Keine Privatsache
Die Schenkung Schröder in der Hamburger Kunsthalle

12. März 2025 • Text von

Wie entsteht eine Sammlungsidentität? Alexander Schröder fing bereits Mitte der 1990er-Jahre an, Kunst zu sammeln. Mit der Schenkung von über 70 Werken an die Galerie der Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle macht er einen Teil seiner Sammlung öffentlich.

Ausstellungsansichten Hamburger Kunsthalle 2024/2025, Fotos: Fred Dott. Hamburger Kunsthalle. Schenkung Alexander Schröder, 2024.

Direkt neben dem Eingang zur Ausstellungsfläche erstreckt sich ein großzügiges, mit Teppich bezogenes Holzpodest. An einer seiner Kanten steht eine hölzerne Skulptur. Ihre Oberfläche aus aneinandergereihten, spiegelnden Fliesen erinnert an eine Discokugel. Tom Burrs Installation “Floor” ruft Bilder von Versammlung und Gemeinschaft hervor, doch die dargestellte Tanzfläche bleibt letztlich leer. Die Arbeit, die heute in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle steht, entstand während der Amtszeit des damaligen New Yorker Bürgermeisters Rudy Giuliani. Dessen queerfeindliche Gentrifizierungspolitik unter dem Vorwand der Aids-Eindämmung führte Mitte der 1990er-Jahre zur Schließung zahlreicher queerer Clubs sowie zum Abriss öffentlicher Toiletten.

Etwa zeitgleich fing Alexander Schröder an, Kunst zu sammeln – damals noch als Student der Bildenden Kunst an der Universität der Künste Berlin (UDK). Geboren 1968 in Hamburg, war Schröder kurz nach der Wiedervereinigung nach Berlin gezogen. Dort gründete er während seines Studiums Mitte der 90er-Jahre gemeinsam mit Thilo Wermke die Galerie Neu. Mit seiner Arbeit an unterschiedlichen Ausstellungsformaten prägte Schröder die Kunstszene Berlins maßgeblich mit, unter anderem als einer der Organisatoren der Kunstmesse abc – art berlin contemporary sowie der Mitgründung des Berlin Gallery Weekends.

Ausstellungsansichten Hamburger Kunsthalle 2024/2025, Fotos: Fred Dott. Hamburger Kunsthalle. Schenkung Alexander Schröder, 2024.

Nach Schenkungen an das Museum Ludwig in Köln, dem Mumok in Wien und den Kunstverein Bremerhaven hat Schröder auch der Hamburger Kunsthalle Arbeiten überlassen – knapp 70 Werke von 25 Künstler*innen. Kuratiert von dem Sammler selbst sowie einer der beiden Leiter*innen des Hauses, Brigitte Kölle, sind diese aktuell im Rahmen der Ausstellung “IN.SIGHT” zu sehen. “Sammeln ist eine zutiefst private Angelegenheit”, schreibt der Autor Dominic Eichler im anlässlich der Schenkung publizierten Katalog. Schröders Sammlung, die Arbeiten von 1960 bis 2023 umfasst, zeichnet eine spezifische Lesart der Kunstgeschichte nach. Jede Kaufentscheidung spiegelt ein subjektives Empfinden der Gegenwart wider und formt so eine eigene Sammlungsidentität. Anhand der Werke lassen sich zentrale Themen erkennen, die die Sammlung prägen.

Ein Beispiel dafür ist die eingangs erwähnte Installation von Tom Burr, ein anderes die Fotocollage “A.T” des dänischen Künstlers Henrik Olesen. Sie behandelt die Geschichte des britischen Mathematikers Alan Turing, der durch die Entschlüsselung von Funksprüchen der Nationalsozialisten berühmt wurde. Olesens Werk zeigt ein Schwarz-Weiß-Porträt Turings mit streng gescheiteltem Haar, dichten Augenbrauen, karierter Krawatte und Wollblazer. Vor seinem Gesicht schwebt das Bild eines angebissenen Apfels – ein Verweis auf Turings Suizid. 1952 wurde er wegen seiner Homosexualität von einem britischen Gericht zur chemischen Kastration verurteilt. Laut Gerichtsmedizin führten die schwerwiegenden medizinischen Folgen dazu, dass er sich 1954 mit einem mit Zyankali versetzten Apfel das Leben nahm.

