Ein starker Auftritt Stevie Dix über Mode als Rebellion
10. Juni 2020 • Text von Teresa Hantke
Pastos, expressiv, monumental. Die Werke der belgischen Malerin Stevie Dix eröffnen kuriose Bildräume und ungewohnte Blickwinkel. Ansichten auf alltägliche Begleiter des Menschen – den Schuh als ästhetisches Objekt. Auf amüsante Weise erzählt Dix in ihren Arbeiten Geschichten modischer Meisterwerke, die uns durch das Leben tragen. Mit gallerytalk.net sprach die Künstlerin darüber, ob Mode gleich Kunst sei, was Trump über ihre Heimat sagt, und was die Kunstwelt von den Ausschreitungen gegen Rassismus zu lernen hat.
gallerytalk.net: Ich finde es immer interessant, wenn ich mit KünstlerInnen spreche, die keine klassische Laufbahn an einer Kunstakademie hinter sich haben. Auch du bist Autodidaktin. Wie kamst du zur Malerei?
Stevie Dix: Meine Mutter ist Künstlerin. Rückblickend erscheint es einleuchtend, dass man sich für das Gleiche entscheidet. Gleichzeitig hat es eine Weile gedauert, bis ich das erkannt habe. Obwohl ich gezeichnet und gemalt habe, wusste ich im Alter von 19 einfach nicht, was ich letztendlich machen wollte. Deshalb habe ich mich auch nicht an einer Kunsthochschule beworben. Ich habe die Aufnahmeprüfung für eine Modeschule gemacht, aber habe es aufgegeben. Dann habe ich für sechs Monate Kunstgeschichte studiert. Auch das habe ich abgebrochen und bin nach London gezogen. Die Ausbildung in Belgien ist quasi kostenlos, so dass ich diesen Weg vielleicht geringer geschätzt habe. Jahrelang habe ich dann in Bars gearbeitet, bis ich schließlich zur Malerei fand.
Du hast einen sehr eigenen Stil und einen hohen Wiedererkennungswert in deinen Arbeiten. Der dicke pastose Farbauftrag zieht sich durch eine Reihe deiner Bilder. Damit verleihst du deinen Motiven, hauptsächlich überdimensional große Plateauschuhe mit Absatz, eine ziemliche Dominanz, was ich recht amüsant finde. Was fasziniert dich an Schuhen?
Mode war für mich als Kind sehr wichtig. Dort wo ich aus Belgien herkomme, kleiden sich die Menschen konform, verstecken sich, passen sich an. Es hat mich gelähmt und ich wollte mich nicht anpassen. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich komisch aussehe. Ich habe mich für den umgekehrten Weg entschieden und begann zu rebellieren. Die Mode gab mir die Möglichkeit, mich gegen die Angst vor dem Anderssein aufzulehnen. Meine Großeltern mütterlicherseits waren beide Schneider, also wurde mir das Nähen in die Wiege gelegt. Das Geschäft meines Vaters ging bankrott, als ich Teenager war. Er hatte riesige Schulden und meine Eltern kämpften um jeden Cent. So fing ich an, meine Kleider und Schuhe selbst zu nähen oder zu ändern. Mode war für mich immer ein sehr wirkungsvoller Weg zur Flucht.
Eine Reihe von Bildern der Plateauschuhe zeigst du auch in deiner momentanen Ausstellung „The nearer the ground the louder it sounds“ – deiner ersten Einzelausstellung in Frankreich – in der Pariser Galerie Chloé Salgado. Einige der Malereien mit den Schuhen tragen die Namen von Straßen in Brüssel. „Boulevard Anspach“, „Avenue Emile de Beco 41“ und „I followed you into the deep“. Welche Rolle spielt Brüssel dabei?
Meine Beziehung zu Brüssel ist unglaublich romantisiert. Meine Großeltern lernten sich dort kennen, meine Mutter wurde dort geboren, ich verbrachte als Teenager meine Zeit damit, die Stadt und Bars zu erkunden, und lernte dort schlussendlich sogar meinen Mann kennen. Die „Avenue Emile de Beco“ ist eine Straße in Ixelles, in der es ein Soundstudio mit Zimmern gibt, wo mein Mann mit seinen ehemaligen Bandkollegen wohnte, als wir uns kennenlernten. Der „Boulevard Anspach“ ist ein sehr bekannter Boulevard in Brüssel. Ich erinnere mich, dass ich dort noch etwas eingeschüchtert von der Stadt mit meiner besten Freundin auf- und abstöckelte, um von einer Party, für die wir eigentlich zu jung waren, zur nächsten zu gehen. Aus irgendeinem Grund fühlen sich diese Abschnitte meines Lebens unbedarft, melancholisch an. Brüssel ist eine dieser Städte, vor denen Außenstehende scheinbar Angst haben. Ich glaube, Trump sagte, Molenbeek sei ein Höllenloch (lacht). Das ist doch die beste Werbung, dass man sofort hinmöchte! Außerdem ist es der Teil von Brüssel, aus dem meine Familie stammt. Ich finde, dass die Stadt unglaublich lebendig und pulsierend ist.
Du siehst die Schuhe also auf der Straße? Oder woher nimmst du deine Inspiration?
