Die Drag-Maschine
Vaginal Davis bei Isabella Bortolozzi und Eden Eden

3. Februar 2022 • Text von

Vaginal Davis ist eine Institution. Seit den späten Achzigerjahren performt sie, gründet die Homocore-Punk-Bewegung, provoziert auf erotische Weise und macht Lärm in all den Facetten ihrer Persönlichkeit. Ihr Drag ist radikal. Schonungslos ballert “The Wicked Pavilion” Besucher*innen bei Isabella Bortolozzi und Eden Eden ihr unerschöpfliches, extrem intimes und multimediales Oeuvre entgegen.

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Installation view from Vaginal Davis, The Wicked Pavilion, 2021. Photos: Graysc. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.

Wer nicht glaubt, dass jeder alles sein kann, dass Identität selbstgeschrieben wird, der kann eine ordentliche Dosis Vaginal Davis vertragen. Es tut vielleicht etwas weh, aber danach wartet eine schillernde Party, die einem Befreiungsschlag gleichkommen kann. Bei Isabella Bortolozzi nimmt die Reise ihren Anfang. Die Räumlichkeiten der Galerie haben sich komplett Pink gefärbt, als wäre Davis einmal mit schwingender Hüfte hindurchgeschritten und ihr Stolz hätte pling pling schnipps schnipps auf alles abgefärbt.

Denn die Künstlerin ist hier, das spüren Besucher*innen sofort. Niemand kann sich der penetranten und allgegenwärtigen Direktheit ihrer künstlerischen Präsenz entziehen. Das Pink sickert in einen hinein und brennt zunehmend auf der Netzhaut. Anfangs breitet es ein wohliges Gefühl aus, doch mit der Zeit schmerzt der Farbton wie Zähne, die zu viel Zucker gekaut haben. Es muss aber trotzdem noch mehr von dem Kuchen sein, das klassische Suchtprinzip.

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Installation view from Vaginal Davis, The Wicked Pavilion, 2021. Photos: Graysc. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.

Mehr von dem Rosa-Stoff, in diesem Fall Lesestoff, gibt es unter der Decke. Die Sammlung rosafarbener Bücher lockt den Blick nach oben. Einige Buchtitel lassen sich aus der Distanz entziffern: “Your Pussy Killed my Husband”, “Between two Women”, “It had to Happen” oder “Football Thick for Baseball Dick” alle imaginär verfasst von Vaginal Davis. Sie zeigt mit dieser insgesamt 507 Bücher umfassenden Installation, was alles nicht geschrieben wurde, viele offene Fragen, deren ausgebliebenen Antworten und gemiedene Themen.

Die “Fantasy library” ist plastisch gewordener Wissensdurst und prangert gleichzeitig die von kollektiver Scham ausgelöste Eingeschränktheit von Wissensvermittlung an. Die Bücherregale sind sehr hoch angebracht, die Unerreichbarkeit von Bildung scheint in der Höhe symbolisiert – noch heute haben nur privilegierte obere Gesellschaftsschichten uneingeschränkten Zugang zu Bildung. Hier müssten alle Besucher*innen nach einer Leiter fragen, um an das Wissen zu gelangen, alle wären auf Hilfe angewiesen. Die metaphorische Leiter, wie auch diese Bücher gibt es allerdings nur in einer erträumten Welt.

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Installation view from Vaginal Davis, The Wicked Pavilion, 2021. Photos: Graysc. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.

Wie sich oben die Bücherregale durch den Raum ziehen, sind unter und parallel zu ihnen Vitrinen aufgestellt. In ihnen sind in altbekannter Museumstradition historische Schriftstücke ausgestellt, wie Ausgaben von Davis‘ 1982 bis 1991 selbst herausgegebenen Magazins “The Fertile La Toyah Jackson”, pornografisch anmutende Collagen aus Bild und Schrift und seltenen Buchauflagen, wie beispielsweise dem titelgebenden Roman “The Wicked Pavilion” von Dawn Powell.

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Vaginal Davis: “Joan Didion”, 2021, 15,3 x 10,2 cm, // “Phoebe Snow” , 2021, 21 x 10,5 cm, Photos: Graysc. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.

