Highbrow, Lowbrow, Monobrow Slavs and Tatars in der Pinakothek der Moderne
28. Juli 2021 • Text von Quirin Brunnmeier
Das internationale Kollektiv Slavs and Tatars untergräbt in seinen forschungsbasierten Arbeiten etablierte Traditionen, Bräuche, Sprache und Politik. Die diskursiven Arbeiten kreisen um die Auseinandersetzung mit Glauben, Religion und interkultureller Verständigung. Die Pinakothek der Moderne hat nun eine Performance angekauft.
Es ist ein kleiner Eingriff, der doch den Anlass bietet, in einem Identitätsspiel die eigene Selbstwahrnehmung zu reflektieren, um kulturelle Codes, Schönheitsideale und Chiffren zu hinterfragen. Auf Initiative des jungen Freundeskreises der Pinakothek PIN.YC hat das Kollektiv Slavs and Tatars in der Sammlungspräsentation der Pinakothek der Moderne eine temporäre „Brow Bar“ eingerichtet. Flankiert von weiteren Arbeiten des Kollektivs lädt ein Schmink-Stuhl die Besucher*innen ein, an der partizipativen Performance „Hi, Brow!“ teilzunehmen. Den Mutigen werden von einer Visagistin mit sanftem Strich die beiden Augenbrauen zu einer einzelnen Mono-Augenbraue verbunden. Dass es hier nicht lediglich um Körperbehaarung geht, erschließt sich schnell. Die zeitweise Transformation löst Irritationen aus und eröffnet Ebenen der Reflexion. Unterschiedliche Kulturen haben verschiedene Schönheitsideale, bestimmte Praktiken werden anders gelesen und lösen Projektionen aus. Das Private ist und bleibt politisch, bis in die Haarspitzen.
Die Gruppe Slavs and Tatars, gegründet 2006, zählt zu den relevantesten internationalen Künstlerkollektiven. Sie verhandeln in vielen ihrer Werke das Thema des Kulturtransfers zwischen dem Westen und Eurasien. Gegründet als „Lesegruppe“ oder „Buchclub“ begannen sie relativ schnell, intellektuelle und sensorische Erfahrungen, Bilder und Texte zu verbinden. Neben ihren Objekten begreifen sie weiterhin Publikationen und Performances als zentralen Teil ihrer künstlerischen Praxis. Die Mitglieder beschreiben sich selbst als “eine Fraktion von Polemiken und Intimitäten, die sich dem Gebiet östlich der ehemaligen Berliner Mauer und westlich der Chinesischen Mauer widmet, das als Eurasien bekannt ist.” Ausgehend von der These, dass Sprachen, Gesten, Rituale und Waren schon immer über vermeintliche Grenzen zwischen Orient und Okzident hinweg gereist sind, recherchieren sie in literarischen und historischen Quellen. Ihre hybriden Arbeiten dringen in komplexe Bedeutungsebenen vor, verbinden Geschichte, Deutungshoheit und die performative und politische Natur von Sprache und individueller Identität. Um Identität, ungewollte Zuschreibung, Moden und Schönheitsideale geht es auch in „Hi, Brow!“
Denn die Monobraue hat ihre ganz eigene Geschichte. Im viktorianischen England wurde sie mit kriminellem Verhalten assoziiert, in der französischen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts war sie als verräterisches Zeichen für ein Doppelleben als Werwolf etabliert. In vielen westlichen Ländern gilt sie entweder als unschick und wird durch zupfen bekämpft oder genießt periodische Wellen der Popularität. In anderen Kulturen hingegen wird sie vollkommen anders betrachtet: Im Iran ist die Monobraue ein Ausdruck der Schönheit und im Nahen Osten sowie im Kaukasus ein Zeichen von Männlichkeit und Kultiviertheit. Nicht nur die Schönheit liegt im Auge des Betrachters, in unterschiedlichen kulturellen Kontexten können auch Details sehr in ihrer Bedeutung variieren. Die Stärke der Performance „„Hi, Brow!“ ist es, auf fast spielerische Weise ein Bewusstsein für diese nur scheinbar trivialen transkulturellen Fragestellungen zu schaffen und sie in den Kontext der Kunst zu tragen. Im Amerikanischen spricht man, fast abschätzig, von Kultur als „highbrow“, wenn diese einen intellektuellen oder elitären Habitus für sich in Anspruch nimmt. Slavs and Tatars verorten nun die Monobrow im „highbrow“ Kontext der Pinakothek und senden so positive Signale der Rücksicht, auch für unseren eigenen Körper. Auf der limitierten Edition, die anlässlich der Ausstellung angeboten wird, steht mahnend der Ausspruch „Don’t tweeze to please“ – „zupfe nicht, nur um zu gefallen.“
WANN: Die Performance läuft bis zum 28. November, sonntags zwischen 13 Uhr – 16 Uhr kann man den Selbstversuch wagen.
WO: Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, 80333 München.