Verflochtene Hierarchien Susi Gelbs User-defined Landscape
11. Juni 2020 • Text von Gast
Wo verlaufen die Grenzen zwischen Natur und Technologie und wie kann man sich mit diesem Thema künstlerisch auseinandersetzen. Mit ihrer aktuellen Einzelausstellung in den neuen Räumen der Galerie Nir Altman zeigt die in Berlin lebende Künstlerin Susi Gelb eindrucksvoll das menschliche und materielle Spiel zwischen Kontrolle und Zufall. Der Mensch ist dabei der Gestalter eines Ökosystems, das „noch natürlich“ scheint. Die Künstlerin gab unserer Gastautorin Linn Born einen Einblick in ihre Praxis.
gallerytalk.net: „User-defined Landscape“ als Titel der Ausstellung und „Terraforming“ als Thema treffen wie ich finde den Kern deines Oevres. Kannst du uns beides aufschlüsseln?
Susi Gelb: Beide Begriffe haben etwas mit einem mechanistischen Weltbild zu tun, der menschlichen Hybris, die Natur beherrschen, verändern und umformen zu wollen. Der Begriff Terraforming stammt eigentlich aus der Science-Fiction-Literatur und meinte ursprünglich das Umformen fremder Planeten zu einer zweiten Erde. Es ist die Vision, einen kahlen Planeten mit einem Gravitationszentrum, einer erdähnlichen Atmosphäre und Wasser auszustatten und ihn bewohnbar zu machen. Wenn man auf die Erde blickt hat dieselbe Utopie zu weitreichenden Veränderungen geführt, die den Planeten umgeformt haben, nicht unbedingt zum Vorteil. Der Mensch hat ganze Ökosysteme verändert, künstliche Welten erschaffen und Geräte entwickelt, die die Funktion von Natur übernehmen. Der Ausstellungstitel „user-defined landscape“ stammt aus dem Druckermenü eines Lasercutters, der für mich Kunstwerke herstellt. Ich finde, der Begriff gibt ein gutes Gefühl dafür, dass eine „landscape“ nicht nur eine natürliche Landschaft ist, sondern zunehmend auch als Zeichenfläche oder Werkstück gesehen wird.
Wie zeigt sich die Verflechtung von Natürlich und Künstlich in deinen Arbeiten?
Ich denke, dass wir allgemein an einem Punkt sind, wo die Rubriken „natürlich“ und „künstlich“ nicht mehr vollkommen klar zugeordnet werden können. Wir leben mit oder in einer artificial nature. Unser Essen kommt teils aus dem Labor und selbst Feldfrüchte stammen aus vermeintlich perfektioniertem Saatgut. Das, was wir als Natur bezeichnen, z.B. Wälder und Wiesen, ist zu einem Großteil nicht naturbelassen, sondern gedüngt, gerodet, neu gepflanzt, trockengelegt und begradigt. Technische Neuerungen versuchen eine intakte Natur zu ersetzen. Dieses Missverhältnis beschäftigt mich schon lange und spiegelt sich in meiner Kunst. Alle meine Werke sind Hybride aus hochtechnisierten Verfahren und archaischen Techniken, aus künstlichen Werkstoffen und Naturmaterialen. Der Turbokapitalismus, die Überproduktion von kurzlebigen Geräten und Produkten und die schonungslose Ausbeutung von Ressourcen sind unsere Hauptprobleme. Aber das alles befeuert auch meine Kunst. Und so bin ich – wie wir alle – idealistisch und pragmatisch / informiert und naiv zugleich.
Wie empfindest du das momentane Verhältnis des Menschen zur Natur?
Seltsam entkoppelt. Die Menschheit hat in ihrem Fortschrittsglauben übersehen, dass sie Teil eines komplexen Ökosystems ist und auch davon abhängt. Wir sitzen in unseren Häusern, Büros, Autos und haben jedes Gefühl dafür verloren, dass wir auf dem Planeten sind und auch in Zukunft dessen Wasser, Lebensmittel, Sauerstoff, Licht, Wärme benötigen werden. Wir verhalten uns, als wären wir nur Beobachter von außerhalb. Wir denken, von außen auf ein Terrarium zu blicken, sind aber doch in dem Terrarium. Wir sind alle grobe Erdtouristen, und verhalten uns, als wäre jederzeit ein Neustart möglich.
In der Beschäftigung mit deinem Werk stellt sich mir die Frage, ob es Referenzen zur Landart Bewegung gibt? Auch bei einem deiner früheren Projekte hast du in die Stadtlandschaft eingegriffen.
Natürlich gibt es Bezugspunkte. Landart ist ja auch Terraforming und mich fasziniert die großzügige aber minimalistische Geste, die Auswahl von Material, die Platzierung, die wie bei archaischen Kultstätten eine Ausrichtung zur Sonne, zum umgebenden Gelände mitdenkt. Auch die Ferne von jeder Zivilisation und die Weite. Wenn wir jetzt aber in meiner Ausstellung stehen, in dem Glaskasten der Galerie und über Landart sprechen, passiert bei mir gleich eine Verschiebung des Maßstabs. Der Galerieraum wird zum Terrarium und zur Simulation oder auch zu Projektionsfläche für Landschaft. Die einzelnen Objekte hier in der Ausstellung sind klein, aber sie verweisen auf etwas größeres.
