Varianten eines Films

19. November 2015 • Text von

Mit der umfangreichen Filmarbeit The film inside your head der Münchner Künstlerin Agnes Jänsch, bestehend aus sieben Einzelprojektionen, verwandelt sich der Kunstraum München in einen reinen Videoraum. Die Film-Installation ist als partielles Gefüge zu verstehen, das sich vom Betrachter, wie im Titel angedeutet, nach und nach im eigenen Kopf zu einer Geschichte verbinden lässt. Gallerytalk.net sprach mit der Kuratorin der Ausstellung Monika Bayer-Wermuth.

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Installationsansicht, Kunstraum München 2015 (c) Kunstraum München, Foto: Thomas Splett, 2015.

Im Zentrum von The film inside your head steht eine Frau, die in ein Dorf zurückkehrt und nach unterschiedlichen Begegnungen dieses schließlich wieder verlässt. Erlebnisse und Erinnerungen geben Aufschluss über die Beweggründe. Jede Projektion ist mit mehreren Tonspuren unterlegt, die auf Kopfhörern laufen. Obwohl aufgrund der Gegebenheit des Ausstellungsraumes eine bestimmte Richtung zwangsläufig entsteht, ist der Betrachter nicht an eine definierte „Leserichtung“ gebunden. Durch die unterschiedlichen Tonspuren und die filmische Zerstückelung eröffnet sich ein narrativer Möglichkeitsraum der individuell erfahrbar wird. Dabei wird man das Gefühl nicht los, dass Handlung und Inhalt der technischen Ausarbeitung unterliegen. Das Filmerlebnis bleibt hier mehr durch die Erzählweise als durch die Erzählung selbst in Erinnerung, was es aber nicht weniger interessant macht.

gallerytalk.net: Man kann in The film inside your head die Ideen des Expanded Cinema erkennen: Dem kommerziellen Kino zum Trotz, emanzipiert sich der Film als Kunstwerk.
Monika Bayer-Wermuth: Die Ideen des Expanded Cinema zielten vor allem auf eine Abschaffung des klassischen Erzählens im Medium Film, hin zu einer Konzentration auf die ästhetische Wirkung bewegter Bilder und dem künstlerischen Experiment damit. Insofern würde ich nicht sagen, dass es um eine Anerkennung des Films oder Kinos im Feld der bildenden Kunst ging, sondern mehr um eine Integration, eine Arbeit mit dem Medium, mit den Mitteln der Kunst. Darin liegt der gravierende Unterschied zur Herangehensweise von Agnes Jänsch. Nicht nur das Ergebnis, sondern auch ihr Arbeitsprozess hat eine größere Nähe zum klassischen Kino.

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Installationsansicht, Kunstraum München 2015 (c) Kunstraum München, Foto: Thomas Splett, 2015.

gallerytalk.net: Obwohl Filme heute zum festen Kern der Kunstschauen geworden sind, tut sich das Medium immer noch schwer, gesehen zu werden. Ist das eine Zeitfrage?
Monika Bayer-Wermuth: Das Problem zeitbasierter Kunstwerke, dass sie auch zeitkonsumierend sind und den Betrachter in dieser Hinsicht beanspruchen, kann auch als Instrument und Möglichkeit gesehen werden, einen schnellen Bild- oder Kunstkonsum für eine gewisse Zeit zum Stillstand zu bringen. In Videoinstallationen bleiben Menschen länger in einem Raum, ruhen sich vielleicht auch aus. Dass nicht alles wahrgenommen werden kann, das angeboten wird, ist vielleicht im Medium Film oder Video stärker sichtbar. Nur, weil ich als Betrachter bei einem Rundgang in einem Museum jedes Gemälde mit dem Auge erfassen kann, habe ich trotzdem nicht jedes wirklich gesehen. Das wird häufig vergessen.

