Noch so ein komisches Jahr
"SUMO": Zu Gast in Prag

14. September 2021 • Text von

Nichts spricht gegen Prag und das gilt gegenwärtig ganz besonders. Im Rahmen des Austauschprojekts für Ausstellungsräume “SUMO” haben Spaces vor Ort Kolleg*innen aus dem Ausland eingeladen. Dabei herausgekommen sind zwei Handvoll exzellente Shows, für die man ruhig mal die Bahn über die Grenze nehmen kann.

Mary Audrey Ramirez: “They Miss Being Aware of Time”, Galerie Petra Martinetz in der Polansky Gallery im Rahmen von “SUMO: The Odd Year II”. Photo: Jan Kolsky.

Kaum hat die Königin sich aus dem Staub gemacht, bricht Chaos aus. Ohne die Führung ihrer einstigen Herrscherin nehmen sich die Ameisen auseinander. Ganz recht, das kriegerische Spektakel in der Polansky Gallery involviert Ameisen. Nach pinkfarbenen Zyklopen-Dinos und alienaugigen Ratten hat sich Mary-Audrey Ramirez für bunte Vielfüßler entschieden. Gelb, violett und pink-grün stehen sie sich auf schwebenden schwarzen Lackstoff-Wülsten gegenüber. Teils feindlich gesinnt – einige Tierchen verbeißen sich ineinander, eins ist bereits zu Boden gegangen, teils überlegend. Der Galerieraum ist die Bühne für „They Miss Being Aware of Time“, die Momentaufnahme eines Schauspiels, dessen Vorgeschichte und Fortgang sich Besucher*innen dazu denken müssen.

Im Rahmen der zweiten Ausgabe von „SUMO“ warten neun Prager Galerien und Off-Spaces mit exzellenten Ausstellungen auf. Die meisten von ihnen haben Kolleg*innen aus anderen europäischen Ländern oder aus den USA zu Gast. Das Programm ist also international, während das Festival lokale Kunstakteur*innen als Gastgebende richtig gut aussehen lässt. Die Polansky Gallery hat sich für die Kölner Galerie Petra Martinetz entschieden, Berlínskej Model hat dem italienischen Kollektiv Like A Little Disaster die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt.

Installationsansicht “Gelatine”, Like a Little Disaster at Berlinskej Model im Rahmen von “SUMO: The Odd Year II”. Arbeiten von Romana Drdova, Jaana-Kristiina Alakoski und Lucia Leuci. Photo via Berlinskej Model.

„Galatine“ heißt die Ausstellung bei Berlínskej Model. Der Name wurde von einem italienischen Milch-Bonbon geborgt. Man hat die Hand kaum in die Snackschale getaucht, um ein eben solches zu probieren, da erschließt sich auch schon das Thema der Show. Mal verkürzt: Es wird laktiert. Ein Druck von Jaana-Kristiina Alakoski zeigt eine schweinsnasige Frau, der Lucia Leuci feigenförmige Nippel aufgesetzt hat. Weißlich spitzt es ihr auf die ausgebreiteten Schenkel, wobei sich nicht abschließend klären lässt, inwiefern da nicht auch ein grüner, ins Bild ragender Wurm Sekret abgesondert haben könnte.

Das wohl einprägsamste Bild aus Katy MacCarthys Videoarbeit „Supply“ ist eine Brust, aus der eine lila fluoreszierende Flüssigkeit rinnt, die Metallkonstruktion auf der Romana Drdová dunkelgrün gefärbtes Leder aufgespannt hat, ist bei genauerem Hinsehen mit einer spitzen Brust versehen. Man könnte an ein Nähren denken, gerade wenn man Leucis pastellfarbenes Zombie-Baby auf dem Arm hält, das während der Eröffnung mit mehr oder minder großer Abscheu von Besucher*in zu Besucher*in gereicht wird. Es ist kein exklusiv warmes Nähren, in dieser Ausstellung kommt der Austausch von Körperflüssigkeit immer auch ein bisschen nasty daher.

Botond Keresztesi: “N.W.A. – Nothings Works Anymore”, Installationsansicht, Everybody Needs Art bei Lítost im Rahmen von “SUMO: The Odd Year II”. Photo: Lenka Glisníková. // Kris Lemsalu & Kyp Malone: “It’s a Family Affair”, Installationsansicht, Temnikova & Kasela bei Hunt Kastner im Rahmen von “SUMO: The Odd Year II”. Photo via Hunt Kastner.

Bei Lítost ist Peter Bencze aka Everybody Needs Art zu Gast, er zeigt den ungarischen Maler Botond Keresztesi. Der hat ein Faible für Abkürzungen und so sind seine surrealistisch futuristischen Arbeiten hier unter dem Titel „N.W.A.“ zu sehen – das N.W.A. steht in diesem Fall für „Nothing Works Anymore“. Funktioniert den wirklich gar nichts mehr? Eine gute Frage in Anbetracht der Tatsache, dass „SUMO“ auch im zweiten Jahr als „The Odd Year“ angekündigt wird. Wieder ist Pandemie, wieder ist im Spätsommer irgendwie alles noch möglich und die Sorge, dass der Spaß im Herbst vorbei ist, doch groß. Umso schöner zu sehen, dass das Festival unter anhaltend komplizierten Bedingungen in diesem Jahr sogar noch besser als im Vorjahr geworden ist.

Die Galerie Temnikova & Kasela aus Tallin zeigt bei Hunt Kastner Kris Lemsalu & Kyp Malone, also Keramiken und eigenwillig spirituelle Zeichnungen. Besonders schön: Malones Videoarbeit im hintersten Raum des Spaces. Man lässt sich in den Fat Boy sinken, trippy Bildkompositionen in rasanter Taktung werden untermalt von einem Liebeslied von Kyp für Kris: „Christ your pussy’s a miracle, gives me something to live for, when life’s sucking on chalk.“

Installationsansicht “Dožínky”, POP-UP Galerie AVU im Rahmen von “SUMO: The Odd Year II”. Photo via POP-UP Galerie AVU.

Allen Ausstellungen gerecht zu werden, würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Muss ja aber auch gar nicht sein. Anders als im vergangenen Jahr haben Besucher*innen nämlich nicht nur für die Dauer eines Wochenendes, sondern noch einen ganzen Monat lang die Gelegenheit, sich selbst von der Qualität des Festivals zu überzeugen. Kendall Jenner auf Metallgitter entdecken bei A.M. 180, über einen Rubik’s Cube im Aquarium staunen bei Zahorian & Van Espen, eine Villa nach Kunst absuchen dank der Lucie Drdova Gallery oder Brote zählen in der POP-UP Galerie AVU. All das ist möglich, Prag ist schließlich gar nicht so weit weg.

WANN: Die Ausstellungen laufen noch bis Freitag, den 15. Oktober. Dann ist Schluss mit „SUMO: The Odd Year II“.
WO: An verschiedenen Orten in Prag. Eine Übersicht mit allen Ausstellungen findet ihr hier.

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