Die Erfahrung der Wüste
Goutam Ghosh bei Tanya Leighton

7. August 2020 • Text von

Neuzugang in der Berliner Kunstszene: Mit seiner Ausstellung “Crust” gelingt Goutam Ghosh in der Galerie Tanya Leighton ein fulminantes Debüt. Vielseitige Materialien, starke Farben und einfache Formen bilden ein nuanciert-starkes Ensemble und machen Neugierde auf mehr.

Das Bild zeigt eine Ausstellungsansicht der Ausstellung "Crust" von Goutam Ghosh. Zu sehen sind zwei an der Wand hängende Arbeiten, sowie der Galerieraum zur Straße hin.

Goutam Ghosh, “Crust”, Installations-Ansicht. Courtesy of the artist and Tanya Leighton, Berlin. Photography: Gunter Lepkowski.

Der Eindruck, der sich bei Betreten der Galerie gibt, ist äußerst vielseitig: Holz, Leinwand, Seidenpapier, kleine Objekte aus Ton. Wände und Boden sind gleichermaßen okkupiert und bilden gleichsam eine Landschaft im Raum. Was allen Arbeiten gemeinsam ist: die gewisse “Rohheit” der Materialien. Das Holz ist unlackiert, die Leinwand ohne Rahmen an der Wand befestigt, im Ton sind die Spuren der Finger sichtbar. Naturerfahrung, oder eine gewisse Krustigkeit: “Crust” im Sinne eines nicht bearbeiteten, ungeschliffenen Zustandes.

Dennoch, oder gerade deshalb besitzen die Werke eine natürliche Eleganz und innere Harmonie. “Waee/Waai” an der zentralen Wand der Galerie zeigt Streifen und ein Dreieck in Magenta und Cyan-Blau auf reiner Leinwand. Darauf angesprochen bezeichnet der Künstler die Arbeit als Diagramm. Abstrakt und gewissermaßen prähistorisch mutet sie an. Die feine Auskalibrierung der Arbeit weist jedoch eindeutig Referenzen zum Mathematischen auf.

Das Bild zeigt ein Kunstwerk auf unbearbeiteter Leinwand. Die Darstellung besteht auf einem nach rechts ausgerichteten dunkelblauem Dreieck und einem darüber liegenden Rechteck aus Cyan-Blauen und Magenta-Roten Streifen.

Goutam Ghosh, “Ware/Waai”, 2020. Courtesy of the artist and Tanya Leighton, Berlin. Photography: Gunter Lepkowski.

Die Arbeiten seiner ersten Solo-Ausstellung in der Galerie Tanya Leighton basieren auf dem Aufenthalt Goutam Ghoshs im Rann von Kachchh, einer Grenzregion Indiens zu Pakistan. Das Gebiet ist eine temporär überflutete Salzwüste, geprägt durch eine Begrenztheit an Ressourcen und eine daraus resultierende minimalistische Lebensweise der dortigen Bewohner. Die Begrenzung der Materialien führe, so Ghosh, zu einer anderen Betrachtungsweise und einem Erfindungsreichtum, welche neue Möglichkeiten eröffneten. In seinen Arbeiten versuche er, die dort eigentümlichen Prozesse nachzuvollziehen und – wenn möglich – diese zu verstehen.

Der Minimalismus kommt neben den Farben auch in manchen Formen zum Ausdruck: Dreieck, Linie, Quadrat. Daneben Blumen, Sterne, und die organischen Spuren im Ton. Es ist, als habe die geometrische “Begrenzung” die Phantasie provoziert. Wüstenblume 2.0. Der Gegensatz zwischen den rohen Materialien und den kräftigen Farben – Rot, Magenta, Gelb, Cyan, Schwarz – unterstreicht diese Wirkung.

Das Bild zeigt sechs Objekte aus Ton. Ihre Form ist nicht genau bestimmbar, jedoch haben alle eine annähernd rechteckige Form. Die Objekte sind nicht lasiert und zum Teil sind Fingerspuren im Ton zu erkennen.

Goutam Ghosh, “Seven plates”, 2020. Courtesy of the artist and Tanya Leighton, Berlin. Photography: Gunter Lepkowski.