Ausstellungsansichten Hamburger Kunsthalle 2024/2025, Fotos: Fred Dott. Hamburger Kunsthalle. Schenkung Alexander Schröder, 2024.

Zentrale Themen bei Schröder sind unter anderem das Spannungsfeld zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, Stadtraum und Architektur sowie marginalisiertes, oft queeres Leben. Mit der Aufnahme von Werken wie Klara Lidén, Tom Burr, Manfred Pernice, Josephine Pryde oder Andreas Slominski werden außerdem auch Schwerpunkte fortgeführt, die Alexander Schröder bereits in seinem Programm als Galerist der Berliner Galerie Neu setzte.

Manfred Pernice lernte Schröder bereits während seines Studiums an der UDK kennen. Für die Skulptur “Stralau 1” nutze Pernice gefundene Materialien wie Holzplatten, Teppichreste und Zeitungsausschnitte und überführte diese in ein dreidimensionales Arrangement. Dieses Gebilde aus örtlichen und zeitlichen Referenzen funktioniert wie ein architektonisches Modell oder eine skizzenhafte Annäherung an die Geschichte der Halbinsel Stralau in Friedrichshain, einst ein Berliner Industrieviertel, das zeitweise auch von der Sexarbeit geprägt war.

Ausstellungsansichten Hamburger Kunsthalle 2024/2025, Fotos: Fred Dott. Hamburger Kunsthalle. Schenkung Alexander Schröder, 2024.

Pernices Arbeit verhandelt auf diese Weise Themen wie Stadtentwicklung, Raumstrukturen und soziale Dynamiken. Sie spiegelt auch das Berlin nach der Wende wider – eine Zeit des Umbruchs, in der auch Schröder in der Stadt lebte.

Während Pernice sich mit urbanen Strukturen auseinandersetzt, hinterfragt der französische Konzeptkünstler Philippe Thomas die Idee einer festen Identität. Für ihn war Identität weniger eine festgelegte Größe als vielmehr eine fortlaufende Erzählung. Seine Fotografie, die eine Whiskeyflasche, einen Aschenbecher und eine sorgfältig gestaltete Einladungskarte zeigt, erinnert an eine Szene aus einer New Yorker Agentur der 1990er Jahre. Mit seiner 1987 gegründeten fiktiven Agentur “readymades belong to anyone” stellte er die Autor*innenschaft von Kunstwerken infrage: Beim ersten Kauf eines seiner Werke wurde der*die Käufer*in offiziell als Autor*in des Werks eingetragen. So wird in diesem Fall der Werbedesigner Jay Chiat als Künstler der Arbeit geführt.

Ausstellungsansichten Hamburger Kunsthalle 2024/2025, Fotos: Fred Dott. Hamburger Kunsthalle. Schenkung Alexander Schröder, 2024.

Eine Sammlung loszulassen und zu übergeben, hat eine transformative Qualität für beide Seiten: Die Werke werden zum einen in einen größeren kunsthistorischen Kontext eingebettet und zum anderen gestalten sie eine Institution mit. So vervollständigt etwa die Übergabe der Fotografieserie “Martin Kippenberger, (Das Floß der Medusa), Wien” von Elfie Semotan die bereits bestehenden Bezüge zu Kippenberger innerhalb der Sammlung der Hamburger Kunsthalle.

In seinem Beitrag zum Ausstellungskatalog beschreibt der Hamburger Autor Hans-Christian Dany die vielfältigen Identitäten Alexander Schröders. Neben seinem Wirken als Sammler hebt er auch seine Rolle als Kurator, Berliner und Sohn hervor: Mit der Schenkung tritt Schröder in die Fußstapfen seiner Eltern, die der Kunsthalle ebenfalls Werke gestiftet haben. Ein Beispiel dafür ist die Malerei “Veneta” der polnischen Künstlerin Paulina Olowska. Sie stammt aus der Sammlung seiner Mutter Sylvia Schröder-Göcke und ist eines von drei zusätzlichen Werken, die die aktuelle Ausstellung ergänzen.

WANN: Die Ausstellung „IN.SIGHT“ läuft noch bis Sonntag, den 6. April.
WO: Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart, Glockengießerwall 5, 20095 Hamburg.

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