Der Tatort der Frankfurter Hauptschule
"Verschmutzung. Körperzustände. Faschismus" am Theater Oberhausen

18. Dezember 2020 • Text von

Es ist eine Skandalausstellung, die kaum einer gesehen hat. Wir wollen sie euch nicht vorenthalten. Deswegen zeigen wir euch die Dokumentation von “Verschmutzung. Körperzustände. Faschismus”, der Schau, der die Beuys Batterie abhanden kam.

Joseph Beuys: Capri-Batteri. Foto: Marlena von Wedel.

Das Theater Oberhausen ist jetzt nicht notwendigerweise Pilgerstätte für Akteur*innen des Kunstbetriebs. Doch die Ausstellung “Verschmutzung. Körperzustände. Faschismus” brachte dort gleich eine Reihe großer Namen zusammen. Anlässlich des Festivals Schlingensief 2020 wurden Positionen von Künstler*innen gezeigt, die Christoph Schlingensief entweder beeinflusst haben oder von ihm beeinflusst wurden.

Joseph Beuys, Günter Brus, VALIE EXPORT, Frankfurter Hauptschule, Alexander Kluge, Jonathan Meese, Hermann Nitsch, Ileana Pascalau, Dieter Roth und die 1UP-Crew sollten Presse und Publikum anzuziehen. Doch nur wenige Besucher*innen bekamen die Ausstellung zu sehen. Kaum war die Schau eröffnet, verschwand die Beuyssche “Capri- Batterie” aus den Räumlichkeiten. Es folgte das Medienspektakel rund um das Bekennervideo des Kollektivs Frankfurter Hauptschule. Vielleicht wurde die Sache dem Theater Oberhausen zu heikel, es kamen dann ja auch neue Corona-Einschränkungen. Jedenfalls war schnell klar, dass die Ausstellung nicht wieder öffnen würde. Das nehmen wir nur ungern hin und präsentieren euch deswegen Installationsansichten begleitet von einem Essay der Kurator*innen Daniela Duca, Julian Volz und Marlena von Wedel.

Von links nach rechts: Jonathan Meese, KEINE “ICH-SEUCHE”, ZUM GLÜCK, 2011 Öl und Acryl auf Leinwand. 1Up-Crew, I giardini, 2020 Mixed Media Installation: Tag an Wand, Fotografie, Feuerlöscher. Jonathan Meese, DR. BABYPARSIFAL (SUPPER DEIDJÜFF D’OBERSTL’- DIRN) IST KEIN EWIG BLÖKENDER GESTRIGER PUPSDEMOKRAT, SONDERN EWIG FÄHNCHENCHEF “NULLIDEOLOGOZ”, ERZTRÄGER DER SAALSCHUSSBOMBE “ZUKUNFTUS”, 2013, Öl, Acryl und Mixed Media auf Leinwand. Foto: Ileana Pascalau.

I

Anlässlich des vom Theater Oberhausen organisierten Festivals Schlingensief 2020 beschäftigt sich die Ausstellung mit Verschmutzung, Körperzuständen und Faschismus in der Bildenden Kunst und macht Synergien zwischen verschiedenen Künstler*innen sichtbar, die Schlingensief beeinflusst haben, bzw. von ihm beeinflusst wurden.

Das Œuvre von Schlingensief will und kann nicht in herkömmliche Kunstgattungen einsortiert werden. Es überspannt nicht nur verschiedenste künstlerische Formate wie Film, Fernsehen, Aktivismus, Bildende Kunst, Theater und Oper, sondern überschreitet selbst die Grenzen der Kunst an sich. Als zentraler verbindender Aspekt gilt jedoch: Schlingensiefs Schaffen ist immer  hochpolitisch  und  hochexplosiv. Es thematisiert u.a. die deutsche Nazi-Vergangenheit, das Erstarken rechtsextremer Parteien in Europa und gesellschaftliche Demütigung von im öffentlichen Leben unsichtbar gemachten Minderheiten, wie Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung, Kranken, Obdachlosen oder Arbeitslosen. Es ist nahezu unmöglich, Schlingensiefs umfangreiches Œuvre in einem Festival zu erfassen. Mit der Ausstellung wollen wir den vom Festival aufgespannten Rahmen um den Kunstkosmos erweitern, in dem Schlingensief zu Hause war.

