Symbolische Ordnung in bauliche Hüllen
Andreas Fogarasis Materialpakete

27. November 2019 • Text von

Plattenbeläge über Verlegeplatten und die hohe Qualität von Terrazzoböden: Die Kunsthalle am Karlsplatz zeigt mit den als „Materialpaketen“ bezeichneten Wandskulpturen Andreas Fogarasis Fragmente ehemaliger und zukünftiger Bebauungen. Fest umschnürt mit Metallgurten fassen sie Vorgängerbau und Nachfolgerarchitektur zu Hybriden zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Ausstellungsansicht: Andreas Fogarasi. Nine Buildings, Stripped, Kunsthalle Wien 2019. © Andreas Fogarasi & BILDRECHT GmbH, 2019, Foto: Jorit Aust.

Es ist Mittwoch Mittag, die Aufsichtsperson und ich sind fast alleine mit den Wandskulpturen – oder den „Materialpaketen“, wie sie im umfangreichen Ausstellungsbooklet bezeichnet werden. Acht Skulpturen reihen sich entlang der weißen Rückwand, die den Ausstellungsraum vom Gastrobereich mit Mittagspausenhektik trennt. Eines der insgesamt neun Materialpakete ist von der Wand gelöst und türmt sich Nahe der der Glasfassade auf. Der rauschende Autoverkehr, der über den Karlsplatz saust, wird zum Hintergrund für die gezeigten Arbeiten.

Jedes „Materialpaket“ setzt sich aus Komponenten des gebauten Raums zusammen. Als Kombination aus Elementen abgerissener Gebäuden und Materialsamples neuer Bauwerke, die auf den respektiven Parzellen errichtet werden, zeugen sie von der Metamorphose urbaner Landschaften. Nur manche der Nachfolgerbauten wurden bereits realisiert; viele befinden sich in fortgeschrittenen Bau- oder Planungsphasen. Fogarasis Arrangements erinnern an den Prozess der Erarbeitung eines Farb- und Materialkonzepts. Dies ist in der Architekturplanung jene Phase, in der die Oberflächenqualitäten, -farben und die eingesetzten Materialen eines zukünftigen Gebäudes bemustert und schlussendlich definiert werden. Dazu werden zum Beispiel Fliesenmuster in die Büros bestellt und Fassadenplatten von Firmenvertreter*innen geordert. Plattenbeläge werden neben Fensterbeschläge gelegt, die Geländerfarbe mit den Putzoberflächen abgestimmt, um die Hülle und auch die Innenqualitäten eines Gebäudes festzulegen. Durch die Verbindung von Oberflächenfragmenten und Bruchstücken der abgerissenen Gebäudesubstanz mit den Bau- und Hüllmaterialien ihrer Nachfolgebauten entstehen Hybride zwischen Vergangenheit und Gegenwart – gemeinsame Fassaden, die Abbruch und Neubau verbinden, und aus einer Ebene hervortretend zu konzeptuellen Reliefs werden.

Ausstellungsansicht: Andreas Fogarasi. Nine Buildings, Stripped, Kunsthalle Wien 2019. © Andreas Fogarasi & BILDRECHT GmbH, 2019, Foto: Jorit Aust.

Die Ausstellungsaufsicht geht mit einer Gießkanne zum hinteren Ende des Raumes. Die Pflanze im Materialpaket „Cineplexx“ muss gegossen werden. Neben einem kleinen Strauch besteht es aus Blechpanelen des lange ungenützten und nun abgerissenen Cineplexx Palace von Harry Glück und Ostertag Architects neben der Wiener Reichsbrücke. An seiner Stelle entsteht nun das Wohnhochhaus „Danube Flats,“ dessen zukünftige Glasfassade mit ihren Pflanzentrögen in Fogarasis Arrangement den Blechpaneelen des abgetragenen Bauwerks vorgehängt ist. Andere Materialpakete thematisieren den Umbau und die Sanierung der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in Wien, oder die Neuerrichtung des Berliner Stadtschlosses anstelle des Palasts der Republik. Der für Wien wahrscheinlich wichtigste Transformationsprozess, der von Fogarasi bearbeitet wird, ist der Südbahnhof. 2009 fuhren die letzten Züge aus und in das von Heinrich Hrdlička geplante Verkehrsbauwerk, bevor dieses dem neuen Hauptbahnhof sowie einem ganzen Stadtquartier wich. Fogarasi kombiniert hier gerettete Terrazzostücke der alten Kassenhalle mit den Aluminiumplatten der Wabendecke des neuen Hauptbahnhofs. Das zweite, benachbarte Panel zum Südbahnhof beinhaltet die Fassadenmaterialen des Erste Campus, der sich ebenfalls am Areal des ehemaligen Kopfbahnhofs befindet.

Ausstellungsansicht: Andreas Fogarasi. Nine Buildings, Stripped (Südbahnhof), Kunsthalle Wien 2019. © Andreas Fogarasi & BILDRECHT GmbH, 2019, Foto: Jorit Aust.

Diese beiden Materialpakete formulieren am deutlichsten die Fragen, die sich Fogarasi mit seinen Arbeiten stellt. Wie manifestiert sich die Identität einer Gesellschaft und ihre symbolische Ordnung in baulichen Hüllen? Welchen Materialen wird in der Architektur welche Form von Bedeutung zugeschrieben? Architektur bleibt nicht regloser Container, sondern wird zur visuelle Repräsentationen im Stadtraum. Durch das Zusammenspiel von sozialem Leben und der von ihr umhüllten Funktion verankern sich Architektur als eigenständige Akteur*in in der Konfiguration einer gesellschaftlichen Identität. Das dabei Materialästhetiken und -fetische und mitschwingen, ist unausweichlich. In der Ausstellung wird – geschuldet auch der zeitlichen Verortung vieler „Ausgangs“-bauwerke in den 60ern, 70ern und frühen 80ern – eine Oberflächenpalette repräsentiert, die zeitgenössischer nicht sein könnte. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis die steril anmutenden, leichten Aluminiumplatten und Glasfassaden der 2000er Jahre, die in ziemlich jedem Paket enthalten sind, wieder Terrazzo und stoischen Steinbehängen weichen müssen? Die neu entfachte Liebe zu Pastellfarben, Fliesen und Gusstechniken ist bereits in Wohnräume zu den selbstgemachten Terrazzotassenuntersetzer und marmorierten Beistelltischchen vorgedrungen. In diesem Sinne ist das Dokumentarische, das Fogarasis Arbeiten innewohnt, hochkomplex und bedarf bei Zeiten eines oder mehrerer zusätzlicher Layer, die über die bestehenden Materialpakete gelegt werden müssen. Diese Ebenen ähneln den Ausgangsmaterialien in Fogarasis Arrangements vielleicht weit mehr, als gedacht. Kein Gebäude besteht aus nur zwei dezidiert unterscheidbaren Existenzphasen, die sich materiell abbilden, und fest abgeschlossen bleiben. Es sind Momentaufnahmen einer Transformation im Flux, mit der die Besucher*innen der Kunsthalle am Karlsplatz konfrontiert sind.

WANN: Die Ausstellung ist bis zum 02. Februar 2020 – immer Dienstag bis Sonntag von 11 – 19 Uhr geöffnet. Donnerstag kann sie zudem von 11 – 21 Uhr besucht werden. Unterschiedliche Führungen werden angeboten, das Programm gibt es hier.
WO: Kunsthalle Wien Karlsplatz, Treitlstraße 2, 1040 Wien.

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