Erleuchtete Dunkelheit
Tobias Zielony bei KOW Berlin

21. Februar 2023 • Text von

KOW Berlin zeigt derzeit Werkgruppen des deutschen Foto- und Videografen Tobias Zielony. Im Zentrum steht die 2-Kanal-Videoarbeit “Watching TV in Narva”, die titelgebend für die Ausstellung ist. Seine Bilder sind an den unterschiedlichsten Orten der Welt entstanden und zeigen Momentaufnahmen junger Menschen, Mikroausschnitte ihres Wesens und den gezielten Lichteinsatz, der politische Realitäten mittransportiert.

Tobias Zielony The Fall 3 KOW Berlin gallerytalk
Tobias Zielony, The Fall, 2021, exhibition view at KOW 2023, photo: Ladislav Zajac, courtesy the artist and KOW Berlin.

Im Erdgeschoss des KOW Berlin versammeln sich Werke des Foto- und Videokünstlers Tobias Zielony unter dem Titel “The Fall”, die seit 2017 entstanden sind, jedoch in ihrer Gesamtheit keine Serie bilden. Die Einzelbilder zeigen Aufnahmen aus China, Deutschland, Japan, Malta und Südkorea und heben das besondere Interesse für Sub- und Jugendkulturen des Künstlers hervor, das sich durch sein gesamtes bisheriges Werk zieht. Die Arbeiten sind keine Erzählungen über das Leben der Protagonist*innen oder die spezifischen Orte, an denen sie gezeigt werden, sondern Portraits und bewusst gewählte Momentaufnahmen aus dem Leben der dargestellten Menschen.

Unverkennbar an den Fotos von Tobias Zielony sind die auffälligen Lichteffekte, die er setzt. Einzelne Punkte, die hier und da leuchten oder stark überbelichtete Bildflächen fallen bei der Betrachtung direkt ins Auge, verleihen der Bildsprache ihren markanten Ausdruck. Alle Aufnahmen wurden in eine besondere Lichtstimmung versetzt – mal eher warm rötlich, mal eher bläulich-kühl. Die zahlreichen Architekturen, die urbanen Stadträume, die weitestgehend undefiniert bleiben, werden zum Leuchten gebracht. So stechen teilweise ganze Häuserfassaden aus der Dunkelheit hervor oder auch nur einzelne Fenster, die die Frage aufwerfen, was sich wohl hinter der Fensterscheibe abspielen könnte. Die Betrachter*innen erfahren es nicht. Was bleibt, ist der farbige Lichteinfall und ein Hinweis auf das Leben dahinter.

Tobias Zielony The Fall 1 KOW Berlin gallerytalk
Tobias Zielony, The Fall, 2021, exhibition view at KOW 2023, photo: Ladislav Zajac, courtesy the artist and KOW Berlin.

Die nächste große Werkgruppe unbetitelter Fotodrucke befindet sich im Obergeschoss. Sie ist 2022 in Polen und Estland entstanden und fällt auf den ersten Blick besonders durch die spezielle Hängung auf: über Eck bilden alle Fotos ein lineares Band an der weißen Wand und überlagern sich. Die einzelnen Bilder werden hier ganz bewusst miteinander verbunden und in eine gemeinsame Situation, einen visuellen Zusammenhang, eingebettet, obwohl die Aufnahmen an verschiedenen Orten, in unterschiedlichen Kontexten, entstanden sind und – entgegen der Hängung – keine lineare Geschichte erzählen. Eine Verbindung lässt sich auch zum Ausstellungsraum im Erdgeschoss herstellen, denn auch diese Bilder weisen ähnliche Lichtsituationen auf, wie die Bilder aus “The Fall”.

Tobias Zielony Untitled 1 KOW Berlin gallerytalk
Tobias Zielony, Untitled (Łódź, Warsaw, Narva), 2023, exhibition view KOW 2023, photo: Ladislav Zajac, courtesy the artist and KOW Berlin.

Auch wenn die hier gezeigten Arbeiten von Tobias Zielony nicht auf den direkten ersten Blick politischer Natur sind, wohnt ihnen dennoch eine politische Note inne, die nicht auszublenden ist. Was bei Betrachtung der Bilder und mit Blick auf den Entstehungszeitraum unweigerlich mitschwingt und mitgedacht werden muss: die räumliche Nähe zum Krieg in der Ukraine, die politische Unterdrückung in Polen und die Bedrohung durch Russland in Estland. Diese Gedanken, die hinter den dargestellten Personen und Fotos stehen, sorgen für eine insgesamt ernste, nachdenkliche und melancholische Atmosphäre, die den kahlen und eher kühlen Ausstellungsraum einnimmt.

Tobias Zielony Untitled 2 KOW Berlin gallerytalk
Tobias Zielony, Untitled (Łódź, Warsaw, Narva), 2023, exhibition view KOW 2023, photo: Ladislav Zajac, courtesy the artist and KOW Berlin.

Das zentrale Werk ist die 2-Kanal-Videoinstallation “Watching TV in Narva”, nach der die Einzelausstellung benannt wurde. Sie ist 2022 in Narva – einer estnischen Stadt an der direkten Grenze zu Russland – entstanden und wurde Ende letzten Jahres erstmalig im Museum Marta Herford gezeigt. Die Protagonist*innen im Video sind zum Teil in den Fotodrucken im Nebenraum wiederzuentdecken. In einem dunklen Innenraum zappen sie im Fernsehen, bleiben an estnischen, ukrainischen, englischen oder russischen Sendungen und Werbungen hängen, übersetzen und reflektieren dabei ihre eigene politische Lebensrealität oder die einzelner Familienmitglieder. Erleuchtet werden ihre Gesichter nur durch das flackernde Fernsehbild.

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Tobias Zielony, Watching TV in Narva, 2022, exhibition view KOW 2023, photo: Ladislav Zajac, courtesy the artist and KOW Berlin.

Die meisten Einwohner*innen in Narva sprechen russisch, sind seit dem Ende der Sowjetunion staatenlos oder im Besitz eines Nichtbürger*innen-Ausweises, auch “Alien-Pass” genannt. Den größten russischen Nachrichtensender stellte die estnische Regierung mit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine ein, um der russischen Propaganda keine Plattform zu bieten. Tobias Zielony zeigt in seiner Videoarbeit eine vermeintlich alltägliche Situation, die uns allen vertraut ist. Ausschnitte des aktuellen Kriegsgeschehens, Spielfilme, Astrologie oder ein Live-Auftritt von AC/DC sind kurzweilig zu sehen, es wird auch gelacht. Und dennoch werden die bewegten Bilder stets begleitet von den schweren, unerträglichen Gegenwartszuständen der Protagonist*innen und aller Betroffenen. Das ist der reale Alltag, dem die Protagonist*innen entgegenblicken müssen. Das sind die Bilder, die sich auf den Gesichtern junger Menschen absetzen. Das ist das Licht im dunklen Raum.

WANN: Die Ausstellung “Watching TV in Narva” läuft noch bis Samstag, den 4. März.
WO: KOW Berlin, Lindenstraße 35, 10969 Berlin.

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