Eingang. Foto: Marlena von Wedel.

Die Ausstellung nimmt auf Kunstströmungen Bezug, die sich seit Ende des Zweiten Weltkriegs gegen die Sauberkeit in der Kunst wendeten und ihre künstlerischen Materialien um ansonsten abgesonderte Substanzen erweiterten: Kot, Blut, Erbrochenes, Sperma, Müll und Dreck. Die Verwendung dieser Materialien führte zu einer Entsublimierung der künstlerischen Mittel, durch die eine neue Intensität der Kunst erreicht werden konnte. Solche gegenästhetischen Positionen, wie Günter Brus oder Dieter Roth, relativieren einerseits die klassische Verbindung von Kunst mit Schönheit und Sauberkeit, andererseits transzendieren sie eine strikte Abgrenzung zwischen Kunst, Leben und Politik.

Jonathan Meese, Propagandawerk.org, diverse Social-Media-Performances 2016 – 2020. Jonathan Meese, KEINE “ICH-SEUCHE”, ZUM GLÜCK, 2011, Öl und Acryl auf Leinwand. Foto: Marlena von Wedel. // 1Up-Crew, I giardini, 2020, Mixed Media Installation: Tag an Wand, Fotografie, Feuerlöscher. Foto: Marlena von Wedel.

Ohne diese Vorläufer ist Schlingensiefs Kunst schwer denkbar. Seine Filme wie 100 Jahre Adolf Hitler, Das Deutsche Kettensägenmassaker oder Terror 2000 sind voller Gewalt- und Schreckensbilder. Es werden offensive Szenarien der Trash-Ästhetik, mit großzügigem Einsatz von Blut und anderer Körperflüssigkeiten, inszeniert und verarbeitet. Selbst in seinem Fernsehformat U3000 versetzt Schlingensief sich fortlaufend in körperliche Ekstasen und Ausnahmezustände. Mit Projekten, wie etwa der Parteigründung Chance2000, riss der Künstler konsequent die sogenannte vierte Wand des Theaterraums ein und verlagerte seine Aktionen direkt in das politische Leben, das er wiederum als gewaltige Inszenierung entlarvte.

Ileana Pascalau, Private wet playground, 2020, Installation: Tonskulptur, Vinyl, Pool. Foto: Ileana Pascalau.

Zeitgenössische Beiträge in der Ausstellung wie etwa Alexander Kluge, die Frankfurter Hauptschule, 1UP und Jonathan Meese reflektieren die Gewaltgeschichte Deutschlands, und werfen zugleich einen Ausblick auf die aktuelle gesellschaftliche Lage, die zunehmend durch Rechtspopulismus, autoritäre Staatspolitik und neofaschistische Subkulturen gekennzeichnet ist. Die Künstlerinnen VALIE EXPORT und Ileana Pascalau ergänzen diese Kritik um einen konkreten feministischen Blick. Sie thematisieren durch Schmerz und Schmerzzufügung die Submission des weiblichen Körpers und weisen auf die Rolle des Ekels in der Unterdrückung des Weiblichen hin.

Frankfurter Hauptschule, Refugee in Paradise (R.I.P), 2018, Dreiteilige Videoinstallation, 9’00. Foto: Ileana Pascalau.

Der Ekel ist, so Hermann Nitsch, unsere größte Zivilisationskrankheit. Die mit dem Ekel verbundenen Schamgrenzen wollte er deswegen absichtlich aufwühlen. Dies wird gedacht als ein Heilungsversuch des historisch Verdrängten und als Suche nach einem neuen, nicht-repressiven Realitätsprinzip. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei ein unverkrampftes Verhältnis zum eigenen Körper, zur Sexualität und auch zu verdrängten Bedürfnissen und Begierden. Nicht zufällig trifft man auf das Motiv des Hasen in der Ausstellung immer wieder. Als Symbol von Fruchtbarkeit, Lebenskraft und sexueller Begierde wird in ihm ein Gegenentwurf zur faschistischen Körperlichkeit und sexueller Abwehr dargestellt.

