Gemeinsam Wildpinkeln Tobias Schulenburg in der DOD Gallery
20. Dezember 2024 • Text von Lara Brörken
In seinen karikaturesken Zeichnungen erschafft Tobias Schulenburg eine farbenfrohere, schamlosere Version der Realität. Auf dem Papier ist er ein Fünkchen freier, fantasiert, erfreut sich an skurrilen Alltagssituationen und verzerrt sie hin zum Märchenhaften. Tobias Schulenburgs Zeichnungen eröffnen die erste Runde des intimen, kleinen und schnellen Ausstellungsformats “Fast + Furious #1” in der DOD gallery in Köln
Zwei Bänke auf der Hundewiese, an der einen lehnt ein Fahrrad, auf der anderen sitzt eine Person mit rot-pink geringelter Strumpfhose. Die einzelnen Grashalme neigen sich den Hügel hinunter, die Perspektive kippt und zieht an den vordergründigen Hunden, zieht sie in die Länge, macht sie zu Wölfen, die grimmschen Seiten entsprungen scheinen. In der Ferne, aus der der Sog rührt, ein blau-braunes Fell- und Menschenknäuel, Gewimmel, Gespräche und eine sehr prägnante lila Frisur. Und vorne auf der Bank, einen einzigen farblich warmen Punkt markierend, beobachtet die Person mit der roten Brille in Ruhe sitzend das Geschehen in der Ferne.
Vorstellbar, dass die Person auf der Bank Tobias Schulenburg selbst ist, auch er trägt eine rote Brille und beobachtet gern, auch er begeistert sich für genderfluide Momente, schminkt sich hin und wieder, kleidet sich gerne bunt und auch mal feminin. Getroffen umgeben von seinen Arbeiten in der DOD Gallery in Köln erzählt er, dass ihm das Papier einen Raum für Experimente bietet. Nicht selten habe er Looks zunächst auf dem Papier getragen, auf skizzierten Posen wechselnde Kleider ausprobiert, bevor er dann den Entschluss traf, die Farbe buchstäblich in die Realität zu tragen.
Einziger Haken seien seine großen Füße, die Auswahl an wilden Schuhen in den Geschäften für Größe 46 verhindere häufig das Tragen farbenfroher Exemplare. Dafür tobt sich Tobi zeichnerisch im Schuhgeschäft aus. Seine fantastisch alltäglichen Figuren tragen gelbe Boots mit blauen Schnürsenkeln, Schlappen, gemusterte Slippers oder rosafarbene Unterschenkelfußorthesen. In der Zeichnung “eine Gruppe Schuhe im Bochumer Stadtpark” stiefeln verschiedenste Schuhmodelle beschwingt und ganz lebendig hintereinander durch das saftige Grün.
Auf dem Blatt “a sort of friendship” breiten sich neun Blasen aus, in jeder posieren zwei Partymäuse in kurz geschnittenen Hosen und Tops. Sie tragen coole Brillen, eine rot, eine gelb, erinnern an Wrestler*innen. Bootyshake, laszives Rekeln auf 0815 Küchenstühlen – Motto: Wo du bist, ist die Bühne. In der zentralen größten Bubble pinkeln sie gemeinsam und wild. Eine Person im Stehen, eine in der Hocke. Schulenburg sagte den schönen Satz: “Es liegt ein verbindendes Moment im gemeinsamen Pissen.” Die Barriere der Geschlechtertrennung einfach kurz ignorieren, hocken oder stehen? Egal. Diese beiden Queens lassen sich nicht aus dem Konzept bringen, demonstrieren eine spielerische Härte abseits binärer Geschlechterrollen.
Schnelle Frisuren, schillernde Steppjacken und Leggins – eine Gruppe von Tourist*innen, tendenziell im Senior*innenalter, erklimmt mit Gehstöcken den rasenbedeckten Lärmschutzwall in Nienberge bei Münster. Sie drehen sich zu Betrachter*innen um, beziehen sie ein, also alle gemeinsam hoch den Berg! Ein Gemeinschaftsgefühl entsteht und ich bin mir sicher, die Dame mit dem rasanten Haarschnitt und der pinken Jacke zu meiner Rechten noch vorhin auf dem Weihnachtsmarkt am Kölner Dom gesehen zu haben.
Zeichnungen, in denen man sich wiederfindet und verliert, die ein wohliges, ermunterndes und ermutigendes Gefühl hinterlassen. Schulenburg nennt sie auch “Zukunftsskizzen”, sie sind voller Wünsche und genau das Richtige im Auge eines vor der Tür stehenden neuen Jahres. Schulenburgs Zeichnungen lassen Farbe rein, motivieren dazu, sich mal wieder fallen zu lassen. Vielleicht Selbstoptimierung lieber gegen Selbstverwirklichung und Vorsätze gegen Wünsche tauschen? So nämlich! Guten Rutsch!
WANN: Die Ausstellung “Fast + Furios #1” mit Tobias Schulenburg wurde verlängert und läuft noch bis zum 10. Januar 2025.
WO: DOD Gallery, Lütticher Straße 44, 50674 Köln.
Tobias Schulenburg ist ein ebenso talentierter, humorvoller Lyriker. Alltagssituationen fängt er auch sprachlich ein, wie mit dem im Rahmen der Ausstellung erhältlichen Lyrikband “es sich schön machen”, erschienen mit parasitenpresse, zu erfahren ist.