Und bleiben Sie zuversichtlich Gruppenshow "Tagesschau" bei Mountains
14. Februar 2022 • Text von Lara Brörken
Was hat die Pandemie mit uns gemacht? Aus uns gemacht? Feststeht leider, dass sie einen besonders fruchtbaren braunen Nährboden geschaffen hat. Erschreckend viele haben sich aus ihm herausgeschwurbelt, viele achten jetzt sehr auf sich selbst. Von der verrückten Gesellschaft berichten die neun Positionen der “Tagesschau” bei Mountains humorvoll und gerade deshalb besonders treffend. Hereinspaziert durch den Arc de Argument, ich begrüße Sie zur Tagesschau.
Mit ruhiger Hand fährt die Kamera von Sven Johne durch das nächtliche Dresden, niemand ist auf den Straßen. Betrachter*innen die vor der Galerie auf dem Bordstein stehen, sehen die Arbeit und begleiten die Kamera auf Zehenspitzen durch die leeren Gassen. Der Bildschirm flimmert und tönt aus dem Innen- in den Außenraum. Eine ruhige Stimme spricht im Video davon, wie schön das Leben ist, in dem einem alles, vor allem die eigene Schönheit und Kraft, ganz bewusst ist. “I allow the love in my heart to heal everything I see. I am happy to be myself.” Das Kopfsteinpflaster und die eindrucksvollen Fassaden der Häuser wirken in der Einsamkeit wie eine unheimliche Kulisse. “I am worth my money. I am divine. I am rich.”
Im nächtlichen Dresden stoßen sich die Selfcare-Worte an jeder Ecke. Die Ich-bezogene Esoterik des Gesagten und die Dunkelheit der ostdeutschen Großstadt, die in den letzten Jahren zunehmend aufgrund des Rechtsrucks medial prominent war, ergeben in Kombination ein bedrohlich harmonisches Weltbild. Im “I am the Power / Dresden Walk” laufen Zehensandale und Springerstiefel metaphorisch und in Klischees gesprochen nebeneinander – ein unheimlicher Balanceakt. In dem Sinne gilt schon: Be careful. Watch your Step.
Die Spannung zwischen Witz und Ernst hält sich auch drinnen im wahrsten Sinne des Wortes. Katja Auflegers Arbeit “The Argument” ist zwischen Decke und Boden gespannt, sodass die drei Bögen an deren Enden Boxhandschuhe befestigt sind, unten und oben, aber auch Kampf und Klamauk verklammern. Ein Klassenkampf? Ein klasse Kampf? Durch die Arbeit hindurchgehend begrüßt die Tagesschau mit spannungsreichen Fragen.
So auch bei Osmar Osten, ein hier mit fünf Arbeiten repräsentierter Künstler aus Chemnitz. Seine Arbeiten sind provokant, scharfsinnig und so witzig, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Zwischen Auflegers Streit-Installation linst sein kleiner Mann hindurch und pinkelt in die bräunliche Umgebung. Die Pisse sickert so in den unteren Bildraum hinein und sieht dabei ganz niedlich aus. Ein harmloser schwarzer Tropfen Farbe der nach unten rinnt. Irgendwie ist es hochpolitisch, allein in der Farbwahl und in der Nonchalance, mit der hier in die Welt gepisst wird. Diesem kleinen Mann scheint alles egal zu sein.
Allen fünf hier gezeigten Arbeiten von Osmar Osten liegt eine mal mehr und mal weniger verborgene Schärfe zu Grunde. Die kindliche Manier, das gekonnte Bad Painting filtert den unschönen gesellschaftlichen Bodensatz, oder treffender in Ostens Fall, die Kacke, heraus. Im Bild “Liebe in Zeiten der Demokratie” ist der Name Programm. Die Schrift ist prominent und lässt wenig Raum zur Interpretation. Demokratie ist hier ein austauschbarer Begriff. Ersetze ihn durch “des Hasses” oder “der Cholera” und es wird auffallen, dass eigentlich jeder dieser Begriffe auf das Heute zutrifft. Die beiden sich auf Abstand umarmenden Strichmännchen winden sich zwischen den Buchstaben und karikieren eine distanzierte, gar lieblose Realität.
Die kackenden Vögel in “Wie nun?” gucken mit ihren Centstück-Augen etwas verblödet und ratlos in die Welt. Wie es nun weitergeht, bleibt die große Frage. Nach Osmar Ostens Theorie ist in Zeiten der Pleite der Durst entscheidend, so zumindest seine beiden Werke: “Durst ist Geld” und “Kein Durst ist kein Geld”. Also durstig bleiben und nicht vergessen: I listen to the messages of my body.
Kurator und Künstler Eric Meier lässt in seiner Arbeit “Endlich Urlaub” den Cuba Libre blass aussehen. Oder war es die Pandemie, die dem Urlaubsvibe des Getränks zu schaffen gemacht hat? Verblasste Kreide bemüht sich mit letzten Kräften das Getränk für 3,50 anzupreisen. Vor dem inneren Auge ploppt die nächstgelegene Eckkneipe auf vor dessen Tür eine ähnliche Tafel aufgestellt und zur Morgendämmerung wieder zusammengeklappt wird. Der Sommerdrink hält in diesem Szenario nicht, was er verspricht. Die Palmen müssen sich dazu gedacht werden, vor allem wenn der Weg nach Hause über gebrochene Betonplatten führt.
Den Werken dieser Tagesschau gelingt es spielerisch ein bedrückend klares Bild der sozialpolitischen, vor allem der nach rechts gerückten Realität zu zeigen. Das eine Virus hat das andere Virus sichtlich befeuert. Wir können nur hoffen, dass Langzeitfolgen ausbleiben.
