Gesungener Protest Simona Andrioletti in der Kunsthalle Mannheim
3. April 2025 • Text von Julia Anna Wittmann
Umgeben von gebauten Ideologien des Faschismus singen fünf Musiker*innen gegen das Patriarchat an. In ihrer Einzelausstellung “A litany for survival” zeigt Simona Andrioletti die gleichnamige und eigens dafür produzierte Videoarbeit, in der Sänger*innen feministische, italienische Protestsongs aus dem Jahr 1975 neu interpretieren.

Die Gebäude des deutschen und italienischen Faschismus sind monumental, laut und geradlinig. Sie sollen Macht, Überlegenheit und Kraft verkörpern, sind oft aus hellem Kalkstein gebaut und fungieren als Propagandainstrument. Neben der reinen Funktion sollen sie vor allem die ideologischen Ziele des Faschismus vermitteln, die Bevölkerung beeindrucken und einschüchtern. Simona Andrioletti setzt dieser Architektur aus dem Zweiten Weltkrieg etwas entgegen: feministischen, gesungenen Protest. In ihrer Videoarbeit “A litany for survival” kommen fünf Musiker*innen zu Wort, die die Architekturen verstummen lassen. Gemeinsam mit zwei Textilarbeiten präsentiert Andrioletti die neue Videoarbeit in der gleichnamigen Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim.
Die großformatige Videowand im Studio der Kunsthalle Mannheim, bestehend aus 16 Bildschirmen, zeigt nacheinander fünf Musiker*innen, umgeben von monumentalen Gebäuden faschistischer Architektur in Rom, Berlin und München. Andrioletti hat Lucrezia, Mavi Phoenix, Francamente, Fitza und Gündalein eingeladen, jeweils einen Song des 1975 erschienenen Musikalbums “Canti delle donne in lotta” (“Lieder der kämpfenden Frauen”) neu zu interpretieren. Das Album wurde von der und für die feministische Frauenbewegung in Rom aufgenommen und dient nun als Ausgangspunkt für eine musikalische Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen der Gegenwartsgesellschaft.

Andrioletti inszeniert die Sänger*innen der FLINTA*-Community vor dem Olympiastadion und dem Sommerbad Olympiastadion in Berlin, dem Stadio dei Marmi und dem Piscina dei Mosaici in Rom sowie dem Haus der Kunst in München. Auf den Bildschirmen erscheint eine junge Frau in heller Kleidung: Lucrezia. Sie sitzt am äußeren Ende der Plattform eines Sprungturms, ihre Füße baumeln über dem Wasser und sie singt über “Amore”, über die Liebe, über Besitzansprüche und verklärte, heteronormative Vorstellungen.
Mavie Phoenix schreitet langsam über die breiten Stufen einer Zuschauertribune und Gündalein rappt zwischen den Säulen eines Arkadenganges. Die Szenen der Musiker*innen werden von ruhigen Nahaufnahmen der sie umgebenden Architektur unterbrochen. Es wirkt, als taste Andrioletti die faschistischen Bauten filmisch ab – die Gebäude erscheinen auf den Bildschirmen plötzlich sanft und leise statt kraftvoll und laut.

Nacheinander erklingen die Stimmen der Musiker*innen. Sie singen von Diskriminierung, Inklusion und Gerechtigkeit an Orten vergangener Diktaturen. Ihre Kleidung wird zu einem verbindenden Element zwischen den Szenen. Sie alle sind in beige gepolsterte Westen und Hosen gekleidet, die an eine schützende Hülle erinnern und sich farblich an die Architekturen aus hellem Sandstein anschmiegen. Die Videoarbeit endet mit historischen Aufnahmen dieser Orte, überlagert mit den originalen Musikstücken der römischen Frauenbewegung.
Andriolettis Videoarbeit wird von zwei Textilarbeiten ergänzt. Die aus Merinowolle gewebten Jacquarddecken sind als Flachware an zwei Metallringen lose an der Wand angebracht und erinnern in ihrer Präsentation an Demonstrationstransparente – Motive und Texte zitieren die Ästhetik von Siebdrucken. Die Arbeiten “Text me when you get home (It’s easy to forget what is not burning your own skin)” (“Schreib mir, wenn du zu Hause bist [Es ist leicht zu vergessen, was nicht die eigene Haut verbrennt]”) und “Text me when you get home (What kind of evidence do you need to believe it)” (“Schreib mir, wenn du zu Hause bist [Welche Art von Beweis brauchst du, um es zu glauben]”) verweisen auf Vorurteile und Problematiken im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt an weiblich gelesenen Personen.

Die Künstlerin konfrontiert die gebauten Ideologien totalitärer Regime mit Liedern über patriarchale Ungerechtigkeiten. Gemeinsam fordern die Musiker*innen ihre Gleichberechtigung musikalisch ein und sprechen dabei Thematiken wie Vorurteile und Benachteiligung im Alltag, Misogynie sowie sexualitsierte Gewalt an weiblich gelesenen Personen an. Die faschistische Architektur scheint Andrioletti hierbei zur Visualisierung patriarchaler Strukturen und der Übermacht des Patriarchates in allen nationalen Diktaturen der Vergangenheit und Zukunft zu dienen. Weshalb Andrioletti die Musik und den Gesang als Ausdrucksform wählt, macht die Künstlerin im Abspann ihrer Videoarbeit deutlich: “Weil Singen die Stimme vervielfacht.”
WANN: Die Ausstellung “A litany for survival” von Simona Andrioletti läuft bis Sonntag, den 25. Mai.
WO: Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, 68165 Mannheim.