Engel und Experten
Thomas Schütte in der Konrad Fischer Galerie

6. August 2020 • Text von

Es ist ein Spiel mit Formen, Farben, Materialien. Die farbenfrohen, ausdrucksstarken Frauenköpfe des großen deutschen Bildhauers Thomas Schütte strahlen mit den verschmitzten Gesichtern der Geisterköpfe in den eindrucksvollen Räumen der Konrad Fischer Galerie in Berlin um die Wette. Verlängert bis Ende September zeigt diese Werkschau ein interessantes Nebeneinander von überdimensionalen Bronzen, Keramiken und Aquarellen.

Stahlengel von Thomas Schütte aufgenommen von unten

Thomas Schütte, Installation view, “Engel”, Courtesy Thomas Schütte & Konrad Fischer Galerie, Fotograf: Nic Tenwiggenhorn.

Beinahe unheilvoll hängen oder besser schweben sie von der Decke. Drei monumentale Engel aus Stahl mit weißen Silikongesichtern, deren weitausgebreitete Flügel eher an scharfkantige Messer, denn an weiche Federnschwingen eines Puttos denken lassen. Dabei wünscht man sich in diesen Zeiten der Unsicherheit, einer beginnenden zweiten Corona-Welle und wirtschaftlicher Rezession lediglich gute Verheißungen, wenn man den Blick nach oben richtet.

Was auf den ersten Blick in stählerner Erscheinung erdrückend von der Decke hängt, entfaltet aber ähnlich des in Falttechnik gestalteten Gewandes des Engels bei zweitem Hinsehen einen hintergründigen Witz. Denn betrachtet man die schwebenden Gebilde genauer, so erkennt man in diesen die normalerweise in Miniatur aus Krepppapier gefertigten Engelsfiguren, die ansonsten als Christbaumschmuck dienen. Wohl inspiriert durch Engel, die seine Tochter gebastelt hatte, verwandelte Schütte diese Boten des Himmels in überdimensionale Konstrukte, probierte sich an Form sowie Material aus.

Blick in die Galerie Konrad Fischer mit Gartenzwergen von Thomas Schütte

Thomas Schütte, Installation view, “Gartenzwerge”, Courtesy Courtesy Thomas Schütte & Konrad Fischer Galerie, Fotograf: Nic Tenwiggenhorn.

Dieses Spiel mit Material, Form, Farbe und Licht ist ein künstlerisches Merkmal, das sich wie ein roter Faden durch das Œuvre des 1954 in Oldenburg geborenen Bildhauers zieht. Und auch bei Konrad Fischer zeigt der ehemalige Richter-Schüler seine für ihn typischen in bunten, teils knalligen Farben gehaltenen Skulpturen aus Keramik, für die der Künstler 2005 auf der Biennale in Venedig mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde.

Zwei orange-farbene Frauenköpfe aus Keramik

Thomas Schütte, Frauenkopf, 2019, Courtesy Thomas Schütte & Konrad Fischer Galerie, Fotograf: Nic Tenwiggenhorn.

Und das könnte man sagen zu Recht, denn Schütte wagt viel, scheint gerade im Formen von Material das Risiko zu lieben. Er fertigt seine Frauen- wie Expertenköpfe, mal unnatürlich verrenkt, mal mit verschmitzter Mimik dem Betrachter entgegenblickend. Schütte präsentiert nicht ausschließlich aalglatte Köpfe, die einem antiken Schönheitsideal gerecht werden, sondern vollkommen menschliche Figuren, die mit Makeln, Fehlern und überaus menschlichen Zügen begeistern. Menschliche und lebendige Züge, die sich durch das Spiel von Licht und Schatten und der leichten Patina äußern, die sich über manche der Bronzefiguren wie die „Dritte Schwester“ oder die Fratzen der Brüder „Halbe Fratelli – 4 Fratelli“ gelegt haben.

Zwei Ansichten eines beige-lila farbenen Keramikkopfes

Thomas Schütte, Experten I, 2020, Courtesy Thomas Schütte & Konrad Fischer Galerie, Fotograf: Nic Tenwiggenhorn.

Der Vielfältigkeit an Köpfen und Gesichtern steht sein graphisches Werk, das einmal mehr durch Humor überzeugt, sowie eine Reihe von Aquarellen gegenüber. „Ich gehöre nicht zu den Leuten, die jeden Tag dasselbe machen, jahrelang. Die über Jahre hinweg am Stil, an der Form arbeiten. Es gibt zwar eiserne Regeln des Kunstschaffens, aber man darf sie nicht monoman und zu pathetisch auffassen“, wie Schütte sich zu seiner Experimentierfreudigkeit äußerte. Und wieder verdeutlicht sich auch in seinen 2019 entstandenen „Obst und Gemüse“-Lithographien eine feine Beobachtungsgabe und ironische Sichtweise der Dinge, die unseren Alltag bestimmen. Die aufgeschnittene Melone wird zur „Melonely“ und ein bevorzugtes Standardessen der Deutschen türmt sich zum „Kartoffelturm“.

Blick auf eine Reihe bunter Litographien

Thomas Schütte, Installation view, “Obst und Gemüse”, Courtesy Thomas Schütte & Konrad Fischer Galerie, Fotograf: Nic Tenwiggenhorn.

Tritt man aus der Ausstellung, vorbei an Gemüsetürmen auf Papier, bunten Keramiken, verschmitzt dreinblickenden Expertengesichtern und zerfließenden Frauenköpfen, ist man nicht nur von einem die verschiedenen Modi bestimmenden Können begeistert, sondern genauso beflügelt von der Ausdrucksstärke überlebensgroßer Keramiken, die nicht nur durch ihre Ästhetik, sondern genauso durch ihren versteckten Humor punkten und einmal mehr bekräftigen, dass Thomas Schütte zu einem der innovativsten Künstler unserer Zeit gezählt werden kann.

WANN: Die Ausstellung “Thomas Schütte” wurde verlängert bis zum 30. September 2020.
WO: Konrad Fischer Galerie, Neue Grünstraße 12, 10179 Berlin.

Weitere Artikel aus Berlin