Schwere Ladung „The Way Things Run, Part II: Cargo“ bei PS120
18. Juni 2018 • Text von Benedikt Seerieder
Der Projektraum PS120 hat sich hohe Ziele gesetzt. Entsprechend startet er nicht nur mit einer Ausstellung, sondern gleich mit einer Trilogie. Das Anliegen: Die „Migration von Menschen, Objekten und Bildern als eine Grundbedingung unserer Gegenwart“ in drei Kapiteln zu reflektieren.
Was PS120 hierbei formal von anderen Projekträumen unterscheidet, ist die Strategie, kanonische Positionen der euroamerikanischen Kunst gemeinsam mit den Arbeiten jüngerer Künstlerinnen und Künstler zu verhandeln. Die aktuelle Ausstellung „Cargo“ bildet bereits das zweite Kapitel. Teil I präsentierte unter dem Titel „Loose Ends Don’t Tie“ künstlerische Positionen, die sich den historischen und kulturellen Einschreibungen von unterschiedlichen Migrationserfahrungen in Alltagsgegenständen widmete. Die Duchamp’sche Tradition des Ready-Mades wurde hierbei auf soziale Fragen und politische Lesarten zugespitzt. Teil II geht nun der Frage nach, wie Künstlerinnen und Künstler komplexe Migrationsgeschichten durch einen der wohl aufgeladensten Begriffskomplexe überhaupt – die Warenform – erzählen. Die Ausstellung bestimmt dabei die Ware nicht allein zwischen Produktion und Konsum oder Gebrauchs- und Tauschwert, sondern legt ein entgrenztes Verständnis an, das die Zirkulation von Menschen, Gütern, Bildern und Wert- und Symbolströmen miteinschließt.
Den Auftakt gibt Edith Dekyndts Skulptur „Don’t they“ (2017), welche direkt gegenüber dem Eingang von der Decke bis zum Boden hängt. Sie besteht aus schwarzen Menschenhaar. Einem Material also, dass schon lange als Ware gehandelt wird und mit unterschiedlichen Wertzuschreibungen versehen ist. Ein Teil des menschlichen Körpers wird hier selbst zum Konsumprodukt, das weltweit vertrieben wird. Während die Produzent*innen einen häufig geringen Tauschwert erhalten, dient das Haar in seiner kommerziellen Bestimmung einer normativen Schönheitsökonomie, die wiederum den sozialen Status der so geschmückten Person ausdrücken soll. In das kommerzialisierte Haar sind auf diese Weise globale Handels- und Geldströme eingeschrieben, genauso wie Konstrukte von Race, Class und Gender.
Den gesamten hinteren Raumteil nimmt Christan Kosmas Mayers „The Life Story of Cornelius Johnson’s Olympic Oak and Other Matters of Survival“ (2017) ein. Die Installation erstreckt sich über Laborkästen mit Eichensetzlingen, Textarbeiten und einem via Drohne aufgezeichneten Video und erzählt die sich fortsetzende Geschichte einer „Deutschen Eiche“ in Los Angeles. Der afroamerikanische Stabhochspringer Cornelius Johnson erhielt den Baum zu seiner Goldmedaille zur Olympiade 1936 in Berlin, obgleich ihm seine sportliche Bestleistung sowohl vom deutschen Nazi-Staat als auch in den rassistisch segregierten USA abgesprochen wurde. Johnson pflanzte die Eiche im Hof seines Elternhauses in LA. In der heute koreanisch-mexikanisch geprägten Wohngegend spürte der österreichische Künstler Christan Kosmas Mayer den Baum schließlich auf und beschloss, Setzlinge zurück nach Europa zu bringen – ein Vorhaben was sich legal nicht realisieren ließ, weil den kleinen Trieben als potenzielle Krankheitsträger die Einreise verweigert wurde.
In der losen Kopplung von Jala Whids und Alighiero Boettis Arbeit gelingt es schließlich, eine sehr junge künstlerische Positionen gemeinsam mit einem Werk zu verhandeln, das seinen festen Platz in einer nachmodernen Kunstgeschichte gefunden hat. Wahids „Embalmed in Crude Oil, Self-Ammunition“ (2018) erinnert an den Abdruck eines menschlichen Torsos. Am Boden platziert, verweist er auf die Fragilität menschlicher Existenz. Einer Existenz, die nur als Körperlichkeit erfahren werden kann und die oftmals unmittelbar als körperliche Wirklichkeit bedroht ist. Das Titelwort Crude Oil („Rohöl“) verortet die Bedrohung des Körpers in jene geopolitischen Konfliktlinien, die Alighiero Boetti bereits 1971 in seiner Serie „12 forme dal giugno, 1967“ adressiert: Zwischen 1967 und 1971 sammelte Boetti Artikel der Zeitung La Stampa, die sich mit den verändernden Grenzen aufgrund von Stellvertreterkriegen und Verteilungskämpfen auseinandersetzen und übertrug die kartographischen Umrisse in Kupferstiche. Die Folgen jener Grenzverschiebungen sind heute Bestandteil unserer unmittelbaren Lebenswirklichkeiten.
In der kuratorischen Konstellation erinnert uns nun Jala Wahid mit Nachdruck daran, dass es letztlich menschliche Körper sind, die im scheinbaren Spiel um Märkte und Ressourcen der Bedrohung preisgegeben werden. „The Way Things Run, Part II: Cargo“ erliegt weder einer unpolitischen Faszination von weltumspannenden Systemen, noch verliert sie die menschliche Dimension der häufig rein theoretisch gedachten Kategorie „Ware“ aus dem Blick. Stattdessen entfaltet das Ausstellungskapitel die komplexen Zurichtungen unserer Wirklichkeit aus jeweils konkreten sozialen und politischen Gemengelagen. Auch außerhalb des Projektraums könnten vielfach zugerichtete, menschliche Wirklichkeiten entdeckt werden, denn zu finden ist PS120 an einer der offenen Wunden der Berliner Innenstadt, Potsdamer Straße Ecke Kurfürstenstraße. Jener Straßenkreuzung des Bezirks Berlin-Tiergarten also, wo die junge Galerienszene zugleich auf Straßenstrich, Heroin und die Luxusboutiquen von Acne, Murkudis und Co. trifft. So bleibe ich gespannt auf Teil III des Ausstellungsprojekts – vielleicht findet ja dann „Berlin-Tiergarten“ auch innerhalb des Galerieraums statt?
WANN: Noch bis 7. Juli.
WO: PS120, Potsdamer Straße 120, 10785 Berlin.