Von Bienchen und Blümchen Tatiana Defraine in der Galerie Acappella
27. August 2021 • Text von Julia Meyer-Brehm
Tatiana Defraine zeigt in der Galerie Acappella in Neapel ihre Solo-Show „FAME IS A BEE“. Eine Reihe kleinformatiger Frauenporträts zieht sich durch den gesamten Ausstellungsraum. Die Nahaufnahmen erinnern an Selfies und zeigen Frauen in privaten Momenten – mal rauchend, mal mit Gurkenmaske. Wir haben mit der Künstlerin über Ruhm, Vergänglichkeit und weibliche Repräsentation in der Kunstgeschichte gesprochen.
Tatiana, wann hast du das letzte Selfie aufgenommen?
Erst vor ein paar Minuten habe ich ein verrücktes Selfie gemacht, zusammen mit einem meiner Bilder. Es gibt auf Instagram diesen einen Filter namens “blablubli”. Eine Hand bewegt die Lippen und macht ein albernes Geräusch mit dem Mund. Das funktioniert wirklich gut mit Gemälden. Ich mache gerne Selfies von mir und meinen Arbeiten im Atelier, weil ich dort viel Zeit allein verbringe. Eine gute Gelegenheit, innezuhalten und zu posieren. Mir gefällt, dass meine Figuren dadurch menschlicher und zugänglicher werden, ohne zu ernst zu sein.
Deine kleinformatigen Bilder erinnern an Handybildschirme im Hoch- und Querformat. War das deine Intention?
Bei Acappella sind die Formate fast alle 10×15 Zentimeter groß, was genau dem Postkartenformat entspricht. Natürlich erinnert uns das heute eher an die Größe des Telefondisplays, das zu unserem intimsten täglichen Accessoire geworden ist. Ein bisschen wie unser neues Tagebuch, nur eben größer. Durch eine PIN geschützt und mit Fotos, Selfies, Geschichten und Erinnerungen gefüllt.
Was reizt dich an diesem Format?
Mir gefällt die Tatsache, dass man für die genaue Betrachtung ganz nah an die kleinen Bilder herankommen muss. Im Gegensatz zu Bildschirmen kann man in den Gemälden winzige Details erkennen: die Unvollkommenheiten, das Material. Man kann die Farbe fast fühlen, wenn sie noch nicht ganz trocken ist, kleine Risse oder ein paar Haare erkennen – wie auf einer Haut.
Also je kleiner desto intimer?
Kleine Arbeiten haben immer etwas Verletzliches und Privates an sich. Ich bewahre viele meiner kleinen Gemälde zu Hause auf oder verschenke sie an Menschen, die mir nahestehen. Irgendwann habe ich festgestellt, dass sie oft in kleinen Räumen aufgehängt werden. In Schlafzimmern, Bädern oder in der Ecke einer Bibliothek.
Durch die Nahaufnahme der gemalten Gesichter kommt einem schnell der Bezug zu Selfies und Selbstdarstellung in den Sinn. Worauf beziehen sich die Porträts?
Während der Quarantäne habe ich ein Buch über Fayum-Porträts gelesen. Das sind Grabporträts aus dem römischen Ägypten, die zwischen dem 1. und 4. Jahrhundert entstanden sind. Sie sind unglaublich schön und stellen eine Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten her.
Wahrscheinlich die ältesten gemalten Porträts, die je entdeckt wurden.
Richtig. Etwa zur gleichen Zeit habe ich viel über Emily Dickinson gelesen und war sehr überrascht, dass es von ihr nur ein einziges Foto gibt. Für immer und ewig werden wir uns bloß dadurch an sie erinnern. Es ist fast ein bisschen wie ihr Fayum-Porträt. Ich habe mich gefragt, ob und wie Emily wohl heutzutage Selfies machen würde. Vielleicht mit einer Blume, einer Maske, einer Biene. So kam mir die Idee für die Serie bei Acappella. Es könnten alles kleine Porträts von ihr sein.
Wenn wir schon von Dickinson sprechen: “Fame is a Bee” heißt ein kurzes Gedicht von ihr, dessen Kernaussage lautet: Ruhm ist vergänglich. Warum hast du die Ausstellung so genannt?
Ich wollte die Menschen auf poetische und lustige Weise zum Nachdenken über die Vergänglichkeit der Dinge anregen. „Fame is a Bee” ist 1788 entstanden, ist aber heute besonders aktuell. Mir gefällt der Gedanke, dass Ruhm wie eine Biene ist: Er ist nicht konstant und bleibt nie dauerhaft im Leben eines Menschen. Die Ruhm-Biene kann schnell wegfliegen, auf der Suche nach einer neuen Blume. In der Kunstwelt wären die Künstler*innen dann wohl die Blumen.
Kannst du diese Metapher genauer erklären?
