Den Engel hat's erschlagen Bezimienny, Zoe Jackson und Leander Kreissl in der Holden Garage
11. Oktober 2022 • Text von Lara Brörken
Die Ordnung ist Feind des Tricksers, ein kleines bisschen Unordnung schaffen sein Antrieb. Das mythologische Wesen, der klassische Gauner ist nicht nur eine Figur die etwas Wirbel in die Geschichte bringt, sondern auch hin und wieder die, die mit einem kleinen fiesen Kniff, einem gut gesetzten Seitenhieb die Moral spürbar macht. Die drei Positionen, die derzeit bei “Tricking Time” in der Holden Garage in Kollaboration mit dem Synchron Magazine zu sehen sind, geben den Halunken unserer Zeit eine Spielwiese.
Das Spiel beginnt bereits im Suchen und Finden dieses kleinen Neuköllner-Off-Spaces. Schnitzeljagdgefühle breiten sich aus, während Kunstsuchende die belebte Hermannstraße hochkraxeln. Hier links? Gibt es eine Welt hinter der Villa Neukölln? Ein klares ja. Unerwartetes an unerwarteter Stelle, der Spieltrieb ist geweckt. Ankommende belohnt die Holden Garage mit Süßem und Saurem, sie hält Besucher*innen eine bunte Tüte vor die Nase.
Die Kurator*innen Johannes Farfsing, Lea Klöpel und Ella Krivanek verfolgen auch mit der Gruppenausstellung “Tricking Time”, die das polnische Kollektiv Bezimienny, den deutschen Künstler Leander Kreissl und die Australierin Zoe Jackson zusammenführt, das allgemeine Prinzip der Holden Garage australische neben europäischen Positionen zu zeigen. Wie Ella Krivanek erzählt, sei Zeitgenössisches aus Australien sehr selten im europäischen Raum ausgestellt und sie wollen dem entgegenwirken – zur allgemeinen Freude derer, die sich in diesem Fall Zoe Jacksons Skulpturen und Malereien ansehen.
Jacksons “Desperate angel (dog up)” hat sich auf einem kleinen Podest im vorderen Teil des Ausstellungsraumes abgelegt. Wie ein Käfer auf dem Rücken liegt er da, alle Viere von sich gestreckt. Arme aus riesengroßen Disteln, Beine aus Stöckern an deren Enden BH-Einlagen etwas fußähnliches erahnen lassen. Der rechteckige Torso wurde aus Baumwollstoff genäht und erinnert an ein Nadelkissen. Auf dem Bauch liegt ein weiteres genähtes, die Distelform aufgreifendes Objekt, das den regungslosen Engel mit seinen Nieten und der Seide wie ein modisches Accessoire zu schmücken scheint, oder bedrückt es ihn? Fesselt und hält es ihn auf dem Boden? Die Verzweiflung schwebt piekend über der Skulptur, mehr als dass geglaubt werden kann, er selbst würde jemals wieder schweben können. Er besticht wortwörtlich durch seine Hilflosigkeit.
Neben ihm wachsen zwei kuriose, verpixelt und zackig geartete Pflanzen. Sie sind aus Holz geschnitzt, wirken hingesetzt und steif, haben keine Verankerung und scheinen mobil im Raum umgesetzt werden zu können, wie überdimensionale Spielfiguren eines Brettspiels. “Swamp weed” von Bezimienny verweist, wie auch ihre anderen gezeigten Werke, auf das Rollen-Computerspiel “Gothic”. Wer in dieser Fantasy-Welt zum ersten Mal Swampweed raucht kriegt extra Punkte, einen Boost, den der Engel dringend vertragen könnte.
Ebenso zerfetzt wie die Bäumchen präsentiert sich “Thora”. Eine große Ölmalerei, die scharfkantiger Manier die wichtigste Begleiterin des “Gothic”-Spielhelden abbildet. Sie schwingt ihren Stab mit dem sie, was eine kurze Google-Recherche ergab, “Monstern die Schnauze platthaut”. Besucher*innen stehen Thora gegenüber, werden zu besagtem Monster. Das Blut verteilt sich bereits geometrisch auf der Leinwand, während die mysteriöse Kriegerin mit trübem Blick in den Ausstellungsraum sieht und eben diesen zu teilen, aufzuspießen und auf ihn abzuzielen scheint. Ob sie einem wohlgesonnen ist, ist die Frage. Sind wir alle Monster, alle Trickser in dieser Welt der scheinbaren Ordnung? Wenn es nach Thora ginge schon.