Eine Arbeit, welche auf Grund ihres Materials in der Ausstellung heraussticht, ist “Flamingo”. Der Glanz des Aluminiums bildet einen Gegensatz zu der Natürlichkeit des Holzes oder der Leinwand. Das intensive Rot, Blau, Gelb und Schwarz bilden eine – entfernte – Referenz zur Pop Art à la Lichtenstein. Grundlegend für eine Vielzahl der Arbeiten sei die Erfahrung der Auflösung der Horizontlinie, welche das Leben in der Wüste kennzeichne, sowie der Zustand der Illusion oder beinahen Bewusstlosigkeit, welcher sich bei Temperaturen von circa 50 Grad Celsius einstelle. Die Spiegelung des Aluminiums verweise auf dieses Nimbus-Stadium, gleichzeitig bildet sie eine Referenz zur Spiegelung des Himmels im Wasser, der Vertauschung von “oben und unten” und der so erzielten Auflösung des Horizontes.

Das Bild zeigt eine Ausstellungsansicht der Ausstellung "Crust" von Goutam Ghosh. Zu sehen sind zwei Werke, eine Arbeit auf Leinwand in überwiegend roter und schwarzer Farbe, sowie ein Quadratisches Objekt aus Holz, welches auf dem Boden steht.

Goutam Ghosh, “Crust”, Installations-Ansicht. Courtesy of the artist and Tanya Leighton, Berlin. Photography: Gunter Lepkowski.

Ähnlich auffallend ist die Arbeit “Pool”. Die Schwarze Fläche besteht aus Kohlepapier, welches auf dem Holz aufgetragen ist. Die darin eingearbeiteten Spuren und Zeichen besitzen ebenfalls etwas Archaisches. Für den Künstler bedeutet das Schwarz einen Dark oder Non-Space, einen Raum des Nicht-Wissens oder Nicht-Verstehens. Die Wüste, und mit ihr, ihre Bewohner, sprächen eine andere Sprache, hervorgegangen aus der grundlegend anderen Erfahrung ihrer Umgebung. Rational oder durch Worte sei diese nicht zu verstehen, es bedürfe der Farben, Formen und des Fühlens. Kurz: Der Kunst.

Das Bild zeigt ein Kunstwerk auf Aluminium. Die Darstellung ist nicht figurativ, unter anderem sind horizontale rote Streifen, gelbe und blaue Quadrate und verschiedene nicht-bestimmbare Formen zu sehen.

Goutam Ghosh, “Flamingo”, 2020. Courtesy of the artist and Tanya Leighton, Berlin. Photography: Gunter Lepkowski.

Die Rohheit der Materialien sei zum einen bedingt durch kulturelle Konnotationen. Auf der anderen Seite bilde sie einen Verweis auf die Alchemie, die Erweiterung und Aneignung der verschiedenen Stoffe, wie der Künstler sie in seinen Arbeiten vollziehe. Das Experiment ist gelungen: Trotz der Unterschiedlichkeit der Objekte und Werkstoffe ist die Ausstellung überaus stringent und offenbart eine höchst eigenständige Bildsprache und Verwendung – “Aneignung” – der Materialien.

Neben einer kleinen Fotografie ist ein Zitat angebracht:
“We are our own storytellers …
Intervowen and interrelated
Doors beyond doors beyond doors
The root of the root of the root
The ultimate Truth
The very meaning of the name “Sat Bai”.”

Das Bild zeigt eine Ausstellungsansicht der Ausstellung "Crust" von Goutam Ghosh. Zu sehen sind zwei Arbeiten, ein quadratisches Objekt aus Holz im Vordergrund sowie eine an der Wand hängende Arbeit in überwiegend schwarzer Farbe an der Stirnwand der Galerie im Hintergrund des Bildes.

Goutam Ghosh, “Crust”, Installations-Ansicht. Courtesy of the artist and Tanya Leighton, Berlin. Photography: Gunter Lepkowski.

Das Zitat stammt von einer einheimischen Mitarbeiterin Ghoshs, “Sat Bai” bezeichnet das Gebiet um die Salzwüste. Wie das Zitat selbst bleibt auch die Ausstellung letztlich ein Mysterium. Sie stellt eher Fragen als konkrete Antworten zu geben, beziehungsweise fordert dazu auf, die Antworten im Fühlen statt im rationalen Verständnis zu suchen. Die Wüste auf sich wirken lassen. “Understand through form an colour.”

WANN: Die Ausstellung „Crust“ ist noch bis zum 29. August zu besichtigen.
WO: Tanya Leighton GmbH, Kurfürstenstraße 156 & 24/25, 10785 Berlin.

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