Gemälde sehe ich als Momentaufnahmen von Animationen. Es gibt eine Regel, die besagt, dass ein Werk erst fertig ist, wenn es sich anfühlt, als ob sich das Abgebildete bewegt oder gerade aufgehört hat, sich zu bewegen. Ich habe das Gefühl, dass es Füße sind, die durch die Stadt laufen. Der Betrachter legt sich hin, das Ohr am Boden, unbemerkt von den Passanten.
Sind die Plateauschuhe auf deinen Gemälden inspiriert durch die „Tabi“-Stiefel von Maison Margiela?
Davon habe ich bereits Paare gemalt, aber nicht explizit für diese Ausstellung. Sie sind einfach vollendet designt. Wie sie der Struktur des Fußes folgen! Ich habe herausgefunden, dass Martin Margiela aus Genk stammt − genau wie ich! Ich hätte nie gedacht, dass es jemand aus Genk herausschafft! Deshalb fand ich es lustig, einen ikonischen Schuh von ihm zu malen. Ich hätte auch so gerne ein Paar, kann sie mir aber nicht leisten. Das war aber eine zusätzliche Motivation, sie zu malen.
Hohe Schuhe oder Turnschuhe?
Hohe Schuhe! Ich bin 1,60 m groß und muss Absätze tragen, um nicht zum Bauchnabel anderer Leute zu sprechen.
Ist Mode gleich Kunst?
Es gibt unglaubliche Modedesigner. Diese schönen kreativen Köpfe, denen es gelingt, Mode zu erschaffen, die den Körper umschmeichelt. Marc Jacobs ist großartig. Er ist ein Beispiel für einen Designer, der in erster Linie ein Künstler ist. Auch Jacquemus ist jemand, der es schafft, Schönes, Kreatives und Ehrliches zu designen. Und dann gibt es Künstler, die Gemälde auf Stoff malen, die zu Kleidungsstücken werden, die als Installation ausgestellt oder von Menschen während einer Performance getragen werden, wie die Arbeit von Zadie Xa. So etwas finde ich unglaublich. Leider geht die Kunstfertigkeit verloren, wenn Mode zu dieser riesigen profitablen und ausbeuterischen Industrie wird. Mode wird dann aus Profit gemacht, nicht aus Liebe zum Handwerk.
Kann denn auch High-Street-Mode in einer Form Kunst bedeuten?
Wenn man an einer belebten Straße in einer Stadt wie Berlin, Paris oder Brüssel, einer Gruppe junger Leute zusieht, die alle High-Street-Marken tragen − denn realistisch gesehen ist es das, was sich junge Leute leisten können – dann können die auch gut darin aussehen. Das liegt aber nicht an der billigen Kleidung per se, dafür möchte ich nicht werben, eher verurteile ich das. Das ist eine ekelhafte Industrie! Aber was ich sagen will, ist, dass wir als etwas ältere Generation, von Kunst und Mode oft denken, dass Mode nur dann ausdrucksstark ist, wenn sie von einem bekannten Designer gemacht wurde. Manchmal ist es jedoch der Akt des Tragens von Kleidungsstücken, der sie besonders macht. Selbst, wenn das Kleidungsstück aus einer Fabrik stammt. Im Stil liegt die Kunst. Das ist eine Form eines Selbstausdrucks, der für junge Leute eine viel greifbarere Sprache ist, als Bilder in einer Galerie. Darin liegt der Wert.
Was macht etwas dann zu Kunst?
Ich würde sagen die Absicht?
Stevie die letzte Frage aus gegebenem Anlass, bezogen auf die aktuelle politische Situation in den USA. Rassismus und Gewalt beeinträchtigen den Alltag von Schwarzen und farbigen Menschen in den USA und auf der ganzen Welt. Was muss sich ändern? Was muss sich speziell in der Kunstwelt ändern?
Die Kunstwelt ist immer noch eine anmaßende, weiße Industrie. Es liegt an allen Weißen, die Privilegien anzuerkennen, denen wir auf jedem Schritt unserer Reise hierher begegnet sind und jetzt Veränderungen herbeizuführen. Es reicht nicht einfach mit dem Finger auf die Spitze zu zeigen. Nicht nur die Mega-Galerien und Museen sind für Veränderungen verantwortlich. Es liegt an uns allen: kleinen Galerien, Project-Spaces, KuratorInnen, SchriftstellerInnen, KünstlerInnen, StudentenInnen. Wo können wir als Einzelne anfangen, unser System in Frage zu stellen? Vor allem wir weißen Frauen in der Kunstwelt können diese Unterschiede nicht einfach negieren und so tun, als ob es keine Arbeit zu erledigen gäbe. Wir müssen anfangen, die Stimmen schwarzer KünstlerInnen zu hören und ihnen Raum bieten. Es gibt grandiose Arbeiten von tollen KünstlerInnen wie Jadé Fadojutimi, Rhea Dillon, Lewis Hammond, Kemi Onabulé, Rachel Jones, Tau Lewis, Jonathan Lyndon Chase, Somaya Critchlow, Kudzanai-Violet Hwami, Nina Chanel Abney, Cheyenne Julien, Alvaro Barrington an − interview sie oder stell sie am besten aus!
WANN: Die Ausstellung “The nearer the ground the louder it sounds” von Stevie Dix wurde verlängert und ist noch bis Samstag, den 13. Juni 2020 zu sehen.
WO: Galerie Chloé Sagaldo, 61 Rue de Saintonge, 75003 Paris.