Schmutzige Übergänge
Junge polnische Kunst im Tiger Room

2. Juni 2025 • Text von

Was bleibt, wenn der Schnee schmilzt? In der Gruppenausstellung “Roztopy / Thaw” im Tiger Room in München verdichten sich die Nachwehen einer untergegangenen Zeit zu einer ästhetischen Spurensuche. Die konzentriert gehängte Ausstellung versammelt eine breite Auswahl junger polnischer Künstler*innen.

Roztopy / Thaw, 2025, Ausstellungsansicht, Foto: Przemek Sowinski.

Feiner Staub und Dreck sammeln sich in den Ecken des Tiger Room. Es sind allegorische Spuren der Veränderung, die von den Kurator*innen im Raum platziert wurden. Unter dem Titel “Roztopy / Thaw” zeigt der Kurator Przemek Sowiński von der Galerie Łęctwo aus Poznań in Zusammenarbeit mit Magdalena Wisniowska, der Leiterin von GiG Munich, im Tiger Room aktuelle Positionen junger polnischer Künstler*innen, die fast alle in den späten 1990er-Jahren geboren sind.

Der Titel der Ausstellung, die Schneeschmelze, kann als mehr als ein poetischer Kniff verstanden werden. Er verweist auf einen Zustand zwischen Sichtbarkeit und Verschwinden, in dem die Zeichen einer vergehenden Zeit langsam verblassen. Hier sind es die Überbleibsel eines Winters, der nicht mehr mit einer feinen Schneedecke glänzt, sondern Spuren, Risse und Schmutz hinterlassen hat.

Dominika Olszowy: Sun Clown, 2023, Foto: Przemek Sowiński.

Es geht um Prozesses des Übergangs, seien sie saisonal, generationell, politisch, zeitlich und natürlich persönlich. Die Ausstellung verhandelt keine klar umrissene Vergangenheit, die sich linear in die Zukunft bewegt. Vielmehr geht es um Zwischenzeiten und ambivalente Transformationen.

Dominika Olszowy zeigt zwei Sonnen. Eine, die zwar leuchtend aufgeht, aber scheu mit transparenten Vorhängen bedeckt ist. Die zweite Sonne liegt hingegen ausgeblichen in der Ecke und hat sich übergeben. Muss ein schlimmer Tag gewesen sein. Für Karolina Szwed wiederum ist der Frühling im gleichnamigen Bild der Moment, in dem ein Schweißtröpfchen einen nackten Oberschenkel herunterläuft, flüchtig, sinnlich und verletzlich. Eine kleine Zeichnung von Maryna Sakowska zeigt ein mehrstöckiges Wohnhaus, in dem Männer in Schutzanzügen eine Wohnung desinfizieren – vielleicht eine kathartische Reinigungsfantasie. Aber der Schmutz der Vergangenheit lässt sich nicht immer vollends tilgen.

Roztopy / Thaw, 2025, Ausstellungsansicht, Foto: Przemek Sowinski.

Das Kurations-Team verzichtet auf eine klare thematische Einhegung, sie lassen stattdessen das Fragmentarische für sich sprechen sprechen. Die komprimierte Ausstellung ermöglicht dabei einen breiten Einblick in aktuelle Perspektiven junger polnischer Künstlerinnen. Die präsentierten Arbeiten sind vielstimmig und setzten sich auf unterschiedliche Art mit komplexen Realitäten auseinander, durchaus auch mit einem subtilen Zugang: Przemysław Piniak tanzt in einem Video wild vor einer tristen Kulisse, gekleidet in schrille Sportmode, als würde er der grauen Realität seine Farbe aufzwingen wollen.

Roztopy / Thaw, 2025, Ausstellungsansicht, Foto: Przemek Sowinski.

Der symbolische Schnee ist geschmolzen in dieser Ausstellung, aber was der Frühling genau bringen soll, ist nicht ganz klar. Die gezeigten Arbeiten, teils Malerei, teils Installation oder Video, erzählen von einer jungen Generation von Pol*innen, die komplexe Disruptionen erlebt – ökonomisch, kulturell, mental. Die Wände und Räume des Tiger Rooms sind gut bespielt, beinahe überladen, doch genau das erzeugt eine inhaltliche Dichte. Jenseits von Ideologien.

WANN: Die Ausstellung “Roztopy / Thaw” endet am Samstag, den 14. Juni.
WO: Galerie The Tiger Room, Heßstraße 48b, 80798 München.

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