Brat summer auf dem Breitscheidplatz "Sommer 24" von CCA in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche
20. August 2024 • Text von Lara Brörken
Im Foyer der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche hat sich ein wilder Sommer breit gemacht. Mit “Sommer 24” von CCA entsteht ein erfrischend unsteter Kunstrundgang, der von brutalen Fratzen an den Wänden über Blumenbildchen zu einer Lichtinstallation aus Abfall führt. Mühelos und zaghaft reagieren Kunst und Raum miteinander.
Eingetreten in den Flur, der den Lippenstift, den neuen Turm der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wie eine Nabelschnur mit seinem vorgelagerten Foyer verbindet, dringt ein leicht modriger Geruch in die Nase. Er bringt eine direkte Keller-, aber auch Gemeinderaum Assoziation mit sich, eine Erinnerung im Zwielicht von Konfirmationsunterricht und daran, in alten staubigen Kisten nach Schätzen zu suchen. Durch das milchige Glas und seiner vorgelagerten Beton-Kassetten-Struktur dringt ein mildes Licht in den teakgetäfelten, rechteckigen Innenraum.
Dieser scheint gänzlich in Kassetten aufgeteilt, sodass Besucher*innen von einem umlaufenden Gang in fünf rechteckige, innen liegende Räume eintreten können. Wände, Glas und Einbauschränke alle von horizontalen und vertikalen Streben durchzogen. Der Raum an sich schon Kunst genug? Nicht, wenn der “Sommer 24” eingezogen ist. Dann versteckt sich hier noch mehr.
Ein einem Guckkasten zum Beispiel. Darin liegen Kupferplatten, in die von Albert Leo Peil kleine Punkte eingeschlagen wurden, die in ihrer Gesamtheit ein mythisches Bild aus Körpern und Formen ergeben. Kurz ist es wie im Ägyptischen Museum, damals mit 10 Jahren und staunendem offenem Mund. Von dieser tiefen Ehrfurcht, jedoch gegenüber dem queeren Leben, träumt Peil in seinen Arbeiten post mortem weiter, drückt mit seinem hinterlassenen Oeuvre einen tiefsitzenden Wunsch nach einer majestätischen Heiligung des Queeren. Versteckt im Türrahmen drückt Ketuta Alexi-Meskhishvili diesem Wunsch mit ihrer Polaroid-Fotografie “Quarantine Flowers” einen hoffnungsvollen Stempel auf.
In der nächsten Kassette, der großen verglasten in der Mitte, lehnen Aluminiumplatten von Thea Djordjadze, unterschiedlich gebogen aneinander gelehnt an der Holzvertäfelung, durchbrechen das matte Interieur. Ein Klavier steht hier auch und ein grünes, beinahe “brat summer” schreiendes abstraktes Gemälde von Andro Wekua hängt an der Wand. Die Verglasung links und rechts im Raum ist wie von Kinderhand mit Fingerfarbe bemalt – poetisch und frei. Alles außer Kinderhände trifft zu, denn auch hier waren es die von Thea Djordjadze. Zusammenhänge zieht in diesem Raum das Planlose, das sommerliche Drauflos, das kindliche Entdecken und die Freude an der Überraschung.
Über den Flur, diesen eher bürokratisch angehauchten Foyer-Kreuzgang, geht es von Raum zu Raum. Einer wird beleuchtet von einer Lampe aus Fundstücken von Klara Lidén, die von ihrem schweren Beton Fuß aus ihren Metallhals in den Raum reckt und ihn mit einem leuchtenden Wasserkanister beleuchtet. Diese Lampe erinnert an den Tiefseefisch, der mit seinem Licht seine Beute ins Verderben lockt.
Doch das Verderben wartet erst einen Raum weiter, wenn die Fratzen in Nika Kutateladzes kleinen Gemälden ihre Zähne fletschen oder mit schwarzen ausdruckslosen Augen aus der Dunkelheit herausstarren. Vor dem Einbauschrank und den Fratzen noch im Hinterkopf, tickt Rosemarie Trockels Triptychon-Uhr recht bedrohlich. Die Uhr trägt den Titel “Wette gegen sich selbst”, was wohl das Gummi-Gesicht im linken Flügel anspricht, das sich im spiegelnden Material niemals selbst ignorieren kann.
Der “Sommer 24” ist durchwachsen, heiß und kalt, hell und dunkel. Er bietet einen kühlen Unterschlupf inmitten der von Hitze aufgeladenen umliegenden Straßen. Der Lärm des Ku’damms und des Zoos verstummt und die Erinnerungen an alles, was auf dem Breitscheidplatz geschah und was permanent im Großstadtdschungel passiert scheint gefiltert einzudringen, tröpfelt in Form von Kunst durch das architektonische Sieb der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Wir gedenken solchen und solchen Sommern, hitzigen Albträumen und hellen Tagen, an denen uns die Farbe an den Fingern klebte.
WANN: Die Ausstellung “Sommer 24” ist noch bis Sonntag, den 15. September zu sehen.
WO: CCA Berlin – Center for Contemporary Arts, Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Foyer Gebäude, Breitscheidplatz, 10789 Berlin.