In Leipzig Plagwitz liegt das Jahrtausendfeld, einerseits ist es schön, weil es noch nicht gentrifiziert ist, hier wuchert noch alles wie es will. Andererseits zeichnet sich hier eine staubige Tristesse ab, Spuren von Menschen, die womöglich an gesellschaftlicher Unsichtbarkeit leiden. Die Fotoserie “Plateau” von Falk Haberkorn dokumentiert diese Fläche in einer erschütternden Nüchternheit. Nicht nur beim Anblick der erloschenen Feuerstelle läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken.
Sebastian Jungs Fotos erforschen den Kosmos Abrisshaus und werden verspielten Freizeitpark-Zeichnungen gegenübergestellt. Das Belantis in Leipzig verspricht, ähnlich wie der Cuba Libre, einen abenteuerlichen Ausbruch aus dem Alltag. Die Palmentapete aus dem abgerockten Haus ist Zeugnis eines vergangenen häuslichen Urlaubsfeeling-Versuchs, dessen letztendliches Scheitern dem zerfransten Rand abzulesen ist. Chlorwasser-Klima, wie auch aufgeklebte Palmen bringen keinen andauernden Spaß. Glückliche Kinder, denen gerade noch das Eis am Arm herunterläuft, müssen nach drei Stunden doch wieder nach Hause. Und auch die Tapete blättert ab und entblößt mit der Zeit ihre Oberflächlichkeit. Jung kristallisiert in den zehn Paarungen die Ernüchterung eines vorgegaukelten Vergnügens heraus – heiße Luft während der Regen ernüchternd gegen das Fenster prasselt. Vor Jungs Arbeiten wird das Kind in einem angesprochen, die Wasserrutschen-Euphorie geweckt und der Aufprall auf dem Boden der Tatsachen, die Rückkehr in die Realität, gleichzeitig besonders ungemütlich.
Der Blick durch das Schlüsselloch der Gesellschaft ist das reizvolle Prinzip dieser Show. Ein voyeuristischer Blick in die dunklen Ecken, aber gleichzeitig auch eine erheiternde Entschlüsselung, die entblößte Albernheit derselben. “Rosa Butterfly (from keta femmunism to somatic interspecies communism)”, eine kollaborative Arbeit der beiden Künstler*innen Andrey Bogush und Sinaida Michalskaja, treibt das Schlüsselloch-Prinzip auf die Spitze. Die Arbeit zieht die Form eines Schlüssels nach, auf dem der Pferdekopf aus Lars von Triers “Melancholia” abgedruckt ist.
Das Werk ist Keyhole, aber auch K-hole, Traum oder Rausch? In dem blauen Schmetterlings-Emoji wird auf eine chinesische Parabel referiert, in der es um die Frage geht, ob der Schmetterling davon träumt ein Mensch zu sein, oder andersherum? Ein vielschichtiges Schlüsselwerk zu dem es mehr Fragen als Antworten zu geben scheint, es soll halboffen, halbverschlossen bleiben, ganz im Sinne des Schlüssellochs.
Andrea Grützner gewährt artifizielle Einblicke in einen sonst eher als eingestaubt abgespeicherten Raum: ein Wirtshaus im Erzgebirge. Sie hat Details des Raumes mit verschiedenfarbigen Folien belichtet, sodass bunte Schatten entstanden sind, die ein ungewöhnlich poppiges Bild zeichnen. Sie portraitiert den multifunktionalen Raum, der Raum, der für Stammtisch, Ball und Alltagsrausch herhalten kann, in wörtlich neuem Licht. Das Tau, das von der Decke hängt, wird hier zu einem gewaltsamen, fast anzüglichem Element. Das Wirtshaus erstrahlt in abstrakter Schönheit, der Staub kann leicht über- und ausgeblendet werden. Die Nachrichten davon, dass im Erzgebirge eher ungern Maske getragen wurde, rücken in den Hintergrund.
Zwei Bronzen interagieren – oder duellieren? – auf dem Boden des Ausstellungsraumes. Den deutschen Schäferhund hält nur eine unsichtbare Leine zurück. Kampfbereit zieht es ihn zu einem geheimnisvollen Feind. Die andere Figur blickt unerschrocken von dem an seinem Hosenbein reißenden Etwas an sich herunter. Die ihm entgegengebrachte Aggression lässt ihn kalt, vielleicht ist das Gewaltpotenzial hier schon Alltag geworden. In Ahmet Öğüts Arbeiten scheint die Belanglosigkeit gegenüber der Gewalt bedrohlicher als die Gewalt selbst.
Es ist eine Achterbahnfahrt der Gefühle, so wie es eigentlich jede Tagesschau ist. Die Nachrichten sind meist eine Talfahrt, aber am Ende jeder Sendung kommt hoffentlich doch noch die Nachricht von gutem Wetter. Oder die Lottozahlen sind die richtigen. Irgendwo ist noch Hoffnung, Hoffnung auf sinkende Infektionszahlen, Sonnenschein und frischen (Ost-)wind. Künstlerisch gesehen berichtet diese Tagesschau, dass es sehr viel frischen Wind aus dem Osten gibt. Und feststeht: Kunst kann Tagesschau. Am Ende bleibt nur zu sagen: Bleiben Sie durstig … und zuversichtlich.
WANN: Die Tagesschau läuft noch bis Sonntag, den 6. März.
WO: Mountains, Rosa-Luxemburg-Platz, Weydingerstraße 6, 10178 Berlin.