Seht uns an
"To be seen" im NS-Dokumentationszentrum München

24. Oktober 2022 • Text von

Eine Vielzahl von Körpern, Geschlechtern, Identitäten, Intimitäten und Erzählungen. In der aktuellen Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München schafft die Institution nachträglich Sichtbarkeit für unterschiedliche Erfahrungen von LGBTIQ in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aktuelle künstlerische Positionen ergänzen die historische Ausstellung, sie sind als Interventionen im gesamten Haus zu finden.

Philipp Gufler, Quilt #50 (Lil Picard), Siebdruck auf Stoff, 2022, Courtesy the Artist und Galerie BQ Berlin.

Nicht gesehen, nicht als das, was man ist, erkannt zu werden und somit unsichtbar zu sein, ist eine existenzielle Form der Missachtung. Daher widmet sich die Ausstellung “To be seen” im NS-Dokumentationszentrum den Geschichten von LGBTIQ* in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei wird ein intimer Blick auf vielfältige Geschlechter, Körper und Identitäten geworfen. Die Ausstellung illustriert, wie queeres Leben in den 1920er Jahren immer sichtbarer wurde und ein offenerer Umgang mit diversen Rollenbildern entstand. Homosexuelle, trans- und nichtbinäre Personen konnten in ihrem Kampf für gleiche Rechte und gesellschaftliche Akzeptanz erste Erfolge erzielen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die LGBTIQ Subkultur jedoch weitgehend zerstört, nach 1945 wurden ihre Geschichten und Schicksale kaum archiviert oder erinnert.

Li: Alexander Sacharoff, ca. 1914 | © Deutsches Theatermuseum München, Archiv Hanns Hold; Re: Lili Elbe, Paris, 1926 | Quelle: Man into Woman, An Authentic Record of a Change of Sex, London: Jarrolds, 1933.

Mit der Ausstellung versucht das NS-Dokumentationszentrum, diesen selbstbestimmten queeren Lebensentwürfen, Verflechtungen und Akteuren nachträglich die ihnen gebührende Sichtbarkeit zu geben und diese historisch zu verorten.  Mit dem Fokus auf die Themen Netzwerke, Sichtbarkeit und Verfolgung zeigt die Ausstellung aktuelle, eigens für die Schau entwickelte künstlerische Positionen sowie historische Zeugnisse und Kunstwerke. Eingebettet in die historische Dauerausstellung “München und der Nationalsozialismus” ermöglicht “To be seen” einen tiefen und vielfältigen Einblick in die queere Geschichte. Fotografien, Dokumente und zeitgeschichtliche Magazine zeigen eine lebendige, innovative und solidarische queere Kultur.

Maximiliane Baumgartner: You look at us – we look at you, 2022 Aussenansicht NS-Dokumentationszentrum München, Foto: Connolly Weber Photography.

Vielfalt, Aufbruch und Solidarität, aber auch Verfolgung und Ausgrenzung kennzeichnen diese Kultur, die geschlechtliche Stereotypen infrage stellen und neue Körper- und Rollenbilder entwerfen wollte. Die aktuellen, zeitgenössischen künstlerischen Positionen, die im Kontext der historischen Ausstellung zu finden sind, greifen diese Ambivalenzen auf. Die Kontinuitäten von Diskriminierung und Verletzungen, aber auch der Zusammenhalt unter queeren Menschen stehen im Fokus. So werden unterschiedliche Formen des Erinnerns aufgegriffen und vergessene oder verdrängte Erzählungen aus der historischen Unsichtbarkeit zurück ins Licht gerückt.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 21. Mai 2023 zu sehen.
WO: NS-Dokumentationszentrum, Max-Mannheimer-Platz 1, 80333 München.

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