Das Museum wird zum Opernhaus Rirkrit Tiravanija im Haus der Kunst
8. Mai 2023 • Text von Julia Anna Wittmann
Passen bildende Kunst und Oper zusammen? Ja, und zwar sehr gut, wie man aktuell im Haus der Kunst sehen kann. Dort sind Arbeiten von Rirkrit Tiravanija als dezentrale Ausstellung im Museum verteilt. Neben einzelnen Installationen und Objekten hat der Künstler auch das Bühnenbild für Toshio Hosokawas Oper “Hanjo” entworfen. Die Besucher*innen erwartet ein gelungenes Zusammenspiel von Licht, Tanz, Gesang und Musik.
Tee trinken, ein Bier bestellen, Tischtennis spielen oder eben auch eine Oper besuchen – all das ist möglich beim Besuch der Ausstellung “Rirkrit Tiravanija”. Der Künstler zeigt neben humorvollen, interaktiven Installationen und Objekten auch ein ganzes Bühnenbild im Haus der Kunst. Dort ist aktuell Toshio Hosokawas Oper “Hanjo“ im Rahmen des “Ja, Mai”-Festivals der Bayerischen Staatsoper zu sehen.
In seiner künstlerischen Praxis legt Tiravanija einen Fokus auf soziales Engagement und Partizipation. Er lädt Besucher*innen dazu ein, sich irritieren zu lassen und seine Arbeiten zu aktivieren. Sein Bühnenbild zu “Hanjo” wird in diesem Fall von einem Opernensemble in Bewegung gebracht, die in der Verschmelzung von Gesang, Tanz, Musik und Licht ein atmosphärisches Gesamtkunstwerk kreieren.
Das beidseitig bedruckte Banner über dem Haupteingang verweist mit seinen zwei Schriftzügen “My Body is full of waiting/I wait for no thing” auf das, was die Besucher*innen der Oper erwartet. “Hanjo” wurde von dem Komponisten Toshio Hosokawa als Kammerspiel entwickelt, basierend auf dem gleichnamigen modernen Nō-Theaterstück von Yukio Mishima, der sich wiederum auf ein japanisches Drama aus dem 14. Jahrhundert bezieht. Das Nō-Theater ist eine traditionelle Form des japanischen Theaters, in der das Schauspiel von Tanz und Musik begleitet wird. Dem Regisseur und Choreographen Sidi Larbi Cherkaouis gelingt es in Zusammenarbeit mit dem Modedesigner Yuima Nakazato und dem Dirigenten Lothar Koenigs, eine zeitgenössische Interpretation des klassischen Stoffes zu zeigen.
Wiederkehrende Themen des Stücks sind Liebe, Macht und die verstreichende Zeit. Es handelt sich um eine tragische Liebesgeschichte zwischen Wahn, Traum und Wirklichkeit, in der die Geisha Hanako auf die Rückkehr ihres Geliebten Yoshio wartet. Während seiner Abwesenheit wird sie zur Muse einer älteren Künstlerin, die ihr Obhut gewährt. Das Warten wird schließlich zu ihrem Lebensinhalt und wichtiger, als Yoshio es selbst je war. Als er schließlich erscheint, erkennt Hanako den Geliebten nicht wieder. Letztendlich entscheidet sie sich gegen ihn und für ihre Retterin – ein queeres Happy End, wie man es in klassischen Opern nicht oft erlebt.
Mittig im Westsaal des Museums befindet sich die bewegliche Bühne auf Rollen, die transparent und leicht erhöht gestaltet wurde. Darauf platziert sind eine Staffelei, Leinwände und ein Stuhl aus demselben transparenten Material wie die Bühne selbst. Ein weißer Bonsai verweist auf das Motiv des Baums, das in klassischen Wandmalereien in Nō-Theaterhäusern zu finden ist. Ebenfalls typisch für das Genre des japanischen Nō-Theaters ist die Kombination von Tanz und Gesang.
Neben drei Opernsänger*innen sind acht Balletttänzer*innen Teil des Ensembles. Die Tänzer*innen bewegen sich fließend, nehmen fortlaufend unterschiedliche Rollen an und erweitern das Gesungene körperlich. Während der Aufführung ergänzen ein komplexes Lichtkonzept und der Einsatz von Live-Videoprojektion die Inszenierung im Haus der Kunst.
Das Bühnenbild wird nicht nur während der Opernaufführungen genutzt. Zusätzlich sind die Besucherinnen tagsüber eingeladen, an einer intimen Teezeremonie mit der japanischen Künstlerin Mai Ueda teilzunehmen. In einzelnen Sessions können Besucher*innen gemeinsam mit Ueda auf der erhöhten Bühne Tee trinken, während die übrigen wartenden zu Zuschauer*innen werden.
Neben dem Bühnenbild im Westsaal gibt es noch mehr Arbeiten von Rirkrit Tiravanija im Haus der Kunst zu entdecken. Die Arbeit “Tischtennis, untitled 2013 (morgen ist die frage)” im Terrassensaal besteht aus einer Serie von Tischtennisplatten. Schläger und Bälle liegen zur freien Verfügung daneben. Der Künstler verweist auf die “Ping Pong Society”, eine Idee des slowakischen Künstlers Július Koller aus den 1970er-Jahren.
Koller stellte damals ebenfalls Tischtennisplatten im Ausstellungsraum auf und forderte Besucher*innen zu einer aktiven Teilnahme auf. Die Bewegung des Körpers sollte die Menschen dazu motivieren, auch die Gedanken in Bewegung zu bringen und über aktuelle Themen der Gesellschaft und Politik nachzudenken. Tiravanijas Tischtennisplatten knüpfen daran an und zeigen den Schriftzug “morgen ist die frage”. Besucher*innen dürfen ihre passive Rolle ablegen und aktiv werden. Dabei kann man gleich noch mit anderen Besucher*innen ins Gespräch kommen, denn zum Tischtennis spielen muss man ja bekanntlich mindestens zu zweit sein.
Tiravanijas Installation “Barbetrieb, Angst essen Seele auf” fordert die Besucher*innen ebenfalls dazu auf, in Interaktion zu treten und Gedanken auszutauschen. Es handelt sich um das Remake einer Bar, die der Künstler 2017 ursprünglich für seine Neuverfilmung von Rainer Fassbinders Film “Angst essen Seele auf” gebaut hat. Dieses Remake wird nun von der Barkeeperin Barbara aktiviert, gespielt von dem österreichischen Schauspieler Florian Troebinger. Bei ihr können die Besucher*innen Bier, Cola und Gespräche bestellen – gratis!
Die Besucher*innen können zuerst eine Runde Tischtennis spielen und über die aktuelle Weltlage philosophieren, danach eine Cola an der Bar trinken und sich mit Barbara unterhalten, um anschließend einer Oper über die Liebe zu lauschen. Das abwechslungsreiche Angebot im Haus der Kunst bietet aktuell für jede*n etwas und zeigt, was Kunst alles kann.
WANN: Die Ausstellung “Rirkrit Tiravanija” läuft bis Montag, den 29. Mai.
WO: Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, 80538 München.