Auf das Dach steigen
Gruppenausstellung im Studio Hanniball

31. Oktober 2025 • Text von

Es war nass, rutschig, dunkel und kalt auf den Dächern der Jugend. Und dennoch traf man sich dort, rauchte von den Eltern geklaute Zigaretten, sah cool aus mit dem verschmierten Eyeliner und kicherte. Abrutschen? Das kann schon passieren. Die Gruppenausstellung “1 Person per sqm” im Studio Hanniball thematisiert das jugendliche Gefühl der Verunsicherung und des Haltsuchens.

Studio Hanniball 2025 1personPerSQM 2
1 Person per sqm, Studio Hanniball, Installation view. Photo: Erik Gustafsson.

Es gibt sie noch, die klapprigen, kreativen Orte im Prenzlauer Berg. Sie sind rar geworden, verstecken sich in den Hinterhöfen der Kopfsteinpflasterstraßen und sie sind trotz beziehungsweise aufgrund der alten Gemäuer die wahren Inseln der Jugend. So auch das Studio Hanniball, eine Galerie, die auch Projektraum ist und sich respektvoll in die Umgebung einfügt, nichts verdrängt, sondern einlädt. Im Rahmen der kürzlich eröffneten Gruppenausstellung “1 Person per sqm”, kuratiert von Dominika Bednarsky und Jan Koslowski, setzen sich 21 Künstler*innen mit dem Thema der Unsicherheit auseinander – und alles begann auf dem Dach.

Viele wissen, wie sich nasse Dachpappe unter den Händen anfühlt, wie sie den Sneakern Grip verspricht, aber ihr Versprechen nicht hält und wie sie in der heißen Sommersonne riecht. Sie prägte die Sinne einer Jugend, bot vielen Cliquen einen Unterschlupf über den Dingen. Dort wurde der Tratsch des Tages ausgetauscht, geknutscht und geraucht. Auf ein solches Dach können Besucher*innen des Studio Hannibal durch das Fenster klettern, nur nicht zu viele auf einmal. Die titelgebende Beschilderung gibt vor: Nur eine Person pro Quadratmeter. Wer einen Quadratmeter ergattert hat, kann nun wieder das einprägsam rutschige Gefühl der Jugend unter den Händen spüren. Und sich davon durch die Ausstellungsräume tragen lassen.

Studio Hanniball 2025 1personPerSQM 16
Enea Toldo, “Soft ouch”, 2024, iron, wax, 24 x 18 x 0,5 cm. Photo: Erik Gustafsson.

Zwei silbrig glänzende, langfingrige Hände aus Metall lehnen klein an der Fußleiste. Sie liegen luftig übereinander, im Moment der Annäherung, aber als trauten sie sich noch nicht, Zärtlichkeiten auszutauschen. Ob ihre Berührungen weich und warm sein könnten, ist fraglich. Das scharfkantige Metall und die krallenartige Erscheinung lassen einen erschaudern und doch erinnert Enea Toldos Arbeit “Soft ouch” an erste Intimität, Überwindungen, an Aufregung und kalte Hände.

An innere Kämpfe, eine unbändige Überschwemmung an Emotionen, die in die Ecke drängen und Schreie lösen erinnert Maša Stanisićs Schwarz-Weiß-Fotografie. Nackt und mit verzerrter Mimik passt sich ein junger Mann mit seinem Körper einer Raumecke an. Drück sich in sie hinein, sackt gleichzeitig zusammen und spreizt seine Beine entlang der Wände. Wohin mit sich? Mit all den Gefühlen? Fragen schwappen aus dem Bild, überschwemmen einen wie früher, als noch so viel in Frage stand.

Studio Hanniball 2025 1personPerSQM 6
Dominika Bednarsky, “French Kiss”, 2024, glazed ceramic, 53, 8, 12 cm. Photo: Erik Gustafsson.

Auf der Fensterbank kämpfen zwei Hirschkäfer, stoßen auf einem Baguette balancierend mit blutrotem Geweih gegeneinander. Im Nebeneinander der gezackten Waffen entsteht ein Herz. Dominika Bednarskys Keramik “French Kiss” zeigt einen Balanceakt zwischen Verletzung, Kampf und Zärtlichkeit. Ein Ringen, das Erinnerungen an den ersten Herzschmerz weckt, an die ungezähmte rohe Jugendliebe und die Angst vor Zurückweisung. 

