Nur Kunst von Frauen
Lætitia Gorsy über ihre Galerie She BAM!

2. November 2020 • Text von

She BAM! ist in vielerlei Hinsicht eine traditionelle Galerie, außer dass ihre Kernaufgabe darin besteht, eine langjährige Tradition des Kunstmarktes aufzubrechen: die Unterrepräsentation von Künstlerinnen. Die Gründerin der Galerie Lætitia Gorsy teilt mit gallerytalk.net die persönlichen und politischen Aspekte ihrer Arbeit und einige Hoffnungen auf Veränderungen für Frauen im Kunstsystem. (Text: Clementine Butler-Gallie)

Kunst in der Leipziger Galerie She BAM!
SheBAM!, Installationsansicht Gaëlle Leenhardt: “Refroidissement Nocturne (NightCooling)”. Foto: dotgain.info.

gallerytalk.net: Sie haben She BAM! 2018 ins Leben gerufen. Was war der entscheidende Moment, der Sie dazu bewogen hat, eine Galerie zu gründen, die nur Frauen ausstellt?
Lætitia Gorsy: Nachdem ich fast ein Jahrzehnt in der Kunstwelt gearbeitet hatte, wurde mir die Notwendigkeit, einen Ort wie She BAM! zu schaffen, mehr als deutlich. Ich wollte auch eine Lösung für die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen von Galerien, Museen und Kunstmessen finden. Als ob Frauen nicht in der Lage wären, ernsthafte Geschäfte zu tätigen. She BAM! entstand aus der Notwendigkeit heraus, die gegenwärtige Situation zu verändern.

Würden Sie sagen, es ist eine feministische Galerie?
Mein Engagement ist politischer und sozialer Natur. Es ist aber auch wichtig, zu betonen, dass mein Engagement für Kunst und Künstlerkonzepte durch die Agenda von She BAM! nicht begrenzt wird. Es geht nicht darum, ausschließlich „feministische” Ausstellungen anzubieten, sondern vielmehr darum, eine Vielfalt künstlerischer Praktiken unabhängig von ihrem Inhalt zu zeigen. Mit She BAM! will ich vor allem eine Ausgewogenheit schaffen und zwar durch eine provozierende Position. Denn es ist einfach eine Tatsache, dass es keine Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern in der Kunst gibt, wie auch in so vielen anderen Bereichen der Gesellschaft. Das Empowerment von Künstlerinnen unterstreicht die Tatsache, dass es ein hier wichtiges Problem zu lösen gibt, indem es weiterverfolgt und demontiert werden muss.

Laetitia Gorsy, Gründerin der Leipziger Galerie She BAM!
Laetitia Gorsy. Foto: Walther Le Kon.

Wie war die ersten Reaktionen auf das Konzept?
Ich war sehr neugierig, aber auch ein bisschen beunruhigt über die möglichen Reaktionen der verschiedenen Öffentlichkeiten. Aber gleich zu Beginn hatte ich das Gefühl, dass die Leute sehr neugierig auf das Format waren, welches die Galerie bietet. Seitdem erklären wir jeder neugierigen Person immer wieder, worauf unsere Arbeit und unser Engagement fußen. Dieses Konzept braucht aktive Wege, um in die Welt getragen zu werden. Man muss es vermitteln, sich Zeit nehmen für jede Person, die Fragen hat oder interessiert ist. Wir versuchen auch, unser Format online so weit wie möglich zu verbreiten. Gleichzeitig konzentrieren wir uns immer darauf, die Künstlerinnen voranzubringen, zu unterstützen und ihnen bei ihrer Professionalisierung behilflich zu sein.

Und wie hat sich das im Laufe der Zeit verändert?
Es wächst wie ein Garten mit einer positiven Energie heran. Es ist ein bisschen so, als fühle man sich in einem sicheren Raum mit vielen Möglichkeiten und Chancen, die jeden Tag auftauchen. Ich habe das Gefühl, immer mehr zu tun zu haben, und das ist auch ein gutes Gefühl.

Kunst in der Galerie She BAM!
SheBAM!, Installationsansicht Dorothée Louise Recker “Une place au soleil”, PopUp, Paris. // She BAM!, Chloé Piot. Foto: doitgain.info.

Sie wollen Ihr Galeriekonzept nicht mit einer bestimmten Stadt fest verknüpfen. Welche Bedeutung hat es für Ihr Konzept, Künstler auch anderswo zu zeigen?
Der Ort, an dem man arbeitet, macht viel der vollen Identität aus. Ich habe begonnen, mit dem zu arbeiten, was mich umgibt. Das ist ein spontaner und effizienter Weg, ein Projekt bei Null zu starten. Trotzdem war es mir immer sehr klar, dass ich vermeiden möchte, nur mit einer bestimmten Stadt verbunden zu sein. Ich möchte eher eine nomadische Geisteshaltung haben und Ausstellungen auch an anderen Orten realisieren, um Potenziale zu erweitern, um flexibel denken zu können.

