Kulturelle Stellvertreter Iman Issa im Kunstmuseum St. Gallen
12. März 2020 • Text von Benita Mutschler
Abstrahierte Kulturgeschichte aus Bronze, geschwärztem und bemaltem Holz, Kupfer oder korrodiertem und handpoliertem Stahl. Die Skulpturen und Installationen von Iman Issa laden ein, Konventionen kollektiver Wahrnehmungsvorgänge zu hinterfragen.
Die maskenartigen Gebilde scheinen zu schweben. Im ersten Saal der Ausstellung „Surrogates“ von Iman Issa im Kunstmuseum St. Gallen sieht sich der Besucher gleich mehreren Exemplaren gegenüber. Der Installation “Headshots of Three Film Extras, 2019” liegt laut Werkbeschreibung eine aus mehreren Kameraeinstellungen und Szenen collagierte Filmsequenz zugrunde. Die fiktiven Porträts von drei Komparsen wurden hierzu in eine dreidimensionale Vorlage umgewandelt und als 3D-Druck zu Gegenständen geformt. Obwohl sie nicht unmittelbar als menschliche Gesichter erkennbar sind, stellt sich ein seltsames Gefühl der Vertrautheit und Unmittelbarkeit gegenüber den Objekten ein. Die Installation spielt offenbar mit vorhandenen und kollektiv geprägten Assoziationsvorgängen.
Die Arbeit steht exemplarisch für die künstlerische Herangehensweise Issas. Durch die Bezugnahme auf historische sowie aktuelle mediale Quellen setzt die Künstlerin narrative Impulse, die für den Rezipienten aber nicht mehr vollends dechiffrierbar sind. Real existierende Objekte, die Iman Issa überall auf der Welt gesehen und fotografiert hat, werden Anlass für ihr eigenes künstlerisches Handeln. Die Inspirationsquellen werden einer abstrakten Formgebung unterzogen und in Skulpturen umgewandelt. Der tatsächliche Ursprung der Ausgangspunkte ist jedoch formal nicht mehr erkennbar.
Im ersten Moment stimuliert die Konfrontation mit den abstrakten Gebilden ästhetisch. Die Arbeiten bilden ein subtiles Gegengewicht zur eigenen Körperlichkeit. Wie selbstverständlich wendet man sich daraufhin den Werkbeschreibungen zu, die fein säuberlich an den Wänden der Kunsthalle angebracht sind. Die Schilder wurden jedoch nicht etwa zum Zwecke der Kunstvermittlung durch die Institution angebracht, sondern sind elementarer Bestandteil des jeweiligen Kunstwerkes. Auf die Benennung der Ausgangsobjekte hofft der Rezipient vergeblich. Ihm wird lediglich eine vage Begriffsumschreibung an die Hand gegeben.
Der Wandtext zu “Heritage Studies #33, 2019” lautet beispielsweise “Schwarzer Obelisk von Miaut, Irak. Bekannt für die Darstellung der historisch umstrittenen Verbeugung des Königs von Israel vor dem König von Assyrien. Sammlung des International Museum of World Arts und Culture, Schwarzer Alabaster, 97 x 300 cm, 825 v. Chr.”. Wesentliche Informationen wie die geografische Herkunft oder der kulturelle Kontext der Inspirationsquellen werden zwar genannt, die Titel jedoch ebenso wie die Skulpturvorlagen abstrahiert. Gerade weil der Betrachter aber informatorisch nicht mehr vollends auf den Hintergrund zurückgreifen kann, kommt er in den Genuss, sich allein auf die abstrakt-reduzierte Objekthaftigkeit der Kunstwerke zu konzentrieren.
Besonders deutlich wird diese Methode anhand der die Ausstellung dominierenden Serie „Heritage Studies“, aus der insgesamt 23 Arbeiten zu sehen sind. Grundlage für die Kunstwerke sind Artefakte, die aus Sicht der Künstlerin heute immer noch Bedeutung haben. Die Präsentation erfolgt teilweise auf dem Raumboden, daneben aber auch auf Sockeln und in Vitrinen, gleich ihren Ideengebern. Ebensogut könnte der Sockel aber auch Teil der Arbeit sein. Vor allem bei Werken wie „Heritage Studies #29, 2017“ oder „Heritage Studies #4, 2015“ sind die Übergänge zwischen reinem Darstellungsmittel und Skulptur fließend. Mit diesem künstlerischen Ansatz fordert Iman Issa unsere Erwartungshaltung an institutionelle Präsentation und Kunstvermittlung heraus.
Ein Beispiel, das diese Intention um ein weiteres Mal illustriert, ist die Arbeit „Book of Facts: A Proposition, 2017“. Damit wird dem Besucher scheinbar ein Ausstellungsverzeichnis zur Verfügung gestellt. Auf ein Neues erliegt er oder sie dem Irrtum, hier schließlich auf das wahre Archiv der Vorlagen zurückgreifen zu können. Das Buch ist aber nur Katalog für eine rein fiktive Kunstsammlung, das einer konkreten Dokumentation von Kunstwerken entbehrt. Die darin enthaltenen Texte weisen bezugsunabhängig auf Mythologien oder historische Ereignisse hin und die imaginären Abbildungen sind durch abstrakte Grafiken ersetzt. Erstaunlicherweise fungiert der Katalog in der durch unser kollektives Verständnis eines Museumsbesuches geprägten Verhaltensweise als solcher aber auf der Ebene seiner reinen Funktionalität.
Zudem weist die Künstlerin auch auf die Kontextualisierung von Objekten im Museum und deren Stilisierung zum Kulturgut hin. Damit will sie die kollektive Auseinandersetzung mit der Kunst-, Kultur- und Zeitgeschichte hinterfragen. Iman Issa präsentiert hierzu eine sowohl auf ästhetischer als auch inhaltlicher Ebene überzeugende künstlerische Position. Denn tatsächlich lassen sich mithilfe der Arbeiten Vorstellungen von Aneignung und Rezeption des kulturellen Erbes aktualisieren. Die Ausstellung besticht gerade dadurch, dass sie nicht nur zum Nachdenken anregt. Vielmehr werden immer wieder Situationen geschaffen, die aktiv zum Neudenken eingeschliffener Denkmuster auffordern.
WANN: Die Ausstellung “Surrogates” von Iman Issa ist noch bis Sonntag, den 9. August, zu sehen sein.
WO: Im Kunstmuseum St. Gallen, Musuemstraße 32, 9000 St. Gallen.
Dieser Artikel entstand in Kooperation mit dem Kunstmuseum St. Gallen.