Du sprichst von einer künstlichen Landschaft, dabei fällt mir die Beleuchtung deiner Ausstellung auf. Beim Betreten des Raumes läuft man unmittelbar auf ein vertikales Lichtbündel zu. Spielt die Beleuchtung eine besondere Rolle?
Ja, anstelle der gleichmäßigen Deckenbeleuchtung habe ich alles Licht zu einer leuchtenden Stele gebündelt, die nun wie eine künstliche Sonne den Raum beleuchtet. Das verwandelt den Ausstellungsraum noch mehr in ein Terrarium. Die Lichtsäule kann Lichttemperaturen von 3000-5500 Kelvin abstrahlen und eine Zufallsprogrammierung berechnet in immer neuen Zyklen den langsamen Wechsel von Warmweiß, Tageslicht, Kaltweiß. So hat die Beleuchtung gleichzeitig etwas lebendiges. Der Raum ist nie der gleiche, sondern in einem ständigen Zustand des Neuladens. Die unterschiedlichen Lichttemperaturen wechseln sehr subtil und sind nicht auf den ersten Blick bemerkbar.
Das Licht ist also immanenter Teil des Konzepts?
Beleuchtung ist ja ein sehr altes Thema in der Kunst, schon in Barockgemälden ergibt sich Atmosphäre durch die bewusst überlegte Lichtquelle und das entstehende Hell-Dunkel. Ich arbeite sehr viel mit Licht, da es den Raum unterschwellig vollkommen verändern kann.
Im hinteren Raum ist ein weiteres Lichtobjekt, das ganz anders funktioniert. Ein durchsichtiger mit grüner Flüssigkeit gefüllter Hohlkörper. Die Flüssigkeit ist in Bewegung und die Tropfen erzeugen Wellen, die auf dem Boden und der Wand des Raumes sichtbar sind. Ist es ein geschlossener Kreislauf?
Das Lampenobjekt ist inspiriert von einem Bioreaktor zur Algenzucht. Es ist ein geschlossenes System: Eine kleine Pumpe befördert ständig Flüssigkeit nach oben und ein Programm lässt die Flüssigkeit aus dem Schlauch in unterschiedlichen Rhythmen wieder herab tropfen. Die auftreffenden Tropfen bringen die Wasseroberfläche in Schwingung und die sich kreisförmig ausbreitenden Wellen werden von den runden Wänden des Gefäßes zurückgeworfen, wodurch sich ein fast hypnotisches Muster ergibt, das Ausbreiten und Zusammenziehen von Kreisen. Dicht über der Wasseroberfläche hängt eine Lampe, die die Wellenmuster durch das Wasser in den ganzen Raum darunter projiziert, wie ein Diaprojektor. Es ist interessant, wie dieser einfache Aufbau die Raumwahrnehmung vollkommen verändert: der Boden scheint flüssig und beweglich zu sein und wir mitten drin.
Du warst 2018 in der Cité Internationale des Arts im Herzen von Paris und 2019 mit einer Residency auf Fogo Island in Neufundland, die Orte könnten unterschiedlicher nicht sein. Welche Impulse hast du bei beiden Aufenthalten für deine künstlerische Arbeit bekommen?
Von Paris habe ich vor allem Erinnerungen an warmen Sandstein. Die Sandsteinfassaden geben der Stadt ihr unverkennbares Licht und die sanfte Atmosphäre. Ich war viel in der ägyptischen Sammlung im Louvre. Beide Bezugspunkte kann man auch bei den steinigen Skulpturen in der aktuellen Ausstellung spüren. Das große 2-Kanal-Video mit den sanften Wellen ist auf Fogo Island entstanden. Das Wasser im Video wirkt fast karibisch, einladend. Es ist in Wirklichkeit aber eiskalt, da sich der flache Pool in einem riesigen Eisberg befindet. In dem Pool mischt sich das Schmelzwasser mit dem Meer. Ein Zustand der nur von kurzer Dauer ist, da sich Eisberge ständig verändern. Über den Labradorstrom kommen jedes Jahr von Mai bis Juni riesige Eisberge aus Grönland nach Neufundland. Die vom Wasser geformten Eisberge sind die schönsten Skulpturen, die ich je gesehen habe. Und während man sie noch anschaut, schmelzen sie schon weg.
Was hat es mit Luhmanns Zettelkasten für dich auf sich?
Niklas Luhmann war ein wichtiger Systemtheoretiker und Soziologe. Das spannende: er hatte eine ungewöhnliche Arbeitsstruktur: alle Gedanken, Theorien und Ideen waren auf Karteikarten in unglaublich vielen Kästen einsortiert, die sein gesamtes Arbeitszimmer eingenommen haben. Während der Arbeit ist er im Raum herumgewandert und hat Zettel von hier und dort gezogen und dadurch sehr spannende Querverbindungen herstellen können. Das ist konzeptuell sehr nah an meinem etwas chaotischen Inspirationsarchiv und meiner Vorstellung von Verflechtung verschiedenster Dinge und Hierarchien.
WANN: Noch zu sehen bis 1. August.
WO: Galerie Nir Altman, Alpenstrasse 12, 81541 München. (Neuer Space!)