Um populäre Figuren ist immer ein Schwarm von Fans präsent. Aber die heute gefeierten Künstler*innen sind es vielleicht morgen nicht mehr. Ich denke auch an so viele unglaubliche Künstlerinnen, die lange Zeit von der besonders männlich geprägten Kunstgeschichte nicht anerkannt wurden und über die heute endlich wieder gesprochen wird. Viele von ihnen habe ich erst durch den Verein AWARE entdeckt.
Nicht nur in “Fame is a Bee” dominieren weibliche Figuren deine Leinwände. Möchtest du den Fokus bewusst auf sie legen?
Frauen sind meine erste und ständige Quelle der Inspiration. Ich mag es, über sie zu sprechen. Ich möchte, dass Frauen in einer Kunstgeschichte, in der sie von Männern so sehr manipuliert wurden, über sich selbst sprechen. Wir müssen unsere Körper, unsere Wünsche, unsere Sehnsüchte und unsere Macht zurückfordern. Das versuche ich durch meine Malerei.
Sind einige der Porträts auch Selbstporträts?
Ich habe noch nie ein echtes Selbstporträt gemalt, aber meine Bilder sind inspiriert von Porträts von Freund*innen in sozialen Netzwerken, Fotos, Models, Gemälden der Kunstgeschichte, Figuren aus Filmen oder Büchern. Wahrscheinlich steckt in all dem eine Menge von mir.
Das liebste Accessoire deiner Protagonistinnen scheinen Blumen zu sein. Weshalb?
In Frankreich gibt es den Ausdruck “à fleur de peau” (“hautnah”). Eine weitere Bedeutung davon ist “der beste Teil einer Sache”. Wir sprechen von der Blüte des Lebens, wenn wir jugendliche Schönheit und körperliche Vitalität meinen. Diese Metapher taucht bereits in der Antike auf. In der Kunstgeschichte werden oft Blumen verwendet, um das Weibliche zu symbolisieren. Wie unser Körper welken auch Blumen irgendwann. Sie sind für mich eine Verbindung zwischen Malerei, Haut und Make-up.
In vielen deiner Werke stehen Pflanzen und Frauen im Mittelpunkt. Kommt deine Faszination für diese Verbindung aus der Kunstgeschichte?
Ich schaue viel in die Kunstgeschichte, aber auch in die Mythologie. In Ovids Metamorphosen zum Beispiel wurden Frauen oft mit Früchten oder Pflanzen dargestellt. Oder sie wurden in Bäume verwandelt, um Männern zu entkommen, die sie vergewaltigen, besitzen oder heiraten wollten. Tatsächlich haben viele Probleme von Frauen mit dem berühmten Apfel im Paradiesgarten angefangen.
Deine Dargestellten werden oft in privaten Momenten gezeigt: Sie zupfen sich die Augenbrauen oder tragen Gurkenmasken. Was macht diese Momente der Selbstfürsorge so besonders?
Mich interessieren Nahaufnahmen. Ich denke dabei an ein Gemälde von Lee Lozano, das ich sehr mag, auf dem eine Frau ein Haar aus ihrer Augenbraue zupft. Diese Momente der Selbstfürsorge sind besonders, weil sie sehr intim sind. Die Betrachter*innen treten direkt in eine intime Beziehung mit der Figur. Man teilt einen Moment, obwohl man normalerweise allein ist mit seinem Spiegel.
Im Begleittext zu „FAME IS A BEE“ heißt es, die gezeigten Gesichter müssten nicht angesehen werden. Stattdessen müssten sie sich selbst betrachten, selbstsüchtig und großzügig. Könnten wir alle ein wenig mehr Egoismus gebrauchen?
Egoismus hat auch etwas Gutes. Nicht zu verwechseln mit narzisstischer Selbstbezogenheit natürlich. Wenn wir entschleunigen, tun wir uns etwas Gutes und versuchen, positives Denken zu entwickeln. Diese Momente der Selbstfürsorge und des Rückzugs sind vor allem in diesen besonders schwierigen Zeiten wichtig. Das klingt vielleicht etwas klischeehaft, aber es ist gar nicht so einfach, auf sich zu achten.
Gurkenmaske, Gänseblümchen – welches persönliche Attribut würdest du wählen, wenn du wie eine deiner Protagonistinnen dargestellt werden würdest?
Auf Instagram posiere ich oft mit Masken, Gurken, Zitronen oder Blumen vor den Augen. Im Moment habe ich eine Menge Haare unter den Armen, ich wäre also vermutlich mit Blumen in den Achselhöhlen dargestellt.
WANN: Die Ausstellung „FAME IS A BEE“ ist noch bis Mittwoch, den 15. September, zu sehen.
WO: Acappella, Vico Santa Maria a Cappella Vecchia, 8/A, 80121 Napoli.
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