Austausch mit koreanischen, finnischen und griechischen Künstlern geben. Wir wollten mal etwas Anderes machen, ein besonderes Programm für unser Jubiläumsjahr.

Wie kann ich mir das vorstellen, wenn ihr als „Westwerk“ nach Korea reist, um eine Ausstellung zu machen?
Wir haben uns nie als eine Künstlergruppe positioniert. Es gibt bei uns Leute, die zusammen künstlerisch arbeiten und auch gemeinsam ausstellen, aber nicht als feste Gruppe. Zu Ausstellungsreisen finden wir uns in immer neuen Konstellationen zusammen. Wir versuchen uns dann weniger als eigenständige Künstler zu zeigen, denn als Betreiber dieses Hauses.

Ausstellungsansicht Pia Stadtbäumer „be water, my friend“, 22. - 31Mai 2014

Ausstellungsansicht Pia Stadtbäumer „be water, my friend“, 22. bis 31. Mai 2014

Auf welche Highlights schaut ihr zurück? Worauf freut ihr Euch für die Zukunft?
Du hättest hier einige sehr gute Musikkonzerte von Jazz bis Punk erleben können, etliche tolle Ausstellungen von jungen Künstlern, die endlich einen großen Raum bespielen durften. Konkret fällt mir aber als Erstes unser Geburtstagskonzert im Februar ein, mit 60 Musikern und 30 Konzerten. Außerdem die Ausstellung mit den New Yorker Künstlern von „this red door“, die hier ein vollkommen offenes Konzept realisiert haben. Jeder konnte kommen und mitmachen!
Dann kommen natürlich in diesem Jahr die schon erwähnten internationalen Kollektive, gerade mit den Koreanern wollen wir wieder ein ganz offenes Konzept gestalten. Nur bei uns kann man offene und partizipative Ausstellungskonzepte in der Größe und Dauer erleben. Und das wollen wir auch in der Zukunft weiter ausbauen!

In 30 Jahren erlebt man viel Geschichte. Was hat sich seit euren Anfangstagen verändert?
Leider unsere finanzielle Situation, wir werden zum Glück von der Kulturbehörde gefördert, nur deckt das bedauerlicherweise nicht einmal unsere Miete, insgesamt gerade mal 50 % der Kosten. Früher waren die Töpfe größer, vor allem für die Off-Kultur, und es gab gleichzeitig weniger Mitbewerber für die Gelder. Unsere Situation ist ein ständiger Überlebenskampf. Wir stecken ewig viel Arbeit in Anträge und so weiter und können trotzdem nie durchatmen. Seit Christina Weiss (von 1991 bis 2001 Kultursenatorin Hamburgs) gab es nie mehr ein Bekenntnis zur Off-Kultur vonseiten des Hamburger Senats, stattdessen hat eine Verlagerung zur Eventkultur stattgefunden.

Arnaldo Gonzalez: Impuls, Video (1 Kanal Version, Schwarz – Weiß, Farbe, Ton, 21Min 00Sek), 2016

Arnaldo Gonzalez: Impuls, Video (1 Kanal Version, Schwarz – Weiß, Farbe, Ton, 21Min 00Sek), 2016


Die Hamburger Kunstszene ist viel institutionalisierter geworden. Als wir anfingen, herrschten die wilden 90er. Heute ist Kunst im öffentlichen Raum quasi zum Erliegen gekommen. Früher gab es viel mehr Möglichkeiten und Flächen. Noch vor 15 Jahren gab es eine lebendigere Off-Kultur als heute. Es gab mehr Projekte, mehr Flächen, mehr Freiräume. Heute ist alles viel gesetzter.

Irgendwie seid ihr ja auch ein Mehrgenerationenhaus…
Kann man so sagen.

Was passiert, wenn ihr alt und grau seid? Wie stellt ihr euch die Zukunft vor?
Hier sind schon Kinder aufgewachsen, von denen die Ersten jetzt ihre eigenen Veranstaltungen im Westwerk organisieren. Westwerk ist ein Prozess, wir sitzen nicht auf unserer Perle, das hier soll sich auch über uns hinaus weiterentwickeln. Keiner hätte gedacht, dass wir überhaupt 30 werden. Das Haus soll weiter bestehen, gerade durch die Öffnung, die wir immer anstreben. Es geht nicht um das Verwahren der Asche, sondern um das Weitertragen des Feuers.

Wann: Am Freitag, den 1. Juli wird um 19 Uhr Impuls von Arnaldo Gonzalez eröffnet. Die Ausstellung wird bis zum 9. Juli zu sehen sein.
Wo: Westwerk, Admiralitätstraße 74, 20459 Hamburg

 

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