Vor der Zündung
Thomas Wachholz bei Wentrup

15. Juli 2024 • Text von

Mit einer Sammelleidenschaft fing alles an. Das Objekt der Begierde: Streichhölzer. Seither sind es die kleinen Hölzer mit Phosphorspitze, die Thomas Wachholz‘ Künstlerherz entflammen. Mit “Tempo Primo” bei Wentrup denkt Wachholz an seine künstlerischen Anfänge zurück, fügt dem Anfang etwas Neues hinzu, denn es soll doch immer weitergehen, immer wieder zünden. 

Thomas Wachholz, Tempo Primo, 2024. Wentrup, Berlin. Photo Matthias Kolb
Thomas Wachholz, Tempo Primo, 2024. Wentrup, Berlin. Photo Matthias Kolb.

Häufig habe ich meine Freund*innen gefragt: Welcher Beziehungstyp seid ihr? Typ Lagerfeuer? Auf welche Weise entflammt ihr für einen anderen Menschen? Bunsenbrenner-Style? Von welcher Art Flamme träumt ihr in eurem Leben? Dem wärmenden Kamin? Feststeht, und das ziemlich einstimmig: Ein warmhaltendes Teelicht ist nicht erstrebenswert. Auch das auf Knopfdruck Entflammen wie ein Bunsenbrenner oder ein Feuerwerk ist tückisch: Da fackelt auf aufregendste Weise die Hütte ab, doch kaum vergehen ein paar Wochen, bleiben Schutt und Asche.

Schön ist das Streichholz im Feld der Liebesmetaphorik: Es braucht Reibung, Körpereinsatz und Chemie, um es zum Sprühen und Glühen zu bringen, und dann entzündet es eine beständigere Flamme. Das Streichholz ist, und man muss dieser bildhaften Küchenpsychologie nicht mal glauben, absolut zurecht der Protagonist in Thomas Wachholz Oeuvre. Es ist so klein und zart und kann Großes vollbringen, am Anfang der Wärme stehen, aber auch zerstörerisch wirken. 

Thomas Wachholz, Flame 01 (Honeycomb), 2024, Match ignitions on red phosphor, wood, 124x64cm FotoMareikeTocha
Thomas Wachholz, “Flame 01 (Honeycomb)”, 2024, Match ignitions on red phosphor, wood, 124 x 64cm. Photo: Mareike Tocha.

Abstrahierte Flammenformen schlagen mit Thomas Wachholz’ “Tempo Primo” bei Wentrup die Wände entlang. Sie sind flächig mit der vertrauten rötlich-matten Farbe bestrichen. Unzählige Streichhölzer wurden auf dieser phosphorbeschichteten Leinwand bereits entzündet, haben ihre Spuren hinterlassen und sich stellenweise eingebrannt. Das entstandene Bild erzählt Geschichten wie die Haut eines Körpers, die von Verletzung und Heilung berichtet, von Momenten des Brennens und des Abkühlens.

Vor den helleren Leinwänden, auf denen Wachholz die entzündliche Farbe durch eine feine Wabenschablone aufgetragen hat, wird einem kurz etwas schwummrig. Die Form verschwimmt, wackelt vor den Augen. Nur dort, wo das Streichholz schon war, entlang seines Strichs kann sich das Auge wieder fangen und beruhigen. 

Thomas Wachholz, Tempo Primo, 2024. Wentrup, Berlin. Photo Matthias Kolb 2
Thomas Wachholz, Tempo Primo, 2024. Wentrup, Berlin. Photo Matthias Kolb.

Wie auf kleinen weißen Bühnen tanzen Wachholz‘ Bronzen. Als zwei oder drei Paare schwingen sich die abgebrannten, fragilen Streichhölzer gegenseitig in die Höhe, wirbeln sich und ihre zerbrechlichen Körper durch die Luft. Ihre Köpfchen haben sie dabei liebevoll zusammengesteckt, drei Beine auf dem Boden gewähren das Gleichgewicht. “Die Tanzenden” sprühen vor Lebensfreude, symbolisieren auf ihre zarte, aber doch robuste Art und Weise, dass es nie zu spät ist zu entbrennen, dass auch ein abgebranntes Holz noch himmelhochjauchzen wird. So viel Hoffnung liegt in der Luft, Liebe und der Duft des Streichholzes.

Thomas Wachholz, Drei Tanzende (2), 2024, Bronze, Unique, 38x51x40 cm. Tempo Primo, 2024, Wentrup, Berlin. Photo Matthias Kolb
Thomas Wachholz, “Drei Tanzende (2)”, 2024, Bronze, Unique, 38x51x40 cm. Tempo Primo, 2024, Wentrup, Berlin. Photo Matthias Kolb.

Mit “Tempo Primo” bei Wentrup zeigt Thomas Wachholz zum einen das, was ihn schon immer am Streichholz faszinierte: Minimalismus und Phosphorflächen. Und zum anderen kommen Shaped-Canvases neu hinzu. Er kehrt zum Anfang zurück und ergänzt, sodass nicht nur der Titel der Ausstellung musikalischen Ursprungs, sondern auch seine Arbeitsweise rhythmisch zu verstehen ist, wie eine Melodie, die sich aufbaut und immer wieder an anderer Stelle Feuer fängt. Die Melodie, zu der Hölzer und Herzen tanzen.

WANN: Die Ausstellung “Tempo Primo” ist noch bis Samstag, den 24. August zu sehen.
WO: Wentrup, Knesebeckstraße 95, 10623 Berlin.

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