Auf dem Boden brummt ein Diaprojektor, der hockenden Besucher*innen einen technischen Wind ins Gesicht pustet. Er riecht und klingt nach den ersten Computererfahrungen, an das Warten darauf, dass er hochgefahren ist und endlich Sims gespielt werden kann. Auf einem Dia von Magdalena Mitterhofers Arbeit “Palermo Karussel” erscheint eine Zeichnung von einem Strichmännchen, das fegt. Danach fällt ein beschriftetes Bild rasselnd vor die Linse: “I only clean when I have guests.” Und auf einmal riecht die Projektorbrise auch nach Einsamkeit und Trägheit.

Studio Hanniball 2025 1personPerSQM 7
Bahar Kaygusuz, “ann göbel”, 2022, PVC, 150 x 150 cm. Photo: Erik Gustafsson.

Abgetrennt wird diese Intime Raumecke von Bahar Kaygusuz groß auf PVC aufgespannten Fotografie “ann göbel”. Ann sitzt die Beine angewinkelt auf einem Bett, sie hat blaue Flecken an den Beinen, die Laken um sie herum sind zerlegen. Dem Blick der Porträtierten ist Trotz abzulesen, vielleicht auch eine Mischung aus Langeweile und Selbstbewusstsein. Als würde sie der Privatheit des Raumes mit einer Coolness im Blick entgegenwirken wollen. Doch die Privatheit und Verletzlichkeit ist kaum zu kaschieren, vor allem nicht in dem Raum, den dieses Werk gemeinsam mit den es umgebenden kreiert. Die Hüllen sind längst gefallen. 

Vorbei an Fid. Fischers Arbeit “Institution”, die eine eben solche abbildet, die aussieht, wie eine Institution aussieht, groß und einschüchternd, nur hier ist sie viel weicher und in Pastelltönen gezeichnet, kommen die Erinnerungen an die ersten Tage an der Uni hoch. Eine große Schwelle, ein verunsichernder Schwellenzustand, geprägt von dem Drang, dazugehören zu wollen, nicht uninteressant zu sein, mithalten zu können, auf allen denkbaren Ebenen. Ein Fuchs, der auf einem Balken voller Nägel wandelt, leitet einen Raum weiter, wo Joshua Yesni Arnauts Wandobjekte “Loser” und “Poser” die institutionelle Bewertungs- und Ausgrenzungsangst aufgreifen.

Studio Hanniball 2025 1personPerSQM 1
“1 Person per sqm”, Studio Hanniball, Installation view. Photo: Erik Gustafsson.

Der Schriftzug “Loser” glitzert ironisch schick in der Raumecke. Er setzt sich aus alten Kristallen des großmütterlichen Kronleuchters zusammen und verleiht dem “Loser” eine warme familiäre Aura des Verlustes. Der “Poser” wurde aus spitzen Nieten geschrieben, an den will man nicht ran. Hier, im hinteren Teil der Ausstellung wird es thematisch schwerer, härter und dunkler. Eine Stimme, die der Videoarbeit “Locus Amoenus/ Liebliche Orte” von Olga Hohmann, Lukas Kesler und Cajus Kesler entweicht, füllt den Raum mit Geschichten einer Jugend in Berlin, Geschichten von gebrochenen Knochen und hässlichen Orten, an denen man sich dennoch traf.

Unweit der akustischen und visuellen Erzählungen werden die problematischen Schichten der Institution Polizei und ihre Rauheit von Enea Toldos Wandobjekt “To police violence” mithilfe von Ton, Sand und Stahl visualisiert. Wie Erdschichten aus Schleifpapier überlagern sich die Ebenen, die mit spitzen Drähten zusammengehalten werden und scheinen zu zeigen, wie tief und systematisch die Gewalt schon eingesickert ist. 

Studio Hanniball 1personPerSQM MG 5725
“1 Person per sqm”, Studio Hanniball, Installation view. Photo: Erik Gustafsson.

“1 Person per sqm” erzählt von Wachstumsschmerzen, sie sind physisch und psychisch. Sie drücken sich wie Dachpappe in die Handballen und reiben auf, wie Schleifpapier – und sie brechen junge Herzen. Besucher*innen können hier entlang der eigenen Jugend wandeln, sich der Gefahr des Abrutschens und Einstürzens nochmals so richtig hingeben oder einfach eine Zigarette auf dem Dach rauchen. Und wenn es mal wieder rutschig wird, immer daran denken: A winner is a loser who tried one more time.

WANN: Die Gruppenausstellung “1 Person per sqm” läuft noch bis Samstag, den 29. November.
WO: Studio Hanniball, Pappelallee 15, 10437 Berlin.

Weitere Artikel aus Berlin