Ein Sinn für Alchemie
Die künstlerischen Facetten von Tina Kohlmann

18. Januar 2021 • Text von

In ihren überdimensionalen Masken und humoristischen Skulpturen vereint sie ägyptische Grabkunst, griechische Mythologie und naturphilosophische Gedanken und schafft außergewöhnliche Kreaturen. Am Freitag eröffnete die Künstlerin Tina Kohlmann ihre Einzelausstellung “Paradoxical Passages” bei Philipp Pflug Contemporary. Wir sprachen mit ihr über Spiritismus, Pech und das Züchten von Mineralien.

Blick in einen gelben Raum mit einer lilafarbenen und einer türkischen flachen Skulptur.
Courtesy the artist and PPC Philipp Pflug Contemporary, Frankfurt am Main. Photo credit: Wolfgang Günzel, Offenbach.

gallerytalk.net: Alchemie und Spiritismus spielen in deinem Werk eine essentielle Rolle. Inwieweit sind diese Sujets in deinen überdimensionalen Masken und farbigen Skulpturen präsent?
Tina Kohlmann: Mich begeistern Themen wie der Spiritismus im 19. Jahrhundert und ethnologische Artefakte – in meinen Werk mischt sich Archaisches, Ethnologische und Sci-Fi. Im 19. Jahrhundert war der Spiritismus etwas sehr Akzeptiertes. Victor Hugo soll an Séancen teilgenommen haben, wo er auf Nicolas Flamel “traf” und diesen zeichnete [Nicolas Flamel war ein französischer Schriftsteller, der im 15. Jahrhundert in Paris wirkte und posthum als Alchemist Berühmtheit erlangte; Anm. d. Red.]. Flamel ist der erste Alchemist, der die Rezeptur für das unendliche Leben gefunden hat. Das finde ich spannend. Viele der ausgestellten Masken haben Namen, die sich auf diese Medien und historische oder fiktive Personen berufen.

Wie bist du zur Maske gekommen? Die Maske hat ja laut dem Kunsthistoriker Hans Belting ihren Ursprung im Totenkult.
Genau. Man findet sie fast in allen Religionen und Kulturen. Die flachen Masken basieren auf Totenmasken, teilweise aus der aztekischen Kultur. Oftmals sind das flache Metallscheiben mit Augenöffnungen. Sie faszinieren mich, aber eigentlich war es keine bewusste Entscheidung, selber Masken herzustellen. Die neueren Arbeiten, wie “Glory” beinhalten ja auch Haare; die gehen eher in eine geisterhafte Richtung.

Zwei Bilder von überdimensionalen Gesichtern in einem gelben Ausstellungsraum.
Courtesy the artist and PPC Philipp Pflug Contemporary, Frankfurt am Main. Photo credit: Wolfgang Günzel, Offenbach.

Als ich deine Masken das erste Mal gesehen hatte – gerade die “Glory”-Maske, die macht einem ja sofort gute Laune – musste ich an die Charakterköpfe von Franz Xaver Messerschmidt denken. Ich finde, dass deine Masken etwas sehr Menschliches in sich tragen.
Ja, absolut. Es ist lustig, denn wenn die Masken bei jemandem zuhause hängen dann werden sie fast zu einem Teil der Familie. Einige werden anscheinend angesprochen (lacht).

Einige deiner Werke wirken wie tatsächliche Masken indigener Stämme und könnten in einem Ethnologischen Museum hängen. Geht es dir auch um eine Form der Aneignung? Oder was steckt dahinter?
Aneignung ist eine schwierige Thematik. Dessen bin ich mir bewusst, und ich möchte auf keinen Fall, dass man mir Cultural Appropriation vorwerfen könnte. Ich muss leider sagen, dass ich Ethnologische Museen liebe, diese Artefakte finde ich einfach faszinierend. Aber man sollte nicht blauäugig durch diese Sammlungen gehen, das ist klar. Es ist gut, dass die Problematik nun mehr diskutiert wird.

Drei Porträts der Künstlerin Tina Kohlmann.
Tina Kohlmann, Aura-Porträt. Courtesy the artist.

