„Underground oder Unabhängigkeit?“
Die Kuratoren des Project Space Festivals wissen, was sie wollen

15. August 2016 • Text von

Die Gestalter des Project Space Festivals möchten den Projektraum als eigene kreative Kraft in der Kunstwelt etablieren. Marie-José Ourtilane und Heiko Pfreundt erklären, warum die freie Kunstszene für die dort entstehende Kunst so wichtig ist.

Marie-josé Ourtilane und Heiko Pfreundt, Künstlerische Leitung Project Space Festival, Foto: André Wunstorf

Marie-josé Ourtilane und Heiko Pfreundt, Künstlerische Leitung Project Space Festival, Foto: André Wunstorf

Gallerytalk.net: Vielleicht sollte man gar nicht erst versuchen, den Projektraum als solches zu definieren, denn das scheint ein schwieriges Unterfangen zu sein. Doch was er NICHT ist, betont ihr auf eurer Website: Atelier oder Galerie, kommerziell und institutionell. Als Charakteristika werden andererseits Freiheit und Experimentierfreude erwähnt. Da muss ich dann aber doch nachhaken: frei wovon?
Marie-José Ourtilane: Eine Galerie ist abhängig von ihrer Klientel. Wenn sie bestehen will, kann sie sich nicht so einfach Experimenten hingeben und für Dinge offen sein, die vom Publikum noch nicht anerkannt sind. Auch wenn sie auf den Geschmack ihrer Kundschaft „erzieherisch“ einwirken kann, bleibt sie doch unter der Kontrolle des Marktes.
Institutionen repräsentieren symbolträchtige, anerkannte Werte, was sie außerhalb jeglicher Aktualität platziert. Sie folgen einer Verwertungslogik: Was ist bereits konsumiert, anerkannt oder gar in die Geschichtsschreibung eingegangen. Projekträume sind unabhängig, sowohl vom Markt als auch von institutionellen Bedingungen. Diese Freiheit ermöglicht ihnen Spontanität, Raum für Experimente und jegliche Form von Transgression, sei es in Bezug auf künstlerische oder technische Kategorien oder ästhetische Systeme. Das führt zu einer extrem kreativen Energie, die Diskurs und Ideen erneuert.

Welchen Einfluss haben die Rahmenbedingungen – oder ein Mangel an diesen – eurer Meinung nach auf die dort entstehende Kunst?
Marie-José: Ob nun Institution, Galerie oder Projektraum: Ich glaube, jeder hat seine Bedeutung, denn jeder operiert auf einem anderen Feld. Vielleicht ist es an der Zeit damit aufzuhören, die einen gegen die anderen zu denken. Wir machen nicht die gleiche Arbeit und doch können die unterschiedlichen Arbeitsformen komplementär sein.
Ohne eine Galerie ist es für einen Künstler schwer, seine Arbeit weiter zu verfolgen. Künstler brauchen Galerien oder Institutionen, aber diese erlegen einschränkende Rahmenbedingungen und Regeln auf.
Projekträume produzieren Gedanken in Bewegung; ein Phänomen, das laut Definition nur wenig Begrenzung zulässt. Projekträume sind Räume der Entdeckung und dessen, was am Entstehen ist. Sie kommen meines Erachtens dem Begriff des offenen Werkes von Umberto Eco sehr nahe.
Deshalb wurden die unterschiedlichen Projekträume nach der Stärke und Kohärenz ihrer Arbeit ausgewählt und nicht nach einem Projekt, das die Jury interessant gefunden haben könnte. Das Problem ist, dass es mehr Projekträume als Tage im August gibt und eine Auswahl notwendig war. Diese Auswahl respektiert die charakteristische Freiheit der Räume, indem sie soweit wie möglich auf Rahmenbedingungen verzichtet und die Programmhoheit bei den Machern der Räume belässt.

Project Space Festival 2016, Tag 3, insitu, Soon Enough,_Foto: Joanna Kosowska

Project Space Festival 2016, Tag 3, insitu, Soon Enough, Foto: Joanna Kosowska

Worin genau besteht dann die künstlerische Leitung in einer so eigenwilligen Szene? 
Marie-José: Es gibt bei diesem Festival keine Möglichkeit, ein Programm beispielsweise im Sinne des thematischen Kuratierens einer Ausstellung zu gestalten. Das wäre auch kontraproduktiv und stünde der Idee der Projekträume entgegen. Es geht wohl eher um den Eindruck aktueller Tendenzen.

