Produktive Parallelwelten Sophie Erlund in der Galerie PSM
6. August 2021 • Text von Julia Meyer-Brehm
Dystopie oder Utopie? Sophie Erlunds Einzelausstellung „Destined to Protect the Productive“ thematisiert die Verflechtung biotischer und technologischer Systeme. Statt in ferner Zukunft scheinen diese Netzwerke schon jetzt, in einer Parallelwelt, ihr Unwesen zu treiben. In der Galerie PSM übernehmen sie nun auch den Ausstellungsraum.
Irgendetwas geht vor sich in der Galerie PSM: Es kreucht und fleucht in Sophie Erlunds Einzelausstellung „Destined to Protect the Productive“, in jeder Ecke meint man eine Regung wahrzunehmen. Dreht man sich um, ist alles still. Die zahlreichen Keramikobjekte, die im Raum verteilt sind, scheinen sich kreisförmig um einen zentralen Punkt geschart zu haben. Ihre Formen sind amöb-menschlich, teilweise erinnern sie an Körperteile wie Phallus, Vulva, Finger oder Darm. Sie wirken wie Überbleibsel von Lebewesen, die nun zu eigenständigen Kreaturen geworden sind und den Raum langsam für sich einnehmen.
Der Mittelpunkt ihres Interesses ist die Videoarbeit „Parliament of Entities“, in der die Skulpturen tatsächlich zum Leben erwachen: Auf dem Bildschirm verselbständigen sich die Objekte und krebsen durch den städtischen Raum. Anders, als man vielleicht erwarten würde, ist dieser jedoch nicht verwüstet oder verlassen. Es scheint keine dystopische Stimmung zu herrschen, alles geht seinen normalen Gang. Immerhin ein Hinweis darauf, dass diese Vereinnahmung nicht nach dem Ableben der Menschheit geschieht, sondern gleichzeitig, in einer kaum wahrnehmbaren Dimension. Aber wer sind diese Wesen und was haben sie im Sinn? Der Ausstellungstext verweist auf Bruno Latours „Das Parlament der Dinge“, in dem der Soziologe fragt, mit wem wir unsere Welt teilen und was außerhalb unserer Wahrnehmung liegt. Wie passend!
Sophie Erlund schreibt keine Antwort auf die Fragen vor, die einem bei der Betrachtung ihrer Werke durch den Kopf gehen. Aber sie gibt Hinweise, den Ausstellungstitel zum Beispiel: “Destined to Protect the Productive” ist eine Referenz auf Hannah Arendts Werk „Vom tätigen Leben“, in dem die Politologin der Frage nachgeht, wer am politischen Leben partizipiert. Das gibt einem zumindest eine Idee davon, dass es auch bei Erlund um politische Teilhabe geht. Trotzdem bleiben Mehrdeutigkeiten, die lediglich eine vage Vorstellung davon verschaffen, wer denn jetzt wie und wo das Ruder in der Hand hält. Vermutlich sind das nämlich die Produktivsten unter uns.
Gleich nebenan ragen wunderschön bunt Erlunds „Core Samples from the Technosphere“ aus dem Parkett. Die Monolithen, die in den tollsten Pastellfarben leuchten, ähneln gigantischen Bodenproben und zeigen das materielle Erbe der postindustriellen Kultur. Der Querschnitt durch das Anthropozän besteht hauptsächlich aus menschlichem Müll: Haare, Hardware, Metallteile und bunte Elektroden blitzen hervor und machen deutlich, welche Spuren der Mensch hinterlässt. Einerseits faszinieren die ambivalenten Skulpturen, andererseits lassen einen die vermeintlichen Überbleibsel nachdenklich werden.
Das Zusammenspiel von Technologie und Umwelt wird vor allem in Erlunds Assemblagen deutlich: In „Gentle Interdependance 2“ sind mehrere Schwammpilze mit Elektroden verbunden und bilden eine Symbiose beider Systeme. Im Schaukasten daneben erkennt man Zahnräder und Ketten, die ebenfalls etwas Organisch-Fleischliches vernetzen. Der Eingriff der Maschinen in unser Privatestes ist mit Sicherheit schon vollzogen, hier scheint er sowohl unheilvoll als auch funktional. Als Betrachter*in muss man sich trotzdem nicht entscheiden, ob man das gezeigte Szenario nun für dystopisch oder utopisch hält. Vielmehr scheinen all diese Prozesse bereits in einer Parallelwelt stattzufinden. Erlund visualisiert neu zusammengesetzte Formen und Wesen, ein Gegenseitig und ein Gleichzeitig, das in selbem Maße subtil verunsichert wie fasziniert.
Im hinteren Teil der Galerie gibt es mit „Office of Erbulian Strategies: The 37th Session“ dann noch ein Ausstellungs-Sahnehäubchen obendrauf. Als gemeinsames Projekt haben Sophie Erlund und Shannon Bool „The Office of Erbulian Strategies“ ins Leben gerufen, um Unterbewusstsein, Funktionalität und Materialität zu erforschen. Bei PSM wandeln sie auf den Spuren der Psycholog*innen Melanie Klein und Sigmund Freud. Zu sehen ist eine Installation von Möbelobjekten im Setting einer Therapiesitzung. Von der Decke hängen leuchtende Babybäuche, aus Lautsprechern tönt die von den beiden Künstlerinnen abgewandelte Niederschrift eines Analysegesprächs. Bool und Erlund ironisieren dabei so manches Psycho-Klischee und entwickeln eine spannende Verspinnung von Design, Psychoanalyse und Genderfragen.
WANN: Die Ausstellungen „Destined to Protect the Productive“ und „Office of Erbulian Strategies: The 37th Session“ sind noch bis Sonntag, den 22. August, zu sehen.
WO: PSM, Schöneberger Ufer 61, 10785 Berlin.