In dem Roman treffen Menschen in einem Café aufeinander, die sich von gescheiterten Liebesbeziehungen erholen und auf neue einzulassen versuchen. Aus Vergangenem Neues machen, so auch Davis‘ Praxis hier? Ihre Mail-Art sagt ja. Über den Vitrinen sind an Davis adressierte Postkarten gehängt, über deren persönliche Botschaften sie mit Nagellack, Lidschatten, Eyeliner und Co. bunte Portraits aufgeschminkt hat. Vaginal Davis hat in der Übermalung der Schrift eine eigene Form der Mail-Art gefunden und in Anlehnung an Powels‘ Roman auf jeden Fall aus vergangenen Schrift-Beziehungen neue Bild-Betrachter*innen-Beziehungen geschaffen.

Am Ende eines langen Flurs, an dessen pinken Wänden es auch sexy Stuff zu entdecken gibt, öffnet sich ein plüschiger Raum in dessen Mitte sich ein weißes Kinderbett auf einer Drehbühne um die eigene Achse dreht. Etwas liegt in diesem Bett, es müsste der Umgebung nach ein Kind sein, ist aber ein überdimensionaler Penis, der es sich auf dem Laken bequem gemacht hat. Er liegt einfach so da, in einem vermeintlich stereotypischen Mädchenzimmer mit Miniaturschminktisch und High Heels in mindestens Größe 44. Collagen und Poster würdigen ShowBiz-Berühmtheiten genauso wie den männlichen Körper.

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Installation view from Vaginal Davis, The Wicked Pavilion, 2021. Photos: Graysc. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.

Es ist als würden Besucher*innen in Vaginal Davis Selbstportrait stehen. Es fühlt sich beinahe übergriffig an hier zu sein, sich in einer Privatsphäre zu befinden, über den hochflorigen rosa Teppich zu schleichen und zu befürchten gleich von der Person, die ihre Persönlichkeit hier zum Ausdruck bringt, die sich hier womöglich gerade noch die Nägel lackiert hat, ertappt zu werden. Glas zerspringt! Die Audioinstallation „A Love Like Our’s“ rüttelt wach. Aufgeschreckt und hektisch verlässt der Eindringling die Privatsphäre.

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Installation view from Vaginal Davis, The Wicked Pavilion, 2021. Photos: Graysc. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.

Der Facettenreichtum von Davis Arbeit wird spätestens mit dem Besuch der zweiten Show bei Eden Eden deutlich. Ein wahres Videogewitter wütet in den von außen so unscheinbaren Räumen. Auf sechs Fernsehern und drei Leinwänden sind hier circa acht Stunden Videomaterial zu sehen. In “That Fertile Feeling” spielt Davis eine Krankenschwester, die eine Frau bei ihrer unendlichen Geburt anfeuert: “They look like puppies!” kreischt sie aufgeregt, während sie Baby Nummer 7 aus der Frau herausgeholt hat.

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Installation view from Vaginal Davis, The Wicked Pavilion, 2021. Photos: Graysc. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.

Auf dem Fernseher direkt daneben ist Davis bei einer Bühnenperformance ihrer Band “Cholita!” zu sehen, die sie, neben weiteren Band-Projekten der späten 80er-Jahren wie den “Afro Sister”, zu den Gründerinnen der Homocore-Punk-Bewegung werden ließen. Ihre laute Stimme ist mitreißend, ihr Motto unüberhörbar: “Move your asses and your minds will follow!”. Vaginal Davis zieht es durch, ihre eindringliche Kunst der letzten Jahrzehnte beweist, dass optischer wie akustischer Lärm wirkt. Sie schießt die Toleranz in die Köpfe der Festgefahrenen. Ihre Sexualität ist ihre Waffe, ihr Drag laut und entwaffnend.

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Installation view from Vaginal Davis, The Wicked Pavilion, 2021. Photos: Graysc. Courtesy the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.

Genauso wie die Figuren in Powells Roman, lässt auch Davis in ihrem “Wicked Pavilion” bei Bortolozzi und Eden Eden Vergangenes Revue passieren und wirft dabei einen unerschütterlich optimistischen Blick nach vorne. Sie öffnet ihr persönliches Archiv und zeigt, dass sie trotz der vergangenen lauten Jahre noch lange nicht müde ist ihre Stimme, ihren Körper und ihre Farben einzusetzen, um für Gleichberechtigung und Toleranz zu strahlen. 

WANN: Die Ausstellungen sind noch bis Samstag, den 19. Februar zu sehen.
WO: Galerie Isabella Bortolozzi, Schöneberger Ufer 61, 10785 Berlin und bei Eden Eden, Bülowstr. 74, 10783 Berlin.

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