Euer Programm gestaltet sich also so frei und bunt wie die teilnehmenden Räume. Lässt sich dennoch ein gemeinsamer Nenner finden oder ist Vielfalt auch künstlerisch das übergeordnete Thema?
Marie-José: Es ist schwierig und auch ein wenig willkürlich, Kategorien oder ein Thema für die Präsentation der Projekträume zu entwerfen. Jede Art von Definition scheint dem experimentellen Wesen der Projekträume entgegen zu laufen. Dennoch lassen sich aus der Vielfalt der ausgewählten Räume gewisse Tendenzen ablesen. Zunächst das Nomadische. Man könnte annehmen, dass die urbane, soziale und politische Entwicklung einer mehr und mehr gentrifizierten Stadt ein zunehmendes nomadisches Agieren förmlich erzwingt. Aber das Phänomen scheint kein auf Berlin allein bezogenes zu sein. Zwei der eingeladenen Nicht-Berliner-Räume wechseln ebenfalls regelmäßig ihre Aktionsorte. Vielleicht handelt es sich hier um den Ausdruck einer Lebenseinstellung oder eines sich aktuell entwickelnden Habitus.
Die Zuwendung zu theoretischen Feldern sowie die kritische Auseinandersetzung mit Ausstellungs- und Schaffensformen oder Produktionsweisen stellt eine andere Tendenz dar. Hinzu kommen Projekte, die multifunktionellen Plattformen ähneln, in denen sich Genres und Ästhetiken kreuzen… Andere Projekte widmen sich dem Gemeinschaftssinn, sei er geografischer oder (gender-)politischer Natur. Einige speisen sich aus einem speziellen, oft urbanen Kontext; andere sondieren bestimmte Ausdrucksformen, wie Musik oder Performance.

Project Space Festival 2016, Tag 4, Bruch & Dallas, Layout, Foto: Joanna Kosowska

Project Space Festival 2016, Tag 4, Bruch & Dallas, Layout, Foto: Joanna Kosowska

Heiko, du hast einen Teil der Jury gebildet. Letztes Jahr stieß die Jury bei der Bestimmung von konkreten Auswahlkriterien an ihre Grenzen. Wie seid ihr dieses Jahr vorgegangen?
Heiko Pfreundt: Das Jurystatement aus dem Vorjahr bildete eine Grundlage für die Auswahl der diesjährigen Bewerber. Die Projekträume waren aufgerufen, sich ohne ein konkretes künstlerisches Vorhaben für das Festival zu bewerben. Darüber hinaus gab es zunächst erst einmal keine im Vorhinein gestellten Kriterien. Für die Jury stand nicht im Vordergrund, ob die Räume bereits namhafte Künstler ausgestellt haben und ob sie sich in den hierarchischen Strukturen des bestehenden Kulturbetriebs etabliert haben. Viel mehr wurde überlegt, wen wir durch das Festival fortan legitimieren, für die vielfältige Auffassung von Projekträumen zu sprechen – eine Kategorie, die sich im Rahmen des Gegebenen weiterhin kritisch ausgestalten lässt.
Das haben wir bei einigen Bewerbungen, insbesondere im Hinblick auf eine gentrifizierungskritische und darüber hinaus politische Haltung des Projektraums, diskutiert. In einigen Fällen waren wir erstaunt, wie eng einige Initiativen bereits mit der hiesigen Immobilienwirtschaft verbunden sind und in Übereinkunft mit den Anbietern bestimmter Objekte die Attraktivität von Lofts anheben sollen, die mit dem Versprechen der Zugehörigkeit zur sogenannten kreativen Klasse vermarktet werden. Einige Deals erschienen uns in diesem Zusammenhang sehr unvorteilhaft, so zum Beispiel Künstler und Initiativen, die sich damit abspeisen ließen, für kurze Zeit tolle Räume zur Verfügung gestellt bekommen zu haben, die sie sich nach ihren Ausstellungen dort voraussichtlich nie wieder leisten werden können. Großen Zuspruch erhielten dagegen Projekträume, die eine bestimmte Unabhängigkeit von übergeordneten Strukturen ausprobieren, was sich zum Beispiel in der Auswahl ihrer Standorte zeigte.
Wir sind auch der Meinung gewesen, dass es nicht nur gut ist, wenn Projekträume offen gegenüber sogenannten marginalisierten Communities sind, sondern im besten Falle von ihnen selbst gegründet und gestaltet werden. Letztendlich entscheiden auch die Mittel der Sprache, die von den Bewerbern eingesetzt wurden. So stieß beispielsweise die Formulierung „we are presenting handpicked artists“ auf Irritation.

