Geteilte Erfahrungen in Apartment 405 Signature Move eröffnet im Corbusierhaus
1. Juli 2025 • Text von Gast
Das Corbusierhaus im Berliner Westend ist eine Architektur-Ikone der 1950er-Jahre. Im Apartment 405 gibt es seit kurzem einen neuen Ort für Kunst: Signature Move. Es ist ein von Künstler*innen betriebener Ausstellungsraum, der seine Premiere mit einer Ausstellung feiert, die sich nicht über ein Thema definieren lässt – sondern über Lebenserfahrung. (Text: Olga Siemons)

Der Künstler Alex Winterstein wohnt seit Ende 2022 in einer Wohnung im Corbusierhaus, dem ikonischen 17-Geschosser aus Stahlbeton, geplant als vertikale Stadt für ein kollektives Leben. Dieses Apartment hat er jetzt umgebaut und zu einem Raum für Kunst gemacht, inklusive grell-orange leuchtendem Teppich. “Es ist unsere erste Ausstellung hier. Wir nennen sie wie den Raum: ‘Signature Move’. Und sie wird nicht die letzte sein”, sagt Winterstein, der gemeinsam mit dem Künstler Daniel Hopp die erste Ausstellung kuratiert hat.
Der Raum soll ein Ort der Durchlässigkeit werden – zwischen Leben und Arbeit, zwischen Kunst und Körper, zwischen Privatem und Öffentlichkeit. Diese Offenheit spiegelt sich auch im kuratorischen Prozess der Debütausstellung wider: Statt einen festgelegten thematischen Fokus zu setzen, haben Winterstein und Hopp zehn künstlerische Positionen versammelt, die sich gegen starre Konzepte in ihrer Arbeit stellen.

“Die Leute, die wir ausgesucht haben, sind eigentlich alles Leute, die in irgendeiner Art und Weise aufgrund ihrer Biografien auch mit Anonymität zu tun hatten”, sagt Winterstein. Eine unfreiwillige Anonymität kann zur Last werden – eine freiwillige wird zur Schutzmauer. Es geht um biografische Brüche, Erfahrungen von Verlust, Übergang und Neuanfang.
Daniel Rajcsanyi zeigt eine Videoarbeit, in der er selbst zu sehen ist: nackter Oberkörper, allein, wie er sich immer wieder in eine Schüssel übergibt. Eine radikale, körperlich rohe Geste zwischen Intimität und Selbstentblößung. Ist das Trauma, Kontrollverlust, Reinigung? Die Arbeit bleibt ambivalent. Doch klar ist: Der Körper ist nicht nur Träger von Bedeutung, sondern Material selbst.

Diese körperliche Unmittelbarkeit verschiebt sich im Ausstellungskontext noch einmal: Anfang Juli wird Rajcsanyi unter dem Namen Paris Böhm im Ausstellungsraum Sex-Massagen anbieten. Es geht nicht mehr nur um die Betrachtung eines Werks, sondern um Berührung, Nähe, Begegnung.
Alex Winterstein verbindet in einem großformatigen Gemälde popkulturelle Fragmente, Internetästhetik und persönliche Chiffren zu einer dichten Bildkomposition. Ein Delfin springt vor gelbem Mond, ein Maskengesicht blickt starr, darunter Autowracks und ein Tarot-ähnliches Experience-Kärtchen. “Die Arbeit ist von 2022, entstanden in einer Phase aktiver Sucht”, sagt der Künstler. “Ich arbeite heute ganz anders. Aber ich wollte es zeigen – auch um mit dieser Zeit Frieden zu schließen.”

Auf der Fensterbank steht eine skulpturale Arbeit von John Costi: ein Porträtfoto, ein Sonnenbrillenglas, Lefkara-Spitze und Sticker mithilfe von Plexiglas auf einer Schale zu einem kleinen Turm errichtet, darunter eine handgeschriebene Dankbarkeitsliste. Der Londoner Künstler war mehrere Jahre im Gefängnis, fand dort zur Kunst und schloss nach Freilassung seine Ausbildung am Central Saint Martins College ab. “Die Kunsthochschule war ein größerer Schock als das Gefängnis”, wird er von den Kuratoren zitiert. Heute macht er Theater mit Inhaftierten.
Zur Eröffnung der Ausstellung zeigte Costi eine Performance im Ausstellungsraum. Sie begann unspektakulär, fast beiläufig: Costi stand im Flur des Corbusierhauses und betrat das Apartment 405, als kehre er einfach heim. Doch was folgte, war ein leiser, eindringlicher Monolog über Trauma, Erinnerung und Verletzbarkeit – gesprochen in eine Kamera, während im Hintergrund melancholische Musik einsetzte. Seine Arbeit erzählt nicht von Reue im Laufe seines Lebens, sondern von Handlungsspielräumen innerhalb geschlossener Systeme.

Auf dem Balkon des Apartments zeigt Daniel Hopp eine sehr persönliche Botschaft: Eine Videoarbeit, an der er zwei Jahre gearbeitet hat – ohne Skript, ohne festgelegte Dramaturgie. Die Kamera wird zur Zeugin einer performativen Recherche, in der Hopp Erfahrungen wie Verlust, Drogensucht und Rückfälle verhandelt. Daggi, seine Nachbarin und eine einstige Privatdetektivin, wird zur Protagonistin. Der Schauspieler Quirin spielt Hopp, während Hopp gleichzeitig selbst vor der Kamera zu sehen ist. Die Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion verschwimmt bewusst, oder wie der Künstler sagt: “Damit es nicht über, sondern mit ist.”
“Signature Move” fühlt sich weniger wie eine klassische Ausstellung an, mehr wie ein temporäres Zusammenkommen von Menschen, Körpern und Geschichten. Wer zur Eröffnung kam, konnte sich eine Lesung von Sophia Eisenhut anhören. Späteren Besucher*innen bleibt eine stille Arbeit: eine Zeichnung auf Papier. Auf dem Boden der Wohnung stehen vier Blumenkübel, dazwischen verstreut: trockene Blätter, Erde, Reste. Eine Arbeit von Rebekka Benzenberg, die sich weniger als Objekt, sondern als Prozess versteht – in Bewegung und doch vergänglich. Auch der Toilettenraum wurde nicht ausgespart: Statt Spiegel hängt dort eine Foto-Collage von Leonard Horres, die den Blick ins eigene Gesicht verstellt. Bei Signature Move ist vieles im Prozess und es geht nicht um perfekte Setzungen, sondern um ein geteiltes Interesse daran, was Kunst im Leben sein kann.
WANN: Die Ausstellung “Signature Move” läuft bis Sonntag, den 6. Juli. Für Massagen von Paris Böhm von Donnerstag, den 3. Juli, bis Sonntag, den 6. Juli, könnt ihr euch via Instagram-DM anmelden. Zur Finissage gibt es eine Performance von Daniel Rajcsanyi sowie eine Lesung von Sophia Eisenhut.
WO: Signature Move, Apartment 405, Corbusierhaus Berlin, Flatowallee 16, 14055 Berlin.