Der Trick ist die Klammer dieser Show. Jede Position trickst die heutige Zeit aus, stellt ihren Gaunern ein Bein, deckt ihre Tarnung auf. Leander Kreissl, der bereits Seiten im Synchron Magazine füllen durfte und daher hier als Synchron-Position angesehen werden kann, hat es auf Business-Leute abgesehen. Sie stressen sich aus einer leicht gekippten Vogelperspektive über auf Kreuze gespanntes Textil. Wie durch drei Fadenkreuze werden die Workaholics anvisiert, mit jedem Blick, jedem Kreuz wird näher an sie herangezoomt und doch kann kein persönlicher Eindruck von ihnen gewonnen werden. Sie bleiben, egal wie nah an sie herangerückt wird, fremd. Sie sind funktionierende Figuren ohne individuelle Marker. Kreissl hat Hemdkragen, Ärmel und Gürtellasche auf die Kreuze gespannt und dem Fadenkreuz-Display seines Prints somit eine scheinbare Menschlichkeit, eine Körperlichkeit angeheftet. Aus dem Ärmel quellen dunkle Haare hervor und entblößen den Hetzenden als hemdsärmelig – oder als Monster, auf das es der Stab der gegenüberhängenden Thora abgesehen hat.
Elon Musk darf in dieser Welt der Schurken natürlich auch nicht fehlen, ihn portraitiert Zoe Jackson in Begleitung einer kessen Rothaarigen. Die beiden schreiten lächelnd durch ihre surreal finanziell unbegrenzte Realität. Wie bei ihren Skulpturen kombiniert Jackson auch in ihrer malerischen Arbeit anorganische Materialien mit organischen. In diesem Fall bestäubte die Künstlerin teile der Dargestellten mit Spirulina-Pulver, ein aus Algen gewonnenes, grünes Zeug, von dessen Einnahme sich Mensch Wunderwirkungen erhofft, auf die er aber wohl lange warten kann. Superfood-Spuk trifft auf Superreich-Rabauke. Fallt da nicht drauf rein!
Auf einem hohen Podest, einer kleinen Bühne, tanzen zwei Ballettschuhe einen Balztanz mit einem zusammengenähten Jersey-Jeans-Knäuel. Ein Reißverschluss kringelt sich zusammen wie ein Schneckenhaus. Kindlich, friedlich, weich, ecken- und kantenlos, in gemütlicher Hoodie-Ästhetik präsentiert sich Jacksons zweite Skulptur “Hope and self preservation”. Doch Obacht, auch sie trickst! Die Ballettschuhe entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als Gummi-Spardosen, ein Werbegeschenk einer großen australischen Bank, der NAB-Bank. Sie versuchen ihren jüngsten Kund*innen in Kooperation mit dem Australian Ballet das eigene Bankkonto schmackhaft zu machen.
Ein knorriger Vogel, von Bezimienny und “Gothic”-Gameentwicklern “Scavenger” getauft, stapft über eine weitere Leinwand. Der Aasgeier ist, trotz seiner messerscharfen Scherenfüße, am Ende der Nahrungskette angesiedelt, in seinem digitalen Lebensraum vermutlich meist auf der Flucht. Hier, in der Realität, sitzt er ruhig an der Wand, kann seine erschöpften Augen kaum offenhalten, gönnt sich eine kleine Pause. Die Art, wie das Kollektiv die Ölfarbe auf die Leinwand bringt hebt die Trompe-l’oeil-Tradition auf eine neue Stufe. Sie täuschen eine digitale Welt vor, lassen Leinwand Bildschirm werden.
“Tricking Time” weckt jeden eingeschlafenen Spieltrieb. Hier liegen, wie in einer gut gemischten Schlickertüte, süß und sauer nah beieinander. Ein gutes Spiel braucht auch seine Gegenspieler und die Befürchtung mit dem nächsten Schritt aufs Kreuz gelegt werden zu können. Besucher*innen der Holden Garage gehen wachsam in die Welt hinaus, sehen Gauner überall, hasten über den Hermannplatz und denken direkt an die Workaholics, denen sie bitte in nichts als dieser Hast ähneln wollen. Der Grat zwischen Spielen und Tricksen ist verdammt schmal, aber das eine wäre ohne das andere auch echt lahm. No risk no fun!
WANN: “Tricking Time” läuft noch bis Samstag, den 12. November.
WO: Holden Garage, Biebricher Straße 14, 12053 Berlin.