The Power of Paper
Vielseitigkeit aus Fasern

20. August 2018 • Text von

Zeichnen, entwerfen, skizzieren. Falten und formieren. Träger unerschöpflicher Inspiration und bedeutendes Material für künstlerisches Schaffen: das Papier. Mit der Ausstellung „Doodle & Disegno“ widmet die Galerie Blain|Southern diesem Medium eine Einzelausstellung.

Doodle & Disegno, 7 July – 15 September 2018, Blain|Southern Berlin, Photo: Trevor Good

Wir nutzen es fast täglich. Halten es in der Hand, schreiben und lesen darauf. Ob kariert, liniert, farbig oder weiß. Ein unbeschriebenes Blatt Papier ist meist kein Zustand von Dauer. Vor allem nicht in der Kunst. Gerade da ist es besonderer Träger zur Form gewordener Ideen und meist ein Ausgangspunkt für weiteres künstlerisches Schaffen. Die Skizze startet auf dem Papier – spielerisch als Kritzelei, dem „Doodle“ oder ist bereits ein „Disegno“. Das „Disegno“, kunsttheoretischer Begriff aus der italienischen Renaissance, meint ganz im Gegensatz zum spontanen Entwurf, die in jedem Kunstwerk zugrunde liegende künstlerische Idee. Das Ernsthaftere, Größere, das die intellektuelle Vorstellung eines Konzeptes beinhaltet oder wie Michelangelos es bezeichnete, „Quelle und Inbegriff der Malerei, Bildhauerei und Architektur“. Unter dem Gesichtspunkt dieser variierenden Entwurfsformen, stimmte der Kurator der Gruppenausstellung und einer der Galeriedirektoren, Craig Burnett, um die 100 Papierarbeiten von Galeriekünstlern, sowie Künstlern, mit denen Blain|Southern bereits zusammengearbeitet hatte, aufeinander ab: „Doodle & Disegno“. Künstlerische Idee versus spielerisches Gekritzel.

Tim Noble & Sue Webster, Doodle&Disegno, The Devil’s Footprint, 2014, Courtesy the artist and Blain|Southern, Photo: Trevor Good

Eine derartige gekritzelte Spielerei auf Papier fällt dem Besucher gleich zu Beginn in Form von vier großformatigen, sich gegenüber hängenden, Selbstporträts auf. Ein weiblicher, sowie ein männlicher Kopf mit verzerrten Gesichtszügen und wilder Frisur starren den Betrachter aus riesigen Augen an. Verformte Gesichter, die an die Gemälde von Francis Bacon oder Max Beckmann erinnern. Es sind die Gesichter des englischen Künstlerduos Tim Noble und Sue Webster, eigentlich für ihre Skulpturen bekannt und zur Post YBA-Generation gehörend, die sie zum einen mit verbundenen Augen, zum anderen mit ihren Zehen geschaffen haben.

Doodle & Disegno, 7 July – 15 September 2018, Blain|Southern Berlin, Photo: Trevor Good

Tritt man weiter in den Ausstellungsraum, begegnet man einem viel klareren großformatigen Porträt Joseph Beuys’ des kubanischen Künstlers Enrique Martinez Celayas, der durch seine Kohle- und Reißtechnik die besondere Beschaffenheit des Mediums Papier mit seiner Haptik und Feinheit herausarbeitet. Das Thema der Haptik wird ebenfalls im Werk des italienischen Künstlers Pietro Ruffo deutlich: „Migration Globe VI“ von 2018 zeigt einen mit blauen Karten umlegten und sehr filigran in Tinte bemalten Globus, der sich thematisch auf die sich konstant bewegenden Populationen der Erde bezieht.

Pietro Ruffo, Doodle&Disegno, Migration Globe VI, 2018, Courtesy the artist and Blain|Southern, Photo: Giorgio Benni

Papierfragmente werden zur Skulptur – ähnlich im Werk der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota, die ein Blatt Papier von einer ihrer bekannten Fadeninstallationen umspielen lässt. Papier als bereits bestehendes Konzept – so findet man es auch in dem aus Papier gepressten Werk von Nasan Tur oder in den farbenfrohen Collagen von Alex Dordoy und Henning Strassburger.

Doodle & Disegno, 7 July – 15 September 2018, Blain|Southern Berlin, Photo: Trevor Good

Ob „Doodle“ oder „Disegno“ ist nicht mehr klar. Die Frage lässt man nach der Vielzahl beschriebener Blätter hinter sich. Es fasziniert die sehr diverse Herangehensweise der Künstler an das Medium Papier und dessen vielseitige Verwendbarkeit, die einem hier vor Augen geführt wird. Erweitern, zusammensetzen oder abschneiden und zerreißen. Collagieren sowie kolorieren. Bildende Künstler sind oftmals zuallererst Zeichner, die in einer tagtäglichen Reihe ihre Imaginationen auf Papier reflektieren, erproben und praktizieren. Eine faserige Vielseitigkeit, die dieses uns so alltägliche Medium bietet, und die es gerade durch seine Einfachheit so bedeutend in der Kunst werden lässt.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 15. September zu sehen.
WO: Blain|Southern, Potsdamer Straße 77–87 (Mercator Höfe), 10785 Berlin

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