Pornstar Maritimi Sonja Yakovleva bei Robert Grunenberg
30. Mai 2025 • Text von Lara Brörken
Der Blick ist politisch, das wird im Feld der Nacktheit besonders deutlich. Sonja Yakovleva, Queen des sexpositiven Scherenschnitts, hat sich auf Sylt umgesehen, Blicke analysiert und in scharfsinnigen, expliziten Arbeiten eingefangen. FKK-Idylle war einmal, längst haben Sexismus, Geld und rassistische Eskapaden die Insel entzaubert.

“Superfigur im Bikini: Für Anita gab es Blikke und Belästigungen” und “Gewagter Test: Als sich Anita mit freier Brust sonnte, blickten selbst mutige Männer weg. Ungestört genoß das Mädchen seinen Urlaub”. Eine Artikelsammlung, gefunden im Sylter Archiv, liegt an der großen Fensterfront der Galerie Robert Grunenberg aus. Vor allem die zweite Bildunterschrift, die Anitas Nacktheit am Strand von Sylt kommentiert, scheint zu sagen: Mädels, reißt euch die Bikinioberteile vom Leib, dann lassen euch die Männer in Ruhe.
Ach so, ja, dann schauen wir doch mal, wie heute so geguckt wird, dachte sich daraufhin Sonja Yakovleva, die die feministische Kraft der Nacktheit und der pornografischen Darstellung schon längst für sich entdeckt hatte. Die freie Brust ist innerhalb Yakovlevas Praxis kein “gewagter Test” und “mutige Männer” sind keine existierende Kategorie. könnte allenfalls in der Inszenierung von Frauenfiguren bestehen, die sich nehmen, was sie wollen. Yakovlevas Kunst transportiert kein Schamgefühl – was nicht ausschließt, dass sich bei deren Betrachtung doch zuweilen jemand schämen könnte.
Die erste freie Brust springt Besucher*innen direkt an, vielmehr ist es ein Rudel Wölfe, das dem Unterleib eines Hybridwesens mit Brüsten entspringt. Im Zentrum dieses übergroßen schwarzen Scherenschnitt steht der Oberkörper einer muskulären, haarigen Frau, die ihren rechten Arm lasziv an den Kopf legt und mit ihrem in den Ausstellungsraum gerichteten Blick alles Vorbeigehende anflirtet. Nach vorne bellen die Wölfe und nach hinten schlängelt sich eine imposante Schwanzflosse. Ihr Name: “Skylla das Meeresungeheuer”. Yakovlevas Schnitte sind akkurat gesetzt, umziehen und schaffen das haarige, nasse Wesen so auf wunderbar wütende Weise.

Im hinteren Teil des Raumes bezirzt ein weiteres Mischwesen die Betrachtenden. Die “Pregnant Lobster Lady” hebt ihre Scheren über den Kopf, scheint die Wellen zu zerteilen, während links und rechts Quallen, Krebse und Fische ihre imposant verzierte Schalentierhüfte umgarnen. Ihr menschliches Gesicht ist umgeben von vier Armen und Scheren. Es ist fast, als hätte man bei ihrem Anblick ein leises Klappern im Ohr. Die Lady ist bestens bewaffnet, selbst ihre Brüste stechen geometrisch und spitz hervor, erinnern an Madonnas legendären Tüten-BH. Ein schwangerer Hummer in Dolce-Gabbana-Couture? Unbedingt! Wer will denn heute noch liebliche Meerjungfrauen? Yakovleva kreiert ihre eigene feministisch kämpferische und maritime Mythologie.
In ihrer Auseinandersetzung mit der Nacktheit auf Sylt, die sich, betrachtet man Yakovlevas geschnittenen Strandszenen, über die Jahre von einer freien Körperkultur hin zu einer Gafferkultur entwickelt zu haben scheint, ist Yakovleva auf überraschend unspießige Lebensrealitäten in der Geschichte der heute als konservativ verschrienen Insel gestoßen. So gründete die Tänzerin, Schauspielerin und Kabarettistin Valeska Gert in den 50er-Jahren den legendären Nachtklub “Ziegenstall”, in dem Tänzerinnen sich ganz nach ihrem Gusto bewegten, kleideten und entkleideten. Ein expressiver, unordentlicher Raum des Exzesses, der abseits jeglichen Chi Chis funktionierte. Mit “Valeska Gerts Ziegenstall” setzt Yakovleva der wilden, progressiven Performerin ein Denkmal. Die Arbeit zeigt Gert in und neben der Silhouette Sylts, denn: Valeska hat sie mitgeformt.

