Schöne neue Welt
Henry Wessel im Amerikahaus

17. Mai 2016 • Text von

Wodurch definiert sich eine Gesellschaft? Durch den Menschen, seine Umwelt und ihre Interferenz. Das Amerikahaus zeigt in „Standard & Icons“ Henry Wessels fotografische Momentaufnahme der amerikanischen Gesellschaft der 1960er- und 1970er-Jahre. Orte, Merkmale, Subjekte im Wandel und ganz viel Sonnenschein.

Henry Wessel: Pennsylvania, 1968, Fotografie, © Henry Wessel

Henry Wessel: Pennsylvania, 1968, Fotografie © Henry Wessel.

„Standard & Icons“ führt zwei Serien des amerikanischen Fotografen in schwarz-weiß zusammen, die sich zwar durch ihren Fokus unterscheiden, in Aussage und Technik jedoch zusammen gedacht und entstanden sind. In „Standard“ bildet Wessel eine klare, geometrisch strukturierte Welt ab, die sich entlang eines Rasters von Stromleitungen organisiert. Palmen ragen identisch in den Himmel und säumen Straßenzüge wie Laternenmasten. Selbst die Vögel scheinen sich mechanisch zu erheben, um einer menschlich geschaffenen Choreografie zu gehorchen. Wessel sucht, findet und dokumentiert eine omnipräsente Symmetrie, die dem menschlichen Eingriff in die Natur geschuldet ist. Seine „New Topographic Photography“ wendet sich gegen die gängige amerikanische Landschaftsfotografie der 1960er-Jahre, die Natur im Zustand romantisch verklärter Unberührtheit darstellt. Trotz allem folgen die Schwarzweißfotografien aus „Standard“ keiner fatalistischen Intention wie seinerzeit häufig kritisiert wurde. Im Gegenteil, die Arbeiten erwecken den Eindruck, Amerika sei das Land des eternal sunshine. Grell und perfekt leuchtet es einem entgegen, ganz egal ob Kalifornien, L.A. oder Las Vegas. Zeigen Wessels Bilder nun eine bessere oder schlechtere Welt als die seiner Vorgänger? Sie zeigen im Wesentlichen eine optimiertere, der Rest bleibt dem Betrachter selbst überlassen.

Henry Wessel: California, 1973, Fotografie © Henry Wessel

Henry Wessel: California, 1973, Fotografie © Henry Wessel.

So optimiert, perfekt und strahlend wie die Orte und Attribute aus „Standard“ sind auch die Protagonisten aus „Icons“. Braungebrannt und muskelbepackt blickt ein junger Mann durch die Gläser seiner dunklen Sonnenbrille frontal in die Kamera. Das toupierte Haar einer blonden Frau fällt in gleichmäßigen Wellen über ihre Schultern. Ein Mann mit Hut steht vor seinem weißen Holzhaus und spiegelt das gängige Bild wider, das vom Westen der USA besteht. Viele der menschlichen „Icons“ sind gesichtslos und dennoch oder gerade deswegen repräsentative Zeichen ihrer Zeit. Wessels Serie vermag neben der Abbildung sonnenverwöhnter Selbstoptimierer vor allem eine Idee des Lebens und Lebensgefühls des dokumentierten zeitlichen Rahmens zu evozieren.

Henry Wessel: Waikiki, 1978, Fotografie © Henry Wessel

Henry Wessel: Waikiki, 1978, Fotografie © Henry Wessel.

Wessels Motive wirken heute so romantisch verklärt wie die, von denen er sich einst abgewandt hat. Ein Cadillac im Schein einer Leuchtreklame, ein Parkplatz unter Palmen in Hollywood, vier Männer mit Playboy-Attitüde in Waikiki. Das Gefühl vergangener Aufbruchsstimmung ersetzt nunmehr Naturkitsch und Landschaftsnostalgie. Dennoch tut dies seinem Werk keinerlei Abbruch, denn was Henry Wessel zeigt, ist sein Bild der amerikanischen Gesellschaft in den 60er- und 70er-Jahren. Wie er das tut, mit dem Blick des teilnehmenden Beobachters, ist soziologisch wie künstlerisch relevant. Seine Arbeiten sind dabei subtil und aussagekräftig zugleich.

WANN: Die Ausstellung ist noch bis Freitag, den 01. Juli 2016 zu sehen.
WO: Stiftung Bayerisches Amerikahaus, Barer Straße 19 a, 80333 München.

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