Kritisch und ungefällig
„Thunder in Your Throat“ im n.b.k.

24. März 2022 • Text von

Körper, Sprache, gesellschaftliche Ungleichheit, die Ausbeutung von Mensch und Natur – mit „Thunder in Your Throat“ unterziehen elf internationale Künstler*innen unsere Gegenwart einem rundum kritischen Blick. Die Gruppenausstellung im n.b.k. versammelt Werke von Navild Acosta & Fannie Sosa, Catherine Biocca, Kamilla Bischof, Giorgi Gago Gagoshidze & Tekla Aslanishvili, Anne Duk Hee Jordan & Pauline Doutreluingne, Theresa Kampmeier, Ezgi Kılınçaslan, Nathalie Anguezomo Mba Bikoro, Jens Pecho, Matheus Rocha Pitta, Eva Seufert. 

Ausstellungsansicht Thunder in Your Throat, Neuer Berliner Kunstverein, 2022, Arbeiten von Theresa Kampmeier, Giorgi Gago Gagoshidze & Tekla Aslanishvili, Catherine Biocca. Foto: © n.b.k. / Jens Ziehe

Bildende Kunst weist gegenwärtig in der Regel weit über den Rahmen einer einfachen Leinwand hinaus und verleitet Betrachter*innen vermehrt dazu, einen Blick über ihren eigenen Tellerrand zu wagen. Die Ausstellung „Thunder in Your Throat“ im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) reiht sich ein in diesen zeitgenössischen Trend. 

Die ausgestellten Arbeiten der elf Stipendiat*innen des Arbeitsstipendiums für Bildende Kunst des Berliner Senats sprengen disziplinäre Grenzen auf. Sie führen die Besucher*innen auf interdisziplinäre Weise an ein kritisches Denken über diskriminierende Sprache, andie Lebensrealitäten von gesellschaftlich Unterdrückten und Minderheiten sowie die Ausbeutung unserer Natur heran.

In der Ausstellung des n.b.k., kuratiert von Layla Burger-Lichtenstein und Michaela Richter, treten die ausgestellten Werke auch miteinander in Korrespondenz und spannen ein Netz aus atmosphärischen und kritischen, zeitgenössischen Positionen der bildenden Kunst. Dass sich diese Ausstellung am Puls der Zeit bewegt zeigt auch der Ursprung ihres Titels: „Thunder in Your Throat“ entstammt einer Zeile aus dem Song „Formwela 3“ der großartigen US-amerikanischen Jazz-Musikerin Esperanza Spalding, die 2021 laut „New York Times“ eines der besten Alben des Jahres produziert hat. 

Ausstellungsansicht Thunder in Your Throat, Neuer Berliner Kunstverein, 2022, Arbeiten von Jens Pecho. Foto: © n.b.k. / Jens Ziehe

Bereits aus einem der Fenster heraus werden Besucher*innen der Ausstellung von einer surrealen Arbeit der Künstlerin Kamilla Bischof begrüßt. Sie ist eine Art traumhafte Sequenz einer räumlichen Szene mit einem fliegenden Geist und einem Frauenkopf, der aus einer Kiste erwächst und die Lippen nach einer Kaffeetasse spitzt. 

Mit ihren großformatigen Gemälden, die sie im n.b.k. auf Puppenhaus-ähnliche Podeste setzt, schafft die Künstlerin märchenhafte Welten, die besonders durch Format und Farbwahl, Assoziationen mit „Alice im Wunderland“ hervorrufen. In ihnen sind die Objekte und Figuren manchmal ganz deutlich als Frauen identifizierbar, ein anderes Mal werden sie, durch den Einsatz von Sprühfarbe, ganz im Uneindeutigen gelassen. Indem Bischof ihre Malereien auf zwei Holzfüße setzt bekommen die Leinwände selbst etwas Körperliches, von der Art einer übergroßen, märchenhaften Figur, die auf dem viel zu kleinen Puppenhaus steht. 

Bischof setzt sich in ihrem Arbeiten mit den Konventionen des Ausstellens sowie häuslicher Einrichtung auseinander, auch ihre Ateliersituation findet häufig Eingang in ihren Bildfindungsprozess. Sie reiht sich damit ein in die traditionellen Malweisen bildender Kunst und bricht diese zugleich. Bischofs Kunst ist ungefällig und gerade deshalb einen genauen Blick wert.