Geprägt von Nachkriegsgedankengut, waren die Rollenbilder auch in Valeska Gerts “Ziegenstall”, immer noch weit entfernt von feministischen Idealvorstellungen, aber auch da kann Yakovleva helfen. Mit “Legendäre Wiedereröffnungsparty im Pony Klub nach Übernahme durch ein Szene-Gastronominnen Trio” schneidet sie mit unglaublich präzisem Handwerk einen Raum, in dem es nur so an Frauen wimmelt, jede ganz auf ihre Weise leicht bekleidet und sorgenfrei. Alle versammeln sie sich unter einem prächtigen Kronleuchter, tanzen und strömen durstig in Richtung der Getränke. Eine vom male gaze gelöste Party. Das Pony, heute einer der bekanntesten Orte auf Sylt, wird bei Yakovleva zum Safe-Space.
Dabei sieht die Realität anders aus: 2024 grölten Pony-Gäste ohne jegliche Bedenken lauthals rassistische Parolen. Aufnahmen der Feiernden gingen viral. Ein Jahr später wurde nur gegen eine Person Strafbefehl erlassen – der Mann hatte den rechten Arm gehoben und mit dem anderen einen Hitlerbart angedeutet. Die Ermittlungen gegen die übrigen Personen wurden eingestellt. Laut Staatsanwaltschaft erfüllten die Worte “Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!” den Tatbestand der Volksverhetzung nicht. Wen das fassungslos macht, dem hilft vielleicht das: Mein linker, linker Platz ist frei, ich wünsche mir drei Szene-Gastronominnen herbei.

Die Fantasie ist ein tröstlicherer Ort als das Pony. Mit “Ocean of Fantasies” gestaltet Yakovleva eine sexy Unterwasserwelt. Das Papier ist rund und im Zentrum dieses Kosmos herrscht eine nackte, zufrieden lächelnde Frau, der die Muttermilch aus den Brüsten fließt. Um sie herum tummeln sich Krebstiere, Lobster-Ladies, Frauen, die vergnügt auf Karpfen reiten, ihre Vulven zeigen und mit ihren Schwanzflossen kokettieren. Männer gibt es auch, sie sind allerdings rar gesät und tauchen vor allem dort auf, wo sexuelle Befriedigung gebraucht wird.
Das Triptychon “Bro Bad I-III” widmet sich den Männern unter sich. Es zeigt, wie sie einander nackt am Saum des Meeres und in seinen Wellen Bälle zuwerfen, sich in die Fluten stürzen oder mit ihren Surfbrettern posieren. Mit Körpern, die an Michelangelos David erinnern, stehen sie da auf ihrem Segelboot, im Kontrapost versteht sich. Ihnen haftet die griechische Mythologie an; eine verspielte Klasse, die jedoch in Narzissmus zu kippen droht. Kommt eurem Spiegelbild bloß nicht zu nah, Jungs!

Sonja Yakovlevas Sylt ist von Anitas bewohnt, die sich zeigen, wie sie wollen. Sie gehen im Burkini surfen, zeigen sich mal mit freier Brust oder sonnen sich in knappen Bikinis. Und es gibt Männer, die da gerne hingucken – mutig! Yakovlevas maritimer Lustakt ist ein Schlag ins Gesicht derer, die Frauen unterdrücken, die veralteten Rollenbildern und rassistischen Parolen frönen. Ihre Sylter Geschichte handelt von weiblicher Lust, ist von weiblicher Hand geschnitten und zeigt einen Blick, einen weiblichen Stolz, der dem Male Gaze den Stinkefinger zeigt. Sonja Yakovleva zerschnippelt, nein, zerfetzt das Patriarchat. Ach, Sonja, mach doch mal einen Nachtklub auf!
WANN: Die Ausstellung “Reizklima” läuft noch bis Samstag, den 14. Juni.
WO: Galerie Robert Grunenberg, Kantstraße 147, 10623 Berlin.