gallerytalk.net: Inhalt der filmischen Arbeit ist das Auftauchen einer Frau in einem Dorf, das ihr aus vergangener Zeit vertraut ist. Ihre Erlebnisse sind gut erahnbar, um die feinen, subtilen Unterscheide zu entdecken, bedarf es genaueres Betrachten und Zuhören. Ist diese Anforderung eine der Botschaften der Filmarbeit in Hinblick auf das Medium in der Kunstwelt?
Monika Bayer-Wermuth: Soweit würde ich nicht gehen, der Arbeit eine kunstpolitische Mission in Hinblick auf die Erziehung eines Betrachters zuzuschreiben, auch wenn das genaue Hinhören und die leicht differenzierenden Audiospuren dem Betrachter ein Gespür für Sprache und ihr Verhältnis zum Bild vermitteln. Von einer Botschaft würde ich deshalb nicht sprechen, sondern von einer eigenständigen Form der filmischen Erzählung mit Mitteln der Kunst. Verglichen mit anderen Videoinstallationen geht es in dieser Mehrfachprojektion nicht um die Gegenüberstellung und Verdoppelung, wie wir sie seit Godard kennen. Die Idee von Bild-Gegenbild erfährt hier keine Relevanz. Im Zentrum steht das Konzept eines begehbaren Films, der es dem Betrachter ermöglicht, unterschiedliche Situationen zu erfahren und sich innerhalb der Erzählung frei bewegen zu können.

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Installationsansicht, Kunstraum München 2015 (c) Kunstraum München, Foto: Thomas Splett, 2015.

gallerytalk.net: Im Film verschmelzen „innere“ und „äußere“ Welt der Protagonistin. Erinnerungen kommen in Dialogen und Monologen zum Tragen. Der Film nutzt also nicht die Bilder um Vergangenes erlebbar zu machen, sondern vielmehr die Tonspur.
Monika Bayer-Wermuth: Die Bilder bleiben in jeder einzelnen Situation fast statisch. Agnes Jänsch beschränkt sich auf nuancierte und sehr langsame Bewegungen. Es gibt keine Aufregung oder Action. Der Betrachter kann die Bilder ganz als Projektionsfläche nutzen. Dadurch, dass sie so stark komponiert wirken, und man genug Zeit hat sich in die Situationen hineinzudenken, stellt sich auch immer die Frage in welchem Verhältnis sich die Figuren zueinander befinden und wie sich diese psychologische Dimension in der Körperhaltung und im Bildaufbau nachvollziehen lässt. Sie beleben dadurch nicht das Gesprochene, sondern liefern weitere Anhaltspunkte zur Erzählung.

gallerytalk.net: Gleichzeitig nehmen die 7 Einzelprojektionen den Ausstellungsraum ein, so dass der Betrachter aktiviert wird und nicht, wie in einer Kinosituation als passiver Zuschauer dem zeitlichen Anfang und Ende eins Films unterliegt. Das Erleben der Filmarbeit ist hier von jedem einzelnen Betrachter abhängig. Vertrauen Sie auf den Betrachter, der sich Zeit nimmt?
Monika Bayer-Wermuth: Ein Betrachter, der sich viel Zeit nimmt, bekommt in jedem Fall eine bessere Vorstellung vom Konzept und der Dimension der Arbeit. Dennoch lässt sich nicht von „dem Film“ sprechen. The film inside your head entsteht buchstäblich im Kopf eines jeden Betrachters neu und anders. Das ist auch der viel wesentlichere Aspekt, als die Frage, ob nun der Kinozuschauer passiv und der Ausstellungsbesucher aktiv ist. Beide sind aktiv, insofern, weil der wesentliche Teil des Erzählens einer Geschichte im Kopf, vor den Augen des Betrachters stattfindet. Anders ist, dass der klassische Film, wie ein Buch, nur in einer linearen Form erzählen kann, es also tatsächlich die Idee von „einem Film“, „einer Erzählung“ gibt. Auch wenn eine Geschichte nicht chronologisch erzählt wird, funktionieren diese Medien so – Bild folgt auf Bild, Seite folgt auf Seite. In der Ausstellung befinden sich dagegen sieben Projektionen mit jeweils mindestens zwei Audiospuren, dazu hat der Betrachter die Option die Reihenfolge und Dauer selbst zu bestimmen. So potenzieren sich die möglichen Varianten des Filmes.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 29. November zu sehen. Am letzten Tag wird es um 14 Uhr eine Kuratorenführung mit Monika Bayer-Wermuth geben.
WO: Kunstraum München, Holzstraße 10 Rgb., 80469 München.

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