Ausstellungsansicht Thunder in Your Throat, Neuer Berliner Kunstverein, 2022, Videoinstallation von Giorgi Gago Gagoshidze & Tekla Aslanishvili. Foto: © n.b.k. / Jens Ziehe

Eine atmosphärisch packende, räumliche Installation erzeugt die türkische Künstlerin Ezgi Kılınçaslan in einem abgedunkelten kleinen Raum. Mit „Vicious Cycle“ (2021) im Zusammenspiel mit der Arbeit „Die Haut“ (2022) erzeugt sie eine unheimliche Stimmung, die einen berührt. Es ist das knisternde Geräusch eines Bodysuits, dessen Oberfläche mit  Pinienzapfen überzogen ist und mittels einer automatisch erzeugten Bewegung, ein atmendes Wesen imitiert und die Besucher*innen damit mit allen Sinnen direkt in die Videoinstallation im Hintergrund hineinzieht.

Kılınçaslan setzt sich in ihren Videos mit der Konstruktion von Identitäten sowie dem Verhältnis von künstlerischem Blick und Betrachter*innen-Blick auseinander. Mit dem Video „Vicious Cycle“ (2021) präsentiert sie im n.b.k. eine halb-dokumentarische Erzählung, die im besten Falle irritiert.

Arbeiten wie diese werden innerhalb der Gruppenausstellung „Thunder in Your Throat“ dramaturgisch gebrochen von Werken wie „Stone of Hell“ (2021), einer dokumentarischen Videoarbeit der georgischen Künstler*innen Giorgi Gago Gagoshidze und Tekla Aslanishvili. In ihrem Film berichten sie über die kapitalistische Ausbeutung von Mensch und Natur durch den Mangan-Abbau in der georgischen Kleinstadt Tschiatura. Es ist ein gelungenes Porträt an einem konkreten Gegenstand, das auf größere Zusammenhänge von globalen Ausbeutungsmechanismen durch ökonomische Wertschöpfung verweist.

thunder in your throat n.b.k.
Ausstellungsansicht Thunder in Your Throat, Neuer Berliner Kunstverein, 2022, Arbeiten von Theresa Kampmeier, Catherine Biocca, Eva Seufert. Foto: © n.b.k. / Jens Ziehe

Körper, Sprache und Bild sind die Themen der Künstlerin Eva Seufert. Auf langen Stoffbahnen schließt sie sich der Auflösung von klassischen Bildtraditionen an und nähert sich im n.b.k. malerisch, ebenso wie mit dem Einsatz von Text,dem Widerstand und der Instrumentalisierung des weiblichen Körpers am Beispiel der Antikapitalist*innen Emma Eckstein und Violet Gibson an. 

Eva Seufert arbeitet ausschließlich mit Naturmaterialien wie Nessel und natürlichem Pigment und reflektiert damit auch auf formaler Ebene die Ausbeutung menschlicher und natürlicher Ressourcen. Durch Einflüsse des Dada, der Konkreten Kunst und Poesie stehen die Arbeiten Eva Seuferts ganz im Stile des 20. Jahrhunderts und der Avantgarde – ohne dabei den Bezug zu zeitgenössischer Formensprache vermissen zu lassen.

thunder in your throat n.b.k.
Ausstellungsansicht Thunder in Your Throat, Neuer Berliner Kunstverein, 2022, Arbeiten von Navild Acosta & Fannie Sosa. Foto: © n.b.k. / Jens Ziehe

Es empfiehlt sich auch, einen Fuß in den kunterbunten und in Batik-Technik gestalteten Raum der Künstler*innen Navild Acosta und Fannie Sosa zu werfen. Die Installation „Chill Pill x Black Power Naps“ (2022) ist eine weitere großartige, gesellschaftlich relevante Reflexion in der Ausstellung. Das künstlerische Projekt verweist auf die Unterdrückung von QTBIPOC-Personen durch Schlafmangel. 

Ruhig schlafen ist nach dem Besuch der Ausstellung „Thunder in Your Throat“ tatsächlich nicht ganz leicht. Denn die Gedanken an all die gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Baustellen, die unsere Welt bereithält, lassen sich danach nicht mehr einfach ignorieren. Doch es ist auch ein gutes Gefühl zu wissen, dass zeitgenössische bildende Kunst keinesfalls nur dem Markt dient, sondern zu einem großen Teil kritisch und ungefällig ist.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Sonntag, den 1. Mai.
WO: Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129, 10115 Berlin.

Weitere Artikel aus Berlin