Existenzfragen im Schokoladenbad Sonja Alhäuser über Fettengel und Vergänglichkeit
16. März 2020 • Text von Julia Meyer-Brehm
Sonja Alhäuser baut Skulpturen aus Butter oder Schokolade und zeichnet Rezepte für koschere Gummibärchen. Die Werke der in Berlin lebende Künstlerin spielen auf unsere Fest- und Esskultur an und lassen sich häufig mit mehreren Sinnen wahrnehmen. gallerytalk.net hat sie erzählt, wie Moral und Überfluss zusammenhängen und welche Rolle die Verführung dabei spielt. Na, Appetit?
gallerytalk.net: Wassereis, Margarine, Sekt und Schokolade – die Materialien Ihrer Skulpturen lesen sich wie ein Bummel durch den Lebensmittelmarkt. Wie hängen Kunst und Essbares zusammen?
Sonja Alhäuser: So wie andere Materialien auch mit der Kunst zusammenhängen. Aus Schokolade lassen sich jenseits von Pralinen metergroße Reliefs gießen und Margarine hat für mich ideale bildhauerische Qualitäten. Hinzu kommt, dass jene Skulpturen theoretisch und auch praktisch verzehrbar sind. Das Essbare hat für mich allem voran eine ephemere Komponente: Es ist nicht für die Ewigkeit bestimmt und hat einen optimalen Zeitpunkt der Frische und des Verführerischen, was inhaltlich für mich wichtig ist.
In der Ausstellung „Amuse-bouche“ im Museum Tinguely gehen Sie dem Geschmack von Kunst auf den Grund. An anderer Stelle durften die Besucher*innen Ihre Werke auch schnuppernd erkunden. Ist die Interaktion mit Ihren Werken ein wichtiger Bestandteil?
Ja, unbedingt. Wenn ich wie hier mit einem Material wie Schokolade arbeite, beziehe ich alle vorhandenen Eigenschaften mit ein, da gehören die Erfahrungen des Riechens und das Schmeckens unweigerlich mit dazu. Ich denke, dass man sich den Arbeiten daher sehr direkt und unmittelbar nähern kann, eben nicht nur über das Anschauen. Auch wenn man die Skulpturen nicht immer essen kann, passiert dies dann stellvertretend in Gedanken.
Ihre festlich angerichteten Bankette erinnern an überladene Stillleben des Barock. Inwieweit spielt die Veränderlichkeit oder sogar Vergänglichkeit in Ihrer Arbeit eine Rolle?
Die Vergänglichkeit meiner Arbeiten sehe ich als Zeitraffer für unsere eigene Existenz. Ganz im Sinne des Barocks gilt es, das Lebendige und Frische zu feiern – aber eben mit dem Wissen der Endlichkeit allen Lebens. Das kann gute Momente doppelt so schätzenswert machen.
Apropos Überfluss: Wie sieht es mit Verschwendung von Lebensmitteln aus? Sind Ihre Arbeiten eine Kritik an der Wegwerfgesellschaft oder sehen Sie sich selbst als Teil davon?
Ich nenne es positive Verschwendung. Um Überfluss und Fülle zu zeigen, muss man überbordend arbeiten und aus dem Vollen schöpfen. Inhaltlich beschäftige ich mich zwar mit dem Überfluss, der mir diese Arbeiten ermöglicht, aber ich entscheide mich weder für ein rein kritisches noch für ein ausschließlich positives Statement. Es sind keine moralisierenden Arbeiten, vielmehr entstehen sie aus den täglichen Erfahrungen, aus einem Sammelsurium von Eindrücken. Aus Dingen, die mir fehlen oder solchen, die mich wundern. Sie finden in der Arbeit einen Raum, in dem ich diese Eindrücke zusammenfügen kann.
Für das Schokoladenmuseum in Köln haben Sie eine biblische Szene, den Dreikönigsschrein, aus Schokolade geformt, aktuell schwirren Putti aus Margarine durch das Futurium in Berlin – wie kommt es zu der Verbindung von Religion und Nahrungsmitteln?
Materialien rufen immer auch Assoziationen hervor, bei Zuckerwaren und Schokolade ist es die Verführung und der Wunsch des Sich-Einverleibens. Das empfinde ich besonders in Verbindung mit einer religiösen Skulptur als sehr vielschichtig und passend. Gerade der christliche Glaube ist eine wahre Fundgrube für Bilder, in denen es um Sättigung, Befriedigung und Nahrung geht. Die seelisch-geistige Sättigung wird ins Physische übertragen: Man bricht das Brot und verteilt damit den Leib Jesu und trinkt sein Blut in Form von Wein, um die Erlösung zu feiern. Die parallele Welt des tatsächlichen Verzehrens und dessen symbolische Kraft haben mich als Faktum immer schon interessiert.
In jeder und jedem von uns steckt vermutlich diese kindliche Lust, mit Essen zu spielen oder zu bauen. Mit welchem Material würden Sie gerne in Zukunft arbeiten?
Mit Eiscreme und Zuckerrübensirup.
Arbeiten von Sonja Allhäuser sind bis zum 17. Mai im Rahmen der Ausstellung “Amuse-Bouche” im Museum Tinguely in Basel als auch als Teil der Dauerausstellung des Berliner Museums Futurium zu sehen. Das Museum Tinguely bleibt allerdings als Maßnahme gegen die Ausbreitung des Corona-Virus voraussichtlich bis zum 13. Mai, das Futurium voraussichtlich bis zum 14. Mai geschlossen.