Woher kommt dieses Bedürfnis?
Das rührt vielleicht daher, dass ich als Französin zwischen Frankreich und Deutschland lebe und jeden Tag mit zwei sehr unterschiedlichen Kulturen, zwei unterschiedlichen Sichtweisen des Systems und der Arbeit in der Kunstwelt zu tun habe. Ich bin immer wieder überrascht zu sehen, wie sehr die Transversalität zwischen zwei benachbarten Kulturen und deren kultureller Praxis eine Herausforderung darstellt. Aber ich möchte diesen Überblick und eine breitere Perspektive haben, um die Wahrnehmung des Projekts auch in einer globalen Weise verkörpern zu können.

Kunst in der Leipziger Galerie She BAM!
SheBAM!, Installationsansicht Wilma Schnell “Plein Air”.

Sie haben in der Galerie zuletzt Werke von Wilma Schnell gezeigt. Es ist ihre erste Einzelausstellung im Alter von 83 Jahren. Wie ist die Ausstellung zustande gekommen?
Die Verbindung wurde durch David Schnell hergestellt. Er ist ein wichtiger und hoch angesehener Leipziger Maler, und Wilma Schnell ist seine Mutter. Ich lernte sie und ihre erstaunliche Persönlichkeit vor einiger Zeit bei einer seiner Vernissagen kennen. Sie erzählte mir von ihrer Praxis und ihrer Vision. Zur gleichen Zeit schrieb ich meine theoretische Arbeit für den Masterstudiengang “Kulturen des Kuratorischen” über “Mütter” im Kunstbetrieb aus kuratorischer Perspektive. Zu diesem Zeitpunkt war es für mich entscheidend und sehr interessant, die künstlerische Praxis von Wilma Schnell zu entdecken. Ihre Geschichte und ihr Blickwinkel waren für mich erstaunlich.

Wie kommt es, dass ihre Praxis so lange unbemerkt blieb?
Sie studierte in den 1960er Jahren an der Kunsthochschule in Düsseldorf. Seitdem praktizierte und machte sie Kunst in völliger Freiheit, indem sie sich weigerte, Teil des Kunstsystems zu werden. Dennoch ist Wilma Schnell sich dieses Systems völlig bewusst. Ich habe mich gefreut, zu hören, dass Kunst für sie eine ernsthafte Praxis ist, die außerhalb der Standards angewendet wird, die wir in unserem gesamten Berufsfeld kennen. Eine einzigartige Vision, sehr persönlich und freudvoll. Ich war beeindruckt von ihrem Diskurs und ihrem freien Geist. Sie war immer eine unabhängige Frau, eine Mutter, auch eine Lehrerin.

Kunst in der Leipziger Galerie She BAM!
SheBAM!, Installationsansicht Theresa Möller: “DIANE”. Foto: dotgain.info.

Was haben Sie sich von einer Zusammenarbeit versprochen?
Ich fand es wichtig, ihrer Position ein Raum zu geben, der auch als ein Symbol der Unabhängigkeit gegenüber den Gewohnheiten des Kunstmarktes gesehen werden kann. Ich schlug ihr vor, ihre Werke zum ersten Mal der “grand public” zu zeigen, und sie akzeptierte. Wir zeigen jetzt Werke von Wilma Schnell, die von den 1960er Jahren bis heute entstanden sind. Derartige Positionen haben einen Platz im gesamten Programm von She BAM! und sie zeigen mehr als das, was man auf den Bildern tatsächlich lesen kann. Es war für mich auch eine wertvolle Erfahrung, mal gegen den aktuellen visuellen Trend zu gehen.

Bei She BAM! haben Sie inzwischen viele Frauen aller Altersgruppen ausgestellt. Was ist Ihr größtes Anliegen und Ihr größter Wunsch, wenn Sie das Werk einer Künstlerin zum ersten Mal präsentieren?
Wenn ich mich für eine Zusammenarbeit mit einer Künstlerin entscheide, ist es eine Mischung von dem, was mich anzieht: Zufall, Intuition, eine Begegnung und eine Vision, die ich verwirklichen möchte. Ich muss daran glauben und in der Lage sein, diese künstlerische Vision zu verteidigen. Es ist mir auch wichtig, ein gutes Gefühl dabei zu haben sowie eine tiefe und vertrauensvolle Beziehung zu der jeweiligen Künstlerin.

Kunst in der Leipziger Galerie She BAM!
SheBAM!, Installationsansicht Winnie Seifert: “Mood”. Foto: dotclear.info.

