Tyrannei der Intimität Niklas Taleb bei Lucas Hirsch
24. Juli 2020 • Text von Gast
Auf den ersten Blick lässt sich Niklas Talebs Ausstellung „Dreaming again of better Generationenvertrag“ als eine Präsentation klassischer Familienfotografien missverstehen. Doch die fotografische Auseinandersetzung des Künstlers geht weit über die Dokumentation privater Beziehungen hinaus. Taleb nähert sich einer Neubewertung der sozialen Gebrauchsweisen des fotografischen Mediums an, die er nicht zuletzt in Beziehung zu einer tief greifenden Ästhetisierung und Kommerzialisierung des Sozialen in der Hypermoderne setzt. (Text: Mira Anneli Naß)
In der Galerie Lucas Hirsch zeigen fünf Farbfotografien (alle 2020) alltägliche Szenarien. Die großformatige Aufnahme „Psychologie“ führt in die reduzierte Ausstellung ein. Ihre schräge Perspektive auf einen cleanen, abgedunkelten Zimmerboden wirkt vor allem destabilisierend. Diese Unzulänglichkeit blockiert vorschnelle Interpretationen und wirft die Betrachterin auf sich selbst zurück: Das erinnert an den pejorativen Begriff der Küchenpsychologie. Als psychologische Lai*innenpraktik will sie einfache Antworten auf komplexe Fragen finden. Damit bildet die Aufnahme sowohl inhaltlich als auch formal eine Klammer mit der ihr gegenüberliegenden Fotografie eines kleinen Mädchens. Am Frühstückstisch blickt es eindrücklich und vorwurfsvoll in die Kamera. Auch „Reverse Psychology“ meint eine sehr simpel imaginierte Interpretation von Psychologie, die (pseudo-pädagogisch) individuelle Verhaltensweisen und Charakterstrukturen beeinflussen will: „Spinat ist nichts für kleine Kinder!“
Dasselbe Kind taucht andernorts noch einmal auf. Scheinbar zufällig läuft es ins Bild. Unscharf und schemenhaft zeigt es sich im Bildvordergrund einer großformatigen Fotografie. In deren Hintergrund bildet sich das unprätentiöse Interieur eines familiären Wohnraums ab: Garderobe, Schuhregal, Wäscheständer. Ähnliche Szenen und Settings lassen sich in vielen Familienalben finden. Dieses Moment wiederholt sich in „Ohne Titel (Hannover)“. Hier posiert ein Freund der Familie vor einem buddhistischen Schrein, jedoch für eine andere Kamera. Das stellt die Pose und ihr Verhältnis zur Kamera selbst in den Vordergrund der Fotografie. Im Augenblick ihres Entstehens ist sie sich ihrer erinnerungskonstituierenden Funktion bewusst.
Hier werden fotografische Bildgebungsverfahren auf ihre gegenwärtige Funktion als soziale Praxis befragt. Trotz ihres allgemeinen Potenzials zur Identifikation verweigern sich alle Werke Talebs einer gewissen Zugänglichkeit: Zwar suggerieren sie familiäre Codes, in denen sich wohl die meisten Betrachter*innen wiederfinden können. Gleichzeitig sind sie jedoch nur für die spezifisch Eingeweihten zu entschlüsseln. Als radikal subjektive Erinnerungsmarker stellen die Fotografien auf diese Weise eine universelle Lesbarkeit von scheinbar allgemeingültigen Zeichen und Gesten zwischenmenschlicher Beziehungen zur Diskussion.
Zugleich stößt sich ihre fotografische Ästhetik mit dieser Kontextualisierung: Die Prints sind geprägt von einer fashionable Warenästhetik. Angelehnt an die Register der Modefotografie entspricht sie der Kultur eines expressiven und performativen Kreativitätssubjekts des Spätkapitalismus. Diese Verzahnung von Ästhetisierung und Ökonomisierung mit Symbolbildern des Sozialen verdichtet sich in der Verlagerung des vermeintlich Privaten in den kommerziellen Galerieraum. Das verdeutlicht sich auch in der Fußleiste, die Taleb in der Galerie angebracht hat. Der Verkaufsraum wird so zum Wohnraum. Doch die Leiste ist unvollständig und offensichtlich provisorisch.
Das lenkt den Blick auf die Materialien der Werke, die viel diverser sind, als es anfänglich scheint. „Psychologie“ und „Ohne Titel“ haben zwar klassische, schmale Holzrahmen. Einen solchen finden wir auch bei „Ohne Titel (Hannover)“: Doch dessen Querformat beißt sich mit dem Hochformat der Aufnahme. Das macht das dazugehörige Passepartout dysfunktional, es rahmt die Fotografie vielmehr im Stil eines Flügelaltars. Das wirkt humoristisch und korrespondiert mit dem steifen Lächeln des Porträtierten vor einem Feld an Plastikblumen und goldenen Heiligenfiguren.
„Ohne Titel (ibnb)“ befindet sich zwischen zwei Glasscheiben. Hinter der unscharfen Aufnahme einer Plastiktüte von Media Markt, die an einem Heizungsregler hängt, schauen Holzleisten hervor. Die Glasränder werden mit Tape zusammengehalten. Das Seidenpapier, das in „Reverse Psychology“ einen bildrahmenden Hintergrund formuliert, weist Leerstellen auf. So wirkt es, als sei das Papier unsauber zugeschnitten. Auf diese Weise entsteht ein subtiler Bruch. Er zerstört die Illusion eines autorenlosen Bildes, wie sie der Familienfotografie zu eigen ist. Ihr geht es schlicht um die identitätsstiftende Funktion des familiären Erinnerns. Talebs subtiler bildhauerischer Umgang mit den Aufnahmen dagegen identifiziert das Medium Fotografie als künstlerisches Material und Werkzeug.
Zentrale Elemente der Show scheinen die Familie als Gegenstand der Fotografie, der familiäre Raum als künstlerischer Arbeitsplatz, ein ironischer Materialgebrauch und die Ästhetisierung des Privaten. „Dreaming again of better Generationenvertrag“ verweist damit auch auf prekäre Arbeitsverhältnisse. Diese prägen den Kulturbetrieb nicht erst, aber umso deutlicher seit Covid-19. Die Kommerzialisierung des Sozialen wird so unausweichlich zur überlebensnotwendigen künstlerischen Praktik.
WANN: Die Ausstellung “Dream again of better Generationenvertrag” von Niklas Taleb läuft bis Freitag, den 14. August.
WO: Lucas Hirsch, Birkenstraße 92, 40233 Düsseldorf.