Debatte und Hoffnung
"Fasahat" in der Galerie im Turm

30. Juli 2020 • Text von

Pergamonmuseum am Frankfurter Tor. Die Ausstellung “Fasahat. Weil es unsere Geschichte ist” thematisiert die Erfahrungen von Migranten in Deutschland und bringt diese in verschiedenen Formen und Medien zum Ausdruck. Basierend auf dem Kunstprojekt “Fasahat” werden jüngste Geschichte, aktuelle Debatte und mögliche Perspektiven erfahrbar.

Das Bild zeigt eine Ausstellung-Ansicht der Ausstellung "Fasahat". Zu sehen ist eine Nahansicht des in der Ausstellung befindlichen Nachbaus des Ishtar-Tors.

“Fasahat”, 2020, Ausstellungsansicht. Courtesy of Eric Tschernow and Galerie im Turm.

Beim Betreten der Galerie überwältigt ein Nachbau des Ischtar-Tors aus dem Berliner Pergamonmuseum. Auf den ersten Eindruck wirkt es täuschend echt, bei genauerer Betrachtung enttarnen die Materialien und eine sympathische Unbeholfenheit der Formen die Replik. Das Tor spannt sich quer durch den Raum und bildet damit Herz und Ankerpunkt der Ausstellung. Rechts davon ist eine Wand mit unzähligen Fotos tapeziert: Geschirr, Tassen, angerichtete Mahlzeiten, Zimmerausschnitte, manche vollgestopft, andere akurat. Stillleben persönlicher Gegenstände, deren Bedeutung nur der Besitzer*in bekannt ist. “Zuhause”, oder etwas Ähnliches.

Das Bild zeigt eine Ausstellung-Ansicht der Ausstellung "Fasahat". Zu sehen ist eine Installation in Form einer Sitzgruppe, dahinter ist eine Fotowand zu sehen.

“Fasahat”, 2020, Ausstellungsansicht. Courtesy of Eric Tschernow and Galerie im Turm.

Vor der Wand sind ein Tisch, zwei Stühle und ein Sofa aufgebaut. Neben dem Sofa steht ein weiterer Tisch, vollgestellt mit Geschirr und Töpfen. Die Sitzgruppe scheint der Bilderwand dahinter entnommen. Bei den Möbeln findet sich ein Paar Kopfhörer, daneben verschiedene Transkripte, “Erinnerungen der Wände. Fatima Abdo und Jihan Khello im Gespräch”. Die Audio-Spur ist in Arabisch, das transkribierte Interview schildert Erinnerungen und Erfahrungen der genannten Personen aus ihrer Zeit im AWO Refugium Berlin-Kladow. Die Bilder an der Wand werden unmittelbar mit Leben gefüllt und erhalten eine starke Stimme: “Wir als Geflüchtete wollen keine Fürsprache, wir wollen keine besondere Hilfe, wir wollen nichts von ihnen, außer Unterstützung für unsere kulturelle Arbeit und unsere Arbeit im Allgemeinen.”

Das Bild zeigt eine Ausstellung-Ansicht der Ausstellung "Fasahat". Zu sehen ist eine Vitrine, darüber hängen Zeichnungen und Briefe der Ausstellungsteilnehmer.

“Fasahat”, 2020, Ausstellungsansicht. Courtesy of Eric Tschernow and Galerie im Turm.

Zum Kontext: Das Projekt “Fasahat” bildet ein 2016 initiiertes partizipatorisches Kunstprojekt, in welchem Bewohner des AWO Refugiums in Berlin-Kladow in ihrer Unterkunft intervenierten. Ausgehend von einer kritischen Auseinandersetzung mit Objekten des Pergamonmuseums schufen sie sogenannte “Bildende Oasen” und “hybride Monumente”, in welchen sie ihre Gefühle und Erfahrungen adressierten. Das Projekt wurde von der Künstlerin Nahed Mansour ins Leben gerufen, welche ebenfalls die künstlerische Leitung der Ausstellung in der Galerie im Turm übernahm. In Zusammenarbeit mit Fatima Abdo, Raed Alhameed, Kifan Alkarjousli, Nagham Hamoush und Mohammad Rabee Alskif entstand eine Auswahl der während des Projektes erzeugten Arbeiten, welche einen eigenständigen Einblick in die verschiedenen Themenbereiche gibt.

Zum hinteren Teil des Raumes geht das angedeutete Zimmer weiter, ein Fernseher, darauf fünf Kerzenleuchter und eine Monster-Figur. Dahinter ein Schrank und ein Bett, Affen-Teddy inklusive. Die Bettwäsche passt nicht, alles wirkt irgendwie provisorisch. Gleichzeitig offenbaren die Anordnung und Reinlichkeit äußerste Sorgfalt, gleichsam einen Willen zur Ordnung und Harmonie. Neben dem Bett sind weitere Transkripte zu finden, “Wörter aus dem Wasser”, Briefe aus Syrien und dem Irak aus den Jahren 2016 bis 2018. Einige der Formulierungen gleichen Poesie: “An die für mich kostbarste Person, meine Schwester … die dem Morgen gleicht mit ihren goldenen Locken, … ihrer Sanftheit … die der Zwilling meiner Seele ist, die Freundin meines Altes, die gezwungen wurde, weit entfernt von mir zu leben.”

Das Bild zeigt eine Ausstellung-Ansicht der Ausstellung "Fasahat". Zu sehen ist eine verzierte Holzwand mit einer Vitrine an einem Ende. Die Vertäfelung steht vor einer roten Wand, es handelt sich um eine Installation.

“Fasahat”, 2020, Ausstellungsansicht. Courtesy of Eric Tschernow and Galerie im Turm