Die Kluft zwischen den Geschlechtern im kulturellen Bereich kann sich auf viele Arten manifestieren. Was sind Ihrer Meinung nach speziell die Schlüsselfragen des Ungleichgewichts zwischen den Geschlechtern im Galeriesystem?
Viele Faktoren können das Ungleichgewicht im Galeriesystem erklären. Das erste große Problem ist zum Beispiel, dass es immer noch dieses hartnäckige Klischee einer sicheren Investition in einen “männlichen Künstler” gibt, welches nie Sinn gemacht hat. Und im Allgemeinen gibt es eine unausgewogene Vertretung aller Arten von Geschlechtern in den Galerieprogrammen, was auf rein imperialen Entscheidungen beruht, die von den Galeristen selbst getroffen werden. Dieses Problem der unausgewogenen Vertretung ist leider schon zu lange im System verwurzelt. Heutzutage sollten wir in der Lage sein, an die richtigen Stellen zu gelangen und damit zum Game Changer zu werden.

Zu Recht wird in den Aufrufen, die Geschlechterfrage in der Kunstwelt anzusprechen, eine gewisse Dringlichkeit empfunden. Wie gehen Sie die Frage von Langlebigkeit vs. Dringlichkeit mit She BAM! an?
Auf der einen Seite betreibe ich She BAM! wie eine “normale” Galerie, mit der täglichen Arbeit, die wahrscheinlich die meisten Galerien tun. Unser politisches und soziales Engagement aber steht an erster Stelle. Unsere Rolle besteht darin, Künstlerinnen, deren Arbeit erstaunlich ist und etwas aus unserer Zeit offenbart, zu präsentieren, für sie einzutreten und sie zu fördern. She BAM! arbeitet speziell an der Repräsentation von Künstlerinnen, was ein bisschen eine feministische Blase sein kann. Aber es ist absolut entscheidend, dass wir, wenn wir mit den Künstlerinnen im Raum arbeiten, über die Kunst sprechen, überihre Kunst, denn darum geht es. Vielleicht sieht man hierbei die Langlebigkeit.

Kunst in der Leipziger Galerie She BAM!
SheBAM!, Installationsansicht Céline Le Gouail: “This Very Long Wait”. Foto: dotclear.info.

Was ist Ihre größte Hoffnung für die Zukunft von She BAM! und wie sieht es mit den Frauen in der Kunst im Allgemeinen aus?
Weiter in diese Richtung zu gehen und diese weiter zu verbreiten. Mit engagierten Institutionen, Kollektiven und Menschen zusammenzuarbeiten, die für die gleichen Ideen eintreten. Die Grenzen zwischen der Repräsentation der Geschlechter zu verwischen. Einen wirklichen Sinn dafür zu wecken, was Gleichberechtigung sein sollte. Ich hoffe, dass ich Minderheiten, die in der Kunstindustrie arbeiten, irgendwie helfen kann, ihre Stimme zu erheben und potenzielle oder systemische Probleme des Missbrauchs anzuprangern. Einige Leute sind immer noch nicht der Meinung, dass es Ungleichheiten gibt. Das sollte sich ändern. Ich wünsche mir, dass Frauen in der Kunst genauso behandelt werden wie das gängige Klischee vom white-male-bankable-artist.

Wie meinen Sie das?
Diese Arbeit ist ein langfristiges Engagement, das mit den Künstlerinnen und mit dem Publikum betrieben wird. Die Vertretung von Künstlerinnen ist absolut dringend und sollte in den nächsten Jahren stärker verankert werden. Aber sobald man aufhört zu kämpfen, erholt sich der alte Zustand und das reine Patriarchat kommt zurück wie ein Pilz an der Wand. Niemand wird dich auffordern, für die Rechte von Frauen und Minderheiten zu kämpfen, aber wenn du es tun willst, must du die Macht ständig aufrechterhalten, um sie am Leben zu halten. Vielleicht beinhaltet Langlebigkeit auch Anpassung und Flexibilität, um dieses ständige Vorandrängen zu verkörpern.

Kunst in der Leipziger Galerie She BAM!
SheBAM!, Installationsansicht Guerrilla Girls: “Not Ready To Make Nice”. Foto: dotgain.info.

Anfang dieses Jahres haben Sie eine Ausstellung mit den berüchtigten Guerilla Girls gemacht. Wie war diese Erfahrung?
Die Erfahrung war großartig. Eine Ausstellung mit den Guerilla Girls zu machen, erschien mir als etwas Wesentliches und Dringendes! Sie waren auch sofort bereit und begeistert, mit uns zusammenzuarbeiten beziehungsweise im Kontext von She Bam! auszustellen. Natürlich arbeite ich vielfach mit aufstrebenden Künstlerinnen und solchen meiner eigenen Generation zusammen, aber ich arbeite ebenso gern mit etablierten Künstlerinnen der mittleren und älteren Generation. Das passt zu meiner Vorstellung von Intersektionalität und Vielfalt

Und zum Ende, was ist Ihr Lieblingszitat von den Guerilla Girls?
Ich würde gleich ein ganzes Buch empfehlen: “The Guerrilla Girls’: Bedside Companion to the History of Western Art“ von 1998. Es ist großartig!

Mehr Informationen zu Lætitia Gorsy und ihrer Galerie She Bam! gibt es auf ihrer Website und natürlich auf Instagram.

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