Im Geiste von Schlingensief übernimmt diese Ausstellung die Doppelfunktion eines gut dosierten Giftes und Heilmittels zugleich.

Dieter Roth, Karnickelköttelkarnickel (Scheisshase), 1972, Skulptur aus Stall- und Hasenmist. Günter Brus, Wiener Spaziergang, 1965, Fotos von L. Hoffenreich. Foto: Marlena von Wedel.

II

Im Penchant der neuen Kunst für das Ekelhafte und physisch Widerliche, dem die Apologeten des Bestehenden nichts Stärkeres entgegenzuhalten wissen, als dass das Bestehende schon hässlich genug sei und darum die Kunst zu eitel Schönheit verpflichtet, schlägt das kritisch materialistische Motiv durch, indem Kunst durch ihre autonomen Gestalten Herrschaft verklagt, auch die zum geistigen Prinzip sublimierte, und für das zeugt, was jene verdrängt und verleugnet.

Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie

Von links nach rechts: Jonathan Meese, DR. BABYPARSIFAL (SUPPER DEIDJÜFF D’OBERSTL’- DIRN) IST KEIN EWIG BLÖKENDER GESTRIGER PUPSDEMOKRAT, SONDERN EWIG FÄHNCHENCHEF “NULLIDEOLOGOZ”, ERZTRÄGER DER SAALSCHUSSBOMBE “ZUKUNFTUS”, 2013, Öl, Acryl und Mixed Media auf Leinwand. Joseph Beuys, Zeige deine Wunde, 1977, Photonegativ. Foto: Ileana Pascalau.

Man lehrt uns zu glauben, dass Ekel ein evolutionsbiologischer, lebenswahrender Reflex sei, der uns vor dem Verdorbenen schützt. Theoretiker*innen wie Julia Kristeva, Judith Butler oder Theodor W. Adorno stehen jedoch skeptisch gegenüber dieser scheinbaren Natürlichkeit des Ekelgefühls. Indem sie sich dem Begriff als sozialem und psychischem Konstrukt annähern, untersuchen sie die Wirksamkeit des Ekels als kulturelle Praktik sowie als politischem Begriff. Einhergehend wird der Ekel als ein unbewusster Akt der Gewalt entpuppt und als mögliche Vorstufe zur Verabscheuung ganzer Gruppen in Form von Rassismus und Menschenhass. Wilhelm Reich in Die Massenpsychologie des Faschismus und Erich Fromm in den Studien über Autorität und Familie zeigten den Zusammenhang von faschistischer Subjektkonstitution und (analer) Sauberkeitserziehung auf. Bereits im Zusammenhang dieser freudo-marxistischen Diskussionen in den 1930er und 40er Jahren wiesen die genannten Autoren darauf hin, dass die klassische Trias kleinbürgerlicher Tugenden wie Sauberkeit, Ordentlichkeit und Sparsamkeit – die sich auch wunderbar für eine Karriere als KZ-Aufseher eignet – vor allem zu den Charaktereigenschaften von Menschen gehört, bei denen die anale Sauberkeitserziehung sowie die Verdammung der Lust an den eigenen Ausscheidungen sehr früh rigide durchgesetzt wurde.

VALIE EXPORT, …Remote…Remote…, 1973, Videoinstallation, 10’, Notiz zu …Remote…Remote… übertragen auf Wand. Foto: Marlena von Wedel.