Project Space Festival 2016, Tag 24, Comedy Club, Installation view, © Comedy Club

Project Space Festival 2016, Tag 24, Comedy Club, Installation view, © Comedy Club

Es soll rund 150 Projekträume in Berlin geben, von denen man als Outsider leider (noch) nicht viel mitbekommt. Das wollt ihr ja ändern. Doch wo genau seht ihr ihre Position in der Kunstwelt derzeit? Worin besteht andererseits ihre Bedeutung für die Szene?
Marie-José: Mit dem Festival wollten die Gründerinnen Marie Grafiteaux, Nora Mayr und Lauren Reid Raum für Begegnung schaffen, um Diskussionen und (Ideen-)Austausch zwischen den Akteuren der Szene, aber auch mit dem Publikum, zu erweitern. Ohne ein Publikum stirbt das Werk, ohne Protagonisten verharren Ideen in der Stagnation. Die Räume spielen eine bedeutende Rolle im gesellschaftlichen Austausch – wie die Salons in der Ära der Aufklärung – allerdings zeitgemäß demokratisiert.

Findet ihr, ein solches Projekt wie das Festival fördert die Freiheit und Spontanität, die diese Orte auszeichnen oder limitiert es sie auch zugunsten einer stärkeren Sichtbarkeit? In welchen Anforderungen grenzt ihr den Raum auch ein?
Marie-José: Wir hoffen mit dem Festival das Interesse des Publikums zu wecken und Anreize zu geben, auch die Räume kennen zu lernen, die nicht im Programm vertreten sind. Das Festivalprogramm versteht sich nicht als ein Exzellenzprogramm, es handelt sich eher um ein Abbild von Möglichkeiten, die nicht darauf beschränkt sind, was innerhalb des Festivals gezeigt wird. Wir versuchen, die Dynamik und das schöpferische Engagement der Akteure deutlich zu machen und weiterzugeben.

Project Space Festival 2016, Tag 30, Kinderhook & Caracas, Premiere: CONGLOMERATE – Block Two, View of Conglomerate TV Studio © Kinderhook & Caracas, Foto: Trevor Good

Project Space Festival 2016, Tag 30, Kinderhook & Caracas, Premiere: CONGLOMERATE – Block Two, View of Conglomerate TV Studio © Kinderhook & Caracas, Foto: Trevor Good

Was wird aus dem Projektraum und der Kunst darin, wenn er den Underground verlässt?
Marie-José: Meinen Sie, dass wenn man einfordert, als gleichberechtigter Partner in der Kunstszene neben Galerien und Institutionen ernst genommen zu werden, dass dies das Ende des Underground wäre? Underground oder Unabhängigkeit?
Es gibt natürlich immer das Risiko einer Vereinnahmung. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man diese umgehen. Sofern mit einer Unterstützung, die einem zugutekommen kann, nicht gleichzeitig Regeln aufoktroyiert werden, denke ich nicht, dass sie gefährlich ist.
Man muss allerdings wachsam bleiben, um eine ähnliche Entwicklung wie beispielsweise in Frankreich zu vermeiden. Hier erhalten alternative Orte nur dann Unterstützung, wenn sie ein vorgegebenes Modell respektieren.
Auch wenn die Projekträume „alltäglicher“ werden, sich den existierenden institutionellen Strukturen anpassen sollten und somit nicht mehr ihre heutige Funktion erfüllen, würden sie in jedem Fall von anderen Formen ersetzt werden, die einem neuen Bedürfnis entsprechen. Kinderhook & Caracas zum Beispiel erkundet aktuell das Feld des Fernsehens.
Die Avantgarde wurde vom Underground abgelöst und dieser wiederum von Alternative ersetzt. Es gibt also gar keinen Grund, warum es an dieser Stelle nicht weitergehen soll.

WANN: Vom 1. Bis 31. August steht täglich ein anderer Projektraum im Mittelpunkt und wird mit Kunst bespielt. Die einzelnen Programmpunkte sind hier aufgeführt.
WO: Die vorgestellten Projekträume sind über die ganze Stadt verteilt. Orientierungshilfe bietet die Website des Project Space Festivals.

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