SOLID GOLD #10
Jay Gard

30. April 2021 • Text von

Der Künstler Jay Gard ist ein Multitalent. Neben der Kunst baut er Möbel, spielt in einer Band und ist gerade dabei sein eigenes Designlabel zu gründen. Für das Bauhaus Dessau hat er letztes Jahr Marcel Breuers Designklassiker, den Stahlrohrhocker B 9, neugestaltet und während dieser Zeit im ehemaligen Atelier eines Bauhausmeisters gewohnt und gearbeitet.

Jay Gard im Atelier. Foto: Adam Naparty
Jay Gard im Atelier. Foto: Adam Naparty

In seinen Ausstellungen führt Jay Gard die Besucher durch kulissenartige Architekturen, die an alte Bauwerke vergangener Epochen oder Denkmäler erinnern. Seine Kunst zeigt, dass sich Erinnerungen und der Rückblick auf Geschichte im stetigen Wandel befinden. Im Gespräch mit gallertalk.net geht er auf diesen Aspekt genauer ein und verrät, welche neuen Projekte dieses Jahr anstehen, was ihn am Prozess des Baues so sehr fasziniert und wieso Vögel ein sehr viel größeres Farbspektrum wahrnehmen als der Mensch.

gallerytalk.net: Blickt man sich in Deinem Atelier um, fallen vier quadratische Holzplatten ins Auge, auf denen jeweils ein kreisförmiger Fächer mit verschiedenen Farbverläufen sitzt. Was haben diese Arbeiten mit Francis Bacon zu tun?
Jay Gard: Ich nenne diese Arbeiten Farbkreise und diese hier beziehen sich auf das Ölbild „Lying Figure,1969“ von Francis Bacon. Die wichtigsten Farbwerte aus seinem Bild habe ich nachgemischt und trage sie auf Holzplättchen auf. Ich setze die Plättchen dann neu zusammen und ordne sie fächerförmig dreidimensional an. Dadurch lerne ich Bacons Farbpalette kennen und verstehe seine Farbharmonien etwas besser.

Barbara Green und Jay Gard im Atelier
li. Barbara Green und Jay Gard im Atelier, re. Katalogabbildung von Francis Bacons Maleriei „Lying Figure,1969“, Fotos: Adam Naparty

Farbtöne aus einem Gemälde hast Du auch für eine Installation aus Vogelhäusern extrahiert. Welches Kunstwerk diente als Vorlage und was untersuchst Du in den verschiedenen Darstellungen von Farbkreisen?
Die Farben für diesen Vogelhausfarbkreis kommen aus Cecily Browns „Bend Sinister“ – ein Bild, das mich schon lange fasziniert und dessen Farbharmonien ich in mittlerweile 11 Kreisen durchanalysiert habe. Vögel haben auch Rezeptoren für Ultraviolett und damit sehen sie ein sehr viel größeres Farbspektrum als der Mensch. Ich bin gespannt, wie sie auf Cecily‘s Farbskala reagieren.

Vogelhaus Farbkreis Cecily (Cecily Brown, Bend Sinister) 2021. Foto © Studio Jay Gard
Vogelhaus Farbkreis Cecily (Cecily Brown, Bend Sinister) 2021. Foto © Studio Jay Gard

Haben jemals Vögel darin genistet?
Anfang 2020 habe ich 12 Farbtöne, also 12 Häuschen, bei Freunden in Berlin verteilt und in Hinterhöfen angebracht. Zum Jahresende habe ich die Kästen aufgeschraubt und festgestellt: BLAU ist sehr beliebt! In allen Häusern waren Gräser und Moosteilchen, aber in Häusern mit blauen Farbanteilen wurde am meisten gebrütet – da waren richtig große Nester drin. Jetzt im April installiere ich einen kompletten 12er Farbkreis in Leipzig und einen in Spandau. Die Vogel-Farb-Tests werden also immer professioneller (lacht).

Wandteppich und Stahlrohrhocker Bauhaus
Stiftung Bauhaus Dessau (I 344 T) / © (Reichardt, Margaretha (Grete)) Kaiser, Gisela / Image by Google | Stahlrohrhocker B 9 von Jay Gard für das Bauhaus Dessau. Foto: Adam Naparty

Neben der Bildenden Kunst bist Du auch an Architektur und Design interessiert, in Deinem Werk verschmelzen oft alle drei Bereiche miteinander. Zum hundertjährigen Bauhaus-Jubiläum hast Du für die Stiftung Bauhaus Dessau und Thonet eine Edition von Marcel Breuers Stahlrohrhocker B 9 neugestaltet. Wie war es für Dich, einen weltberühmten Designklassiker neu zu denken? 
Das war stark! Jeden Tag mit diesem Stahlrohr-Klassiker zu arbeiten hat Spaß gemacht. Außerdem durfte ich dafür die Bauhaus-Werkstätten nutzen und zwei Monate im Meisterhaus und Atelier von Oskar Schlemmer arbeiten und wohnen. 

Und welche Idee hast Du in Deinem Entwurf umgesetzt?
Ich habe drei Serien – insgesamt 146 Hocker-Unikate – hergestellt mit Farbtönen aus der Arbeit „Kinderzimmerteppich“ der Bauhäuslerin Grete Reichardt. Der Teppich von Grete wird auch im Museum gezeigt und man kann ihre Webarbeit direkt mit meinen farbigen Stühlen vergleichen.

Wrong History (Ausstellungsansicht Sexauer Gallery ), 2015. Foto © Marcus Schneider

Du baust große Kulissen, die von ihrer Architektur an vergangene Epochen erinnern und das kollektive Bildergedächtnis von Besuchern deiner Ausstellungen anregen, was interessiert Dich am Prozess des Bauens?
Ich denke, dass die Herstellung von Dingen dem Menschen innewohnt. In mir erzeugt es jedenfalls einen Glückszustand. Keine Ahnung, wo genau das herkommt. Vielleicht vom Urinstinkt des Nestbauens?

Deine barocken Bauten sind nicht aus Marmor, ebenso wenig wie die Hünengräber aus Stein sind. Du verwendest Sperrholz, wieso dieses Material?
Sperrholz lässt sich einfach verarbeiten und es sieht gut aus. Und Sperrholz gibt‘s in jedem Baumarkt.

Jay Gard und Barbara Green im Atelier. Foto: Adam Naparty
Jay Gard und Barbara Green im Atelier. Foto: Adam Naparty

In diesem Zusammenhang fällt auch oft der Begriff „wrong history“, was steckt dahinter?
So habe ich eine Ausstellung genannt, in der ich Architekturfragmente und ein Hünengrab aus Sperrholz nachgebaut habe. Das war 2015 – und ich erinnere mich, dass ich damals in der Lüneburger Heide lange vor einem Hünengrab gesessen, mir den Kopf darüber zerbrochen und gemerkt habe, dass sich Erinnerungen und der Blick auf Geschichte ständig verändern.

Kannst Du das etwas genauer erläutern?
Schwierig in ein paar Worten zu erklären – man sieht Gegenstände aus der Vergangenheit immer aus der Sicht der Gegenwart. Heute früh habe ich zum Beispiel einen vierfarbigen knallbunten VW Polo aus den 90ern gesehen und fand den total witzig. Damals fand ich das Auto schrecklich! Mit den kräftigen Farben und der knubbeligen Formsprache ist das Auto ein Relikt geworden. Wenn Dinge vorbei sind, ist Raum zur Legendenbildung geschaffen, dann werden die Überbleibsel zu Beispielen. Und Beispiele sind aus ihrem Umfeld herausgelöst und damit auch immer ein klein wenig falsch.

Plattenspieler und Wrong Cabinet von Jay Gard. Foto © Studio Jay Gard
Plattenspieler und Wrong Cabinet von Jay Gard. Foto © Studio Jay Gard

Im Atelier sind Prototypen und Skizzen von Nachttischen, Regalen und Hockern zu sehen. Gibt es etwa bald ein neues Projekt, dass sich mit Möbeldesign befasst?
Ich bin dabei, eine Möbel-Firma zu gründen: GARD DECOR. Ich habe ständig Ideen für witzige Möbelstücke, die mir selbst im Alltag fehlen. Nach dem Projekt mit dem Bauhaus und meinem früheren Möbellabel Vega-Leipzig habe ich viel Erfahrung mit funktionalen Gegenständen sammeln können und dieses Jahr geht‘s los mit der Umsetzung!

Und das ist nicht die letzte Neuigkeit! Es erscheint in nächster Zeit Musik von Dir und Deiner Band HotDog. Was macht ihr für Musik, wer ist dabei und wie bekommt man es hin, Bass und Schlagzeug gleichzeitig zu spielen?
Ich habe mit Simone (aka „szim“), die übrigens auch meine Studiomanagerin ist, einen guten gemeinsamen Beat und wir machen schon lange Musik zusammen. In unserem derzeitigen Musikprojekt spielt szim Gitarre und singt. Ich habe mir ein Schlagzeug so umgebaut, dass ich es nur mit den Füßen spielen kann und spiele gleichzeitig Bass. Unser Sound ist, ich würde sagen… GROOVY! Unsere erste Platte erscheint bei Grzegorzki Records. Da erscheinen gerade viele Alben von Berliner Künstler-MusikerInnen – sehr empfehlenswert!

Mit SOLID GOLD öffnen wir für euch eine Schatzkammer: Kunsthistorikerin und Kuratorin Barbara Green wirft einen Blick hinter die Kulissen des Kunstbetriebs und besucht außergewöhnliche Künstler, Kuratoren und Galeristen in ihren Produktionsstätten. Ob aufregende junge Talente oder etablierte Ausstellungsmacher – das neue Interviewformat stellt Euch spannende Persönlichkeiten des Kunstbetriebs vor.

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