So gut ist Prag
"SUMO | The Odd Year"

6. September 2020 • Text von

Es gibt Millionen Gründe, nach Prag zu fahren. Für mich entscheidend sind vor allem zwei: Hackgerichte von Naše maso und Kunst. Die Szene vor Ort ist überschaubar, aber exquisit. SUMO ist die perfekte Einsteigerveranstaltung. Für ein Wochenende schließen sich kommerzielle und nicht-kommerzielle Galerien der Stadt zusammen, laden Gäste ein, zeigen, was sie haben.

Links: Ein Handschuh mit überkreuzten Fingern und verschiedenen Anhängern. Rechts: Ein Model, darunter der Schriftzug "you lie and I hate".
Nina Beier: “Fingers Crossed Crossed Fingers”, 2019. Courtesy of Croy Nielsen. // Romana Drdova: “I am not humiliated. Do not be afraid you will not be put to shame. Do not fear disgrace You will no longer remember the shame and the sorrows” (detail), 2020. Courtesy of Lucie Drdova Gallery.

Es ist ein schöner Trend: Galerien einer Stadt laden Galerien aus anderen Städten ein, in ihren Räumlichkeiten auszustellen. Die lokale Kunstszene zeigt sich vereint von ihrer besten Seite und wird gleichzeitig ordentlich aufgemischt. Austauschformate wie diese kennt man zum Beispiel aus Wien und München. In Wien startete an diesem Wochenende „Curated by“, das Galerienfestival mit internationalen Kurator*innen. In München fällt in der kommenden Woche der Startschuss für Various Others, wo Kunsträume aus dem In- und Ausland Institutionen in der Stadt bespielen. Das Prager Format dieser Art heißt SUMO. Acht Galerien in zwei Vierteln, Žižkov und Letná, alles fußläufig und hervorragend an einem Tag zu erleben.

Wir starten bei Lucie Drdova. Und die hängt die Latte bereits gefährlich hoch. Zu Gast in ihrer Galerie sind Croy Nielsen und Vin Vin aus Wien. Der Floor Plan ist in “in the beginning”, Wohn- und Schlafzimmer eingeteilt. Und weil es gern direkt zur Sache gehen kann, beginnen wir da, wo der Abend sonst endet. Dino Zrnec steuert dort nämlich eine besonders hervorragende Arbeit bei. Er hat den Raum – anstelle eines Betts – mit bunten Teppichen ausgelegt. Manche Stücke sind Stoffreste, das Herzstück aber hat er anfertigen lassen. Zu sehen ist eine dunkle Silhouette, umgeben von Grün, Grau, Violett. Nicht zu sehen: die ebenfalls gestaltete Kehrseite seiner Arbeit, nur ganz grob sind Formen zu erkennen. Dass die Herstellung eines solchen Objekts ungewöhnlich und kompliziert ist, klingt plausibel. Ob man mal kurz eine Ecke anheben darf? Zum Druntergucken? Man darf.

Megan Dominescu. Courtesy of Anca Poterasu. // Megan Dominescu. Courtesy of Anca Poterasu. Foto: Anna Meinecke.

„The Unremarkableness of Disobedient Desire“, heißt die Ausstellung, kuratiert von Laura Amman. Diese hat ihr Zitate aus Sapienza Goliardas Roman The Art of Joy“ zur Seite gestellt, ein seinerzeit provokanter Schinken über Lust und Widerstand. Und da ergibt es natürlich Sinn, dass Romana Drdova auf Seidenbahnen kunstgeschichtliche Referenzen, zeitgeistiges Grafikdesign, Bilder von Sextoys mit wütenden Worten paart. Denn die Erotik dieser Ausstellung ist eine Widerspenstige. Bei den Fotografien von Kazuna Taguchi ist die Rebellion subtiler angelegt. Indem sie die Augen der Nymphe Eurydike benennt, dreht die das Narrativ weg von Orpheus, dessen ungeduldige Augen es waren, die die Geliebte in ihr Schattendasein verbannten. Nina Beiers mit handgerollten Zigarren gestopfte Waschbecken in Pastellfarben sind entweder genauso explizit, wie das Stopfen in Hinblick auf Lust eben gedeutet werden kann, oder auf eine Weise subtil, die dem Betrachtenden die Bedeutung der Installation verschleiert. In jedem Fall sind sie köstlich anzusehen.

