Von Gold, Nudeln und Rosen
Raum-Zeitreise bei Efremidis

15. März 2021 • Text von

Applaus für die Kuration! Die Ausstellung “From Almora to Amrum” in der Galerie Efremidis verbindet Petersburger Hängung mit dem White Cube, klassische Moderne mit Future Vibes, und Lockdown Longing mit evidenter Materialität. Eine Galerieausstellung in Museumsqualität.

Das Bild zeigt eine Installationsansicht der Ausstellung "From Almora to Amrum" in der Galerie Efremidis, Berlin.
“From Almora to Amrum”, Installation-View, Efremidis, Berlin. Courtesy of Efremidis, Berlin.

Bei Betreten der Galerie: Bilder. Viele, groß, kleiner; bunt, monochrom; graphisch, abstrakt, figurativ. So divers wie die Anspielung im Titel der Ausstellung: From Almora to Amrum. Der Kurator Tenzing Barshee hat eine beeindruckende Vielfalt zusammengestellt, man könnte meinen, sie funktioniert nicht auf Grund zu vieler verschiedener Impressionen. Und doch: Sie funktioniert! Die Idee der Ausstellung begann mit einer kleinen Arbeit Alice Rahons, einer surrealistischen Künstlerin und Weggefährtin Frida Khalos. “Almora” zeigt die Ansicht der gleichnamigen Stadt im Himalaya. Das Ziel, das Bild für die Ausstellung nach Berlin zu bringen, ließ sich leider nicht realisieren. Eine auf den ersten Blick täuschend echte Reproduktion des Gemäldes markiert dennoch, unverblümt und leicht ironisch, den Beginn der Ausstellung.

Das Bild zeigt eine Installationsansicht der Ausstellung "From Almora to Amrum" in der Galerie Efremidis, Berlin.
“From Almora to Amrum”, Installation-View, Efremidis, Berlin. Courtesy of Efremidis, Berlin.

Auf der gegenüberliegenden Wand die zweite titelgebende Arbeit der Ausstellung: “Amrum vom Leuchtturm aus”, von HP Zimmer. Im Gegensatz zu Rahons Arbeit wirkt die Stadt-/Inselansicht Zimmers konkreter, geerdeter, was nicht zuletzt an den überwiegend erdigen Tönen des Gemäldes liegen mag. Dennoch verbindet die Arbeiten etwas Surreales, Verwirrendes, der Eindruck eines Labyrinths und ein Bildrhythmus nach oben. Mit ihren Entstehungsdaten 1943 und 1970 sind die Arbeiten in der Vor- bzw. Nachkriegsmoderne angesiedelt. Referenzen auf das – lange – 20. Jahrhundert ziehen sich wie ein Motiv durch die Ausstellung. Tony Just und Yves Klein; Michaela Eichwald und Paul Klee; Alexander Wolff und der abstrakte Surrealismus; Nikolas Gambaroff all over. Zeitgenössisch zeitlos beschreibt das Geschehen.

Kunstwerk der Künstlerin Heike-Karin Föll.
Heike-Karin Föll, “spoon noodle moon”, 2020-21. Courtesy of the artist and Campoli Presti.

Die linke Hälfte des Galerieraumes präsentiert eine Petersburger Hängung, ein Gefühl von Museum kommt auf. Die Bildinhalte zeigen jedoch keine Romantik des 19. Jahrhunderts, die Sitzbank ist mit trashigem Samt bezogen, anstelle von Leder. Welcome to the 21st Century. Eine gelungene Vision, Tradition und Neues zu verbinden. Die Motive sind äußerst divers, wie erwähnt vermeintlich dissonant. Und doch lassen sich die Arbeiten über verschiedene Elemente zueinander in Bezug setzen.

1. Figur: Viele der Werke zeigen menschliche Umrisse, Personen, wie beispielsweise jene Aura Rosenbergs oder Arthur Laidlaws; oder sie sind geprägt durch eben deren Absenz, wie bei Alexander Wolff oder Shirley Jaffe. Martin Dislers “Odysseus denkt an Ithaka” zeigt ein Zwischenstadium.

Das Bild zeigt eine Doppelansicht zweier Kunstwerke von Mitchell Anderson und Nico Ihlein.
Mitchell Anderson, “Rosebud (Vendémarie)”, 2020. Mitchell Anderson, Courtesy of the artist and Galerie Maria Bernheim. Nico Ihlein, “hands folded like falling stars pulling rose flowers behind the car park”, 2011. Courtesy of the artist and Schiefe Zähne.

2. Farbe: Alle Arbeiten sind geprägt durch starke, expressive Farben. Und durch das Faktum Farbe, im Sinne einer Struktur. Die Ausstellung mit ihrem Fokus auf Malerei erweist sich so als eindeutig zeitspezifisch: Nach vier Monaten kulturellem Lockdown, und gefühlt einem Jahr der digitalen Unterhaltung und Kunstrezeption bilden die deutliche Materialität der Arbeiten, das Sich Nähern Können, das potenziell Greifbare eine wahrliche Erlösung. Carlota Ibañez de Aldecoa Silvestre, eine Mitarbeiterin der Galerie, beschreibt, sie sei nach wie vor ungewöhnlich bewegt von den Arbeiten.

Das dritte Element ist die Form: Wellenlinien, oder Linien ohne Richtung scheinen die Arbeiten in der linken Galerieseite zu verbinden und tragen so zu einem Gefühl der Verwirrung und Undeutbarkeit bei. Die Ausstellung präsentiert sich als Rätsel und ist so eindrücklich aufregend. Das Unbekannte tritt aus allen Arbeiten hervor; und doch scheinen sie, hinter der Leinwand/ behind the scenes, magisch verbunden.

“From Almora to Amrum”, Installation-View, Efremidis, Berlin. Courtesy of Efremidis, Berlin.

Der rechte Galerieraum mimt den White Cube. Yves Klein, Georges Seurat, Ellsworth Kelly; aka: Tony Just, Heike-Karin Föll, und Mitchell Anderson. Heike-Karin Fölls “spoon noodle moon” von 2020-21, bildet einen Ausflug in den Pointillismus. Der Fokus auf Struktur und Haptik wird hier besonders deutlich; das Motiv lässt von Frühlingswiesen, Sommerabenden und China Town träumen. Der Titel könnte nicht eindeutiger 21. Jahrhundert sein.

Ebenfalls herausragend in Bezug auf seine Materialität ist Mitchell Andersons “Rosebud (Vendémiaire)” aus dem Jahr 2020. Von Weitem gleicht die Arbeit einer tief von Farbe durchzogener Leinwand. Bei naher Betrachtung erweist sie sich als dicke, gleichzeitig massive und fragile Wachsoberfläche. Die Stimmung der Ausstellung ist seltsam, nicht aufgesetzt fröhlich oder gewollt optimistisch, allerdings auch nicht gezielt dramatisch oder betrübt. Eher unbeeindruckt neutral. Und dabei voll Spannung.

Das Bild zeigt eine Doppelansicht zwei Kunstwerke von Sophie Reinhold und Tony Just.
Sophie Reinhold, “umtitle”, 2018. Courtesy of the artist and Contemporary Fines Arts Berlin. Tony Just, “Regret”, 2021. Courtesy of the artist and Efremidis.

Ein Merkmal, welches konstant in der Ausstellung hervortritt ist die Farbe Gold: Auf den Wänden befinden sich in Gold gedruckte Zitate Rahons und HP Zimmers; die Zeichnungen Aura Rosenbergs besitzen feine goldene Linien; Tony Justs Gemälde gleichen Wüstenausschnitten in Gold und Kupfer; Nico Ihleins “hands folded like falling stars pulling rose flowers behind the car park” glänzt, buchstäblich, durch seine gedrückte Goldfolie. Eine Referenz zum Goldgraben kommt auf. From Amrum to Almora – man bemerke den Gleichklang zwischen “Amrum” und “Aurum”, lateinisch für Gold – auf der Suche nach dem großen Fund. Für die Betrachterin ist die Ausstellung definitiv eine ideelle Goldgrube. Oder: Eine wahre Schatzkammer.

Schatzsucher*innen aufgepasst! Einen weiteren des Efremidis Ausstellungsprogramms findet ihr hier.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Dienstag, den 6. April. 
WO: Efremidis, Ernst-Reuter-Platz 2, 10587 Berlin.

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