Wie ein Höschen im Wind Sofia Hultén lässt bei Daniel Marzona Jeans tanzen
2. Juni 2021 • Text von Julia Meyer-Brehm
Lärmende Statussymbole und formschön-fragile DIXI-Toiletten sind in Sofia Hulténs Ausstellung „Super Call Me Fragile Ego“ zu sehen. Was das alles mit Mary Poppins zu tun hat? Ein Besuch bei Daniel Marzona gibt Aufschluss.

Sofia Hulténs Ausstellung bei Daniel Marzona trägt den kryptischen Titel „Super Call Me Fragile Ego“. Spricht man selbigen sehr schnell und ein bisschen nuschelig aus, erinnert er an den Quatsch-Begriff „supercalifragilistic(expialidocious)“ aus dem Film „Mary Poppins“. Das britische Kindermädchen hat dieses Quatsch-Wort für Situationen erfunden, in denen man sonst nichts zu sagen wüsste. Zum Glück gibt es über Sofia Hulténs Ausstellung eine ganze Menge zu erzählen. Los geht’s:
Bereits im Garten der Galerie wird man von zwei Skulpturen überrascht. Hultén hat von mobilen Toilettenhäusern große Teile der Kunststoffwände entfernt. Dermaßen entgrätet erinnern die Boxen an die feingliedrigen Strukturen von Stahlskelettbauten. Unglaublich leicht und ästhetisch sehen sie aus, ausgeschnitten und auseinandergefaltet wie fragile Architekturen, die augenblicklich wegfliegen können. So sanft hat man die sonst eher polterig daherkommenden Klos von DIXI & Co. noch nie gesehen.

Im Inneren der Galerie wird die Thematik der Straße erneut aufgegriffen. Zwei Skulpturen mit dem vielversprechenden Namen „Manly, Rainly, Moany“ bestehen aus aufeinander montierten Straßenpollern. Wie an einem Fahnenmast hat Hultén an ihnen Jeans montiert, die so heftig gebleicht sind, dass es wehtut. Sobald man sich den ausgewaschenen Kleidungsstücken nähert, sorgt ein Bewegungsmelder dafür, dass ein tosendes Gebläse startet. So flattern die Windhosen wild im Wind, das Jeanskettchen schleudert durch die Luft. Ein Mechanismus, der zuerst cool und aufregend ist, dessen Getöse man aber irgendwann bestmöglich zu umgehen versucht.
Viele der Objekte, die Hultén ausstellt, hat die Künstlerin auf der Straße gefunden und für die Präsentation aufbereitet oder verändert. Ihre dritte Einzelausstellung bei Daniel Marzona ist aber auch von persönlichen Erfahrungen geprägt, etwa von der Jugendkultur in Birmingham, wo die Künstlerin aufgewachsen ist. So vollführen nun Statussymbole einer von Unsicherheit geprägten Teenagerzeit einen Pole-Dance am Straßenpoller und wirken dabei so aufgeblasen und verunsichert wie Fähnchen im Wind. Die Aufdringlichkeit der wehenden Hosen erinnert an die plumpe Anbaggerei ebender Menschen, die sie normalerweise tragen.

Die zweite Werkgruppe besteht aus Tonplastiken, die im Raum verteilt sind. Es handelt sich um Rohre, die in der Kanalisation zum Einsatz kommen. Dunkles Acrylglas lässt vermuten, die Objekte seien randvoll mit Wasser gefüllt. Tatsächlich sind die Skulpturen, die formal an phallusähnliche Gliedmaßen erinnern, aber hohl. Eine Diskrepanz zwischen Schein und Wirklichkeit, die an das Stichwort fragile Männlichkeit denken lässt. Bei näherer Betrachtung kommt man außerdem nicht drum rum, sich in der glatten Glasoberfläche zu spiegeln. Vielleicht der Augenblick, in dem das eigene zerbrechliche Ego sichtbar wird?
An die Wände der Galerie hat Hultén insgesamt zwölf Baggerzähne montiert, die kaum als solche erkennbar sind. Die Künstlerin hat sie nicht nur gezogen, sondern auch poliert. So herausgeputzt stehen sie in auffallend glamourösem Kontrast zu ihrem sonstigen Schmuddelumfeld Baustelle. Apropos Glamour: Beim Besuch der Ausstellung wird deutlich, dass Hultén immer wieder der Schönheit des Alltäglichen huldigt. Ob Straßenpoller, Rohre, Baggerzähne oder mobile Toilettenboxen – Gebrauchsgegenstände werden von ihr zu Ikonen erkoren und ihr rotziges Image aufpoliert.

Auch wenn es viel um Fäkalien, Maskulinität und Macker-Image geht, sind Hulténs Arbeiten nie vulgär, sondern eine scharf beobachtete Annäherung an Alltagsszenerien. Durch Entfremdung gelingt der Künstlerin sowohl die Umdeutung als auch die Doppeldeutung von Objekten. Die dabei entstandene Mischung aus Hochglanz und Funktionalität macht die Ausstellung spannend. Für Besucher*innen ergibt sich daraus ein spielerisches Assoziieren – und ein lang anhaltender Mary-Poppins-Ohrwurm.
WANN: Die Ausstellung „Super Call Me Fragile Ego“ läuft bis Samstag, den 12. Juni.
WO: Daniel Marzona, Marienstraße 10, 10117 Berlin.