lítost wird von der rumänischen Galerie Anca Poterasu bespielt. Hier gluckst das Millenial-Herz, denn Megan Dominescu trifft den Humor einer Generation – oder vielleicht auch einfach einer bestimmten Ecke des Internets. „Rug Hooking“ heißt die Technik, derer sich Dominescu bedient. Dabei werden mit einer Nadel gleichmäßige Schlingen aus weichen Wollfäden in Stoffuntergrund gestochen und das sieht fabelhaft flauschig aus. Dominescus Arbeiten sind ein bisschen kitschig, ein bisschen drüber und rasant präzise gezielt. Schönheitswahn und psychische Krankheiten macht sie zum Thema – und dann imaginiert sie auch noch des Internets Lieblingsfeindin Karen, wenn sie einen pinkfarbenen Hund mit Headset verkünden lässt: „Yes, this is the manager speaking.“ Die Gruppenausstellung „In the Midst oft he Worst, the Best Times“ reflektiert neue Realitäten der Pandemie und damit konsequenterweise auch viel meme-igen Humor, denn wessen Bildschirmzeit ist während der Lockdown-Wochen nicht mal etwas überproportional ausgeschlagen?

Emma Pryde: “Classica”, video still. Courtesy of the artist.

Sehr Kind ihrer Zeit ist auch die amerikanische Künstlerin Emma Pryde. Ihre Arbeiten eröffnen die Ausstellung bei Berlinskej Model. Zeichnungen hängen im Fenster, eine Wand ist mit Tapete der Künstlerin tapeziert, auf kleinen Screens laufen ihre Videos. Prydes Arbeiten kommen in Pastelltönen daher und sind auf den ersten Blick so süß wie das Kinderzimmer eines neunjährigen Mädchens in den 90ern. Auf den zweiten sind sie genau so düster wie die Gedanken des nicht länger neunjährigen Mädchens, dass seine Kindlichkeit abgestreift hat.

„Fantasy Finery“ heißt die von Monika Čejková kuratierte Ausstellung, für die sie sich von der Fernsehserie „Westworld“ hat inspirieren lassen. Momente der Intimität, etwa wenn man durch ein Loch in der Wand die glamourösen Zeichnungen von Mel Odom in Form einer Dia-Show erspäht, kontrastiert Čejková mit brutalen Bildern von Vanessa Conte. Die zeigt Frauenkörper im Moment höchsten Schmerzes. Absurderweise nicht ohne Humor werden ihren Figuren die Nippel abgeklemmt, sie stürzen Rolltreppen herunter oder winden sich unter Fahrrädern. Man kann nicht weggucken und muss sich drum der Faszination des Abstoßenden ergeben. Horse & Pony aus Berlin hat übrigens den Soundtrack zur Schau beigesteuert.

Vanessa Conte: “Rebellion Fail”, 2018, graphite on paper, 24x18inches. Courtesy of Ginerva Gambino. // Mel Odom: “Red Kiss”, 1980. Courtesy of the artist.

SUMO besticht mit Positionen, an denen man sich noch nicht sattgesehen hat. Ohne Künstler*innen Unrecht tun zu wollen, die sich längst als grandios bewiesen haben: Die Faszination der Veranstaltung liegt darin, dass sie ein Entdecken neuer Schätze in einer Dichte ermöglicht. Dafür lohnt sich die Fahrt nach Prag allemal.

SUMO findet einmal im Jahr statt, in diesem Jahr von Freitag, den 4. September, bis Sonntag, den 6. September. Die Ausstellungen in den Galerien haben unterschiedliche Laufzeiten. Das gesamte Programm gibt es online.

Vielen Dank für die Einladung, SUMO.

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