Laut psychoanalytischen Theorien ist der Prozess der Subjektkonstitution u.a durch eine klare Unterscheidung zwischen Ich und Nicht-Ich gesichert, sowie zwischen draußen und drinnen. Die Haut sichert die notwendige Trennung. Wenn aber diese Barriere verletzt ist und aus der Haut jegliche Ausscheidungen treten, entsteht ein fließender Übergang von Nicht-Ich zum Ich, der auf die eigentliche Durchlässigkeit des Körpers hinweist. Was Julia Kristeva in ihrer Schrift Powers of Horror (1982) Abjektion nennt, bezieht sich auf diese Konfrontation mit der Realität des Körpers und mit den verwerflichen, angsteinflößenden, eigenen, jedoch fremd erscheinenden Substanzen. Diese schreckenerregende Begegnung des Subjekts mit der Andersartigkeit des Ichs verursacht Störungen auf der Ebene der Subjektkonstitution. Das Eigene und das Fremde, das Objekt (das was wir kennen) und das Abjekt (das was wir nicht kennen, die Leerstelle mit der sich niemand beschäftigt) fließen ineinander. Der Umgang mit Leichen ist laut Kristeva das äußerste der Abjektion, da es hier um einen Grenzbereich zwischen Leben und Tod geht. Ein sich zersetzender Körper zeigt uns, was wir von uns stoßen müssen, um zu leben. Diese Ambivalenz wird im Bild des verwesenden Hasen gesteigert. Denn es konterkariert seine eigentliche Symbolbedeutung, nach der der Hase ein Bild des Lebenden und Lebendigen ist. Daher ruft es besonders starke Abjektionsmechanismen hervor.

Frankfurter Hauptschule, Refugee in Paradise (R.I.P), 2018, Dreiteilige Videoinstallation, 9’00. Foto: Ileana Pascalau.

Klaus Theweleit beschreibt in seinem Werk Männerphantasien (1977) den Faschismus als einen Körperzustand, dem ein innerer Drang nach Säuberung des eigenen Körpers durch eine destruktive Bearbeitung der äußeren Welt innewohnt. Für seine Analyse geht Theweleit von dem bestehenden patriarchalen Geschlechterverhältnis aus, das alles weibliche, innerliche, fließende und sexuelle verdammt. Im Zuge der Verinnerlichung dieser Setzungen wird der Mann gespalten in seinen äußeren (männlichen) Körperpanzer und ein inneres weibliches, die sich feindlich zueinander verhalten. Besonders bei dem Typus des soldatischen Mannes bildet sich ein Körperpanzer, der sich ständig in Angst vor der Auflösung und der Überschwemmung von äußerlichen, fließenden, mit dem Weiblichen identifizierten und ursprünglich mit Lust verknüpften Substanzen wie Schleim, Schlamm, Dreck oder Blut befindet.

Im Vordergrund: Dieter Roth, Karnickelköttelkarnickel (Scheisshase), 1972 Skulptur aus Stall- und Hasenmist Von links nach rechts: Jonathan Meese, KEINE “ICH-SEUCHE”, ZUM GLÜCK, 2011, Öl und Acryl auf Leinwand. 1Up-Crew, I giardini, 2020, Mixed Media Installation: Tag an Wand, Fotografie, Feuerlöscher. Jonathan Meese, DR. BABYPARSIFAL (SUPPER DEIDJÜFF D’OBERSTL’- DIRN) IST KEIN EWIG BLÖKENDER GESTRIGER PUPSDEMOKRAT, SONDERN EWIG FÄHNCHENCHEF “NULLIDEOLOGOZ”, ERZTRÄGER DER SAALSCHUSSBOMBE “ZUKUNFTUS”, 2013, Öl, Acryl und Mixed Media auf Leinwand. Foto: Marlena von Wedel.

Die aus systematisch geübten Verboten und verhängten Strafen hervorgehende profunde Abwehr aller Körperflüsse und ihre Deklassierung zu Schmutzströmen führen zur Implementierung der Sexualangst in den Körpern. Alles was daran erinnert kann fortan nur noch in Gewaltausbrüchen abgewehrt werden. Eine solche Abwehr findet sich auch bei zeitgenössischen rechten Bewegungen wie den Incels (Involuntary celibates) oder den misogynen Manifesten von Massenmördern wie Anders Breivik oder Brenton Tarrant wieder. Sie zeigen, wie aktuell Theweleits Analysen auch heute noch sind.

Von links nach rechts: 1Up-Crew, I giardini, 2020, Mixed Media Installation: Tag an Wand, Fotografie, Feuerlöscher. Jonathan Meese, DR. BABYPARSIFAL (SUPPER DEIDJÜFF D’OBERSTL’- DIRN) IST KEIN EWIG BLÖKENDER GESTRIGER PUPSDEMOKRAT, SONDERN EWIG FÄHNCHENCHEF “NULLIDEOLOGOZ”, ERZTRÄGER DER SAALSCHUSSBOMBE “ZUKUNFTUS” 2013, Öl, Acryl und Mixed Media auf Leinwand. Foto: Marlena von Wedel.

Parallel mit diesen theoretischen Entwicklungen vermehrten sich auch die Darstellungen des Ekelhaft-Abscheulichen in der Kunst. In den Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bildeten sich weltweit künstlerische Strömungen, die sich gegen die Sauberkeit in der Kunst wendeten. Mit ihrer Infragestellung von Ekel- und Schamgrenzen konfrontieren Künstler*innen wie die Wiener Aktionisten, Dieter Roth oder auch Joseph Beuys das postfaschistische Deutschland und Österreich mit seinem lebensgeschichtlich und historisch Verdrängten. Mit diesen Praktiken sollte eine faschistische Charakter- und Körperpanzerung aufgebrochen werden. Besonders in den performativen Körperanalysen des Wiener Aktionismus findet sich eine solche Hinwendung zum eigenen Körper. Zur selben Zeit offenbaren feministische Künstlerinnen wie VALIE EXPORT durch das offensive Einsetzen des eigenen weiblichen Körpers, durch Selbstverletzung und das Zeigen von Körperflüssigkeiten die gesellschaftliche Wunde der Unterdrückung der Frau.

VALIE EXPORT, …Remote…Remote…, 1973, Videoinstallation, Video 10’, Notiz zu …Remote…Remote… übertragen auf Wand. Foto: Ileana Pascalau.

Während Performances wie Kunst und Revolution der Wiener Aktionisten an der Uni Wien (1968) abstrakt auf den Zusammenhang von Nationalismus und Sauberkeit verwiesen, knüpfte Schlingensief mit seinen Filmen und Aktionen direkter an das politische Zeitgeschehen an. Ohne die Vorarbeit des Fluxus sowie der Wiener Aktionisten wäre Schlingensiefs Werk kaum denkbar. Der thematische Fokus der verdrängten Geschichte Deutschlands einerseits und der Fokus auf Körperfunktionen andererseits verweisen auf den charakteristisch zirkulären Aspekt Schlingensiefs Werk. Die kontinuierliche Resituierung von Bildern (sei es aus der Kunstgeschichte oder in den eigenen Narrativen) nehmen Bezug auf Geschichte, die sich wiederholt. Exemplarisch sei hier an die Szene aus dem Film 100 Jahre Adolf Hitler erinnert, in der Udo Kier als Hitler in einer an Fluxus erinnernden Malaktion mit seinem in die eigenen Fäkalien getauchten Hintern ein Bild malt. Der in einem Bunker gedrehte Film wollte dabei nicht die Vergangenheit reinszenieren, sondern war ganz offensichtlich in der Gegenwart angelegt und rekurrierte dabei auf das, was im nationalsozialistischen Untergrund Deutschlands fortwest.

Hermann Nitsch, Schüttbild mit Malhemd, 2007, Acryl auf Leinwand. Foto: Marlena von Wedel.

Nebst seinen filmischen Arbeiten bearbeitet Schlingensief auch mit performativen Medien eine durch virulente rassistische Gewalt gekennzeichnete Gegenwart. Sein Projekt Bitte liebt Österreich (2000) stellte Migrant*innen in einem Container mit der Aufschrift Ausländer raus in der Wiener Innenstadt aus und rief die Bevölkerung auf, per Wahl zu entscheiden, welche der Kandidat*innen eine österreichische Aufenthaltsgenehmigung bekommen sollte. Schwellenerfahrungen dieser Art, in der die Grenze zwischen Inszenierung und Wirklichkeit verschwimmen, markieren Schlingensiefs strategisches Entwickeln von Mechanismen, die die menschliche und politische Realität als Inszenierung enttarnen können. Zeitgenössische Positionen wie die Frankfurter Hauptschule manipulieren ebenso die Grenze zwischen Kunst und Leben. Das Schaffen des Künstler*innenkollektivs ist so hochpolitisch wie das von Schlingensief. Dabei geht es ihnen stets darum, eine vielschichtige Inszenierung zu entwickeln, die immer offen, zweideutig und angreifbar bleibt.