Die Masken unterscheiden sich in ihrer Farbigkeit, ihrer Form und der Art der Materialien – von Plastikfolien, Steinen und Mineralien ist alles verarbeitet. Wie kommst du auf die Zusammensetzung?
Die Beschäftigung mit nur einem Material langweilt mich schnell, eine diverse Zusammensetzung finde ich spannend. Deshalb gefällt es mir, neue Sachen zu entdecken. Gerade auch in dem Prozess mit neuen Materialien, entstehen Dinge, die man sich nicht hätte ausdenken können. Vor zwei Jahren habe ich eine Reihe an Skulpturen gemacht, die ich mit Pech überzogen habe. Das war super spannend! Ich hatte mit einer Pecherei in Ostdeutschland zu tun, und man lernt unglaublich viel über dieses fremde Handwerk. Pech hat auch etwas Alchemistisches. Es riecht sehr stark. Auch in Ägypten, wo ich 2019 war, habe ich in einer Glasbläserei mit Glas experimentiert, einer Sache, die ich schon immer machen wollte. Am Anfang schaffst du natürlich nur undefinierte “Blobs”, aber dann wird man besser (lacht). Auch die Kristalle und Mineralien sind einfach dazugekommen. Vielleicht, weil ich vor einigen Jahren selber damit begonnen habe, Mineralien zu züchten.

Wie lustig. Wie funktioniert das?
Die Mineralien stammten aus einem Chemiekasten. Die wuchsen dann im Kühlschrank. Da wurde dann die ganze Küche zu einem alchemistischen Ort (lacht).

Ein Raum mit einem Podest, auf dem verschiedene Keramiken stehen.
Courtesy the artist and PPC Philipp Pflug Contemporary, Frankfurt am Main. Photo credit: Wolfgang Günzel, Offenbach.

Alchemie, die sich in der Kunst widergespiegelt, habe ich zum ersten Mal in den Werken von Hilma af Klint wahrgenommen. Wie sich die Erfahrung, die niemand nachvollziehen kann, dann auf der Leinwand manifestiert, finde ich sehr spannend.
Mittlerweile kann man da ja auch besser drüber sprechen, vor ein paar Jahren, wurde man in eine Esoterik-Ecke gesteckt. Ich habe mich verstärkt mit der Thematik beschäftigt, als ich in den USA war. Dort und oder auch in Grönland ist die Alchemie noch anders integriert. Das wurde durch das Entdecken des Werkes von Hilma af Klint nochmals sehr bewusst gemacht.

Bunte Keramiken auf einem verspiegelten Podest.
Courtesy the artist and PPC Philipp Pflug Contemporary, Frankfurt am Main. Photo credit: Wolfgang Günzel, Offenbach.

In deiner Ausstellung zeigst du auch eine Reihe von Objekten aus Gips und Epoxidharz. Was hat es damit auf sich?
Die Gefäße habe ich nach meinem Besuch in Ägypten gemacht. Die Alabaster vom Grab des Tutanchamun haben mich begeistert. Im Text zur Ausstellung sind die Vasen als Tränengefäße beschrieben. Das gefällt mir sehr gut. Sie wecken viele Assoziationen. Daneben gibt es die fünf ganz großen Arbeiten oder Masken, die an Portale erinnern, die etwas von einem Kirchenfenster haben oder einem Höllenschlund ähneln.

Blick auf das Schaufenster der Philipp Pflug Gallery in Frankfurt am Main.
Courtesy the artist and PPC Philipp Pflug Contemporary, Frankfurt am Main. Photo credit: Wolfgang Günzel, Offenbach.

Und was hat es mit Schlange auf sich?
Die Skulptur mit der Schlange nimmt die Idee eines “Momento Mori” auf – ähnlich wie in Barocker Malerei ein Totenkopf, durch dessen Augen sich eine Schlange windet. Die Schlange als ambivalentes Wesen taucht immer wieder in meinen Arbeiten auf, das Thema ist universell. Diese Arbeit heißt “Glykon” und spielt auf das gleichnamige Fabelwesen aus der griechischen Mythologie an. Hier habe ich versucht mehrere Materialien gegeneinander zustellen. Dadurch ergibt sich ein Bruch, indem man Neon, Metalloberflächen oder industrielle Materialien verwertet. Die Galerie ist diesmal in einem fiesen Gelb gestrichen und wir haben einen Spiegelboden installiert. Diese Ästhetik hat auch bei den Masken einen anderen Effekt. Somit entsteht eine Reibung, die ich wichtig finde. Denn niedlich sollten sie keinesfalls erscheinen (lacht).

WANN: Die Ausstellung “Paradoxical Passages” ist bis 20. Februar zu sehen.
WO: Philipp Pflug Contemporary, Berliner Straße 32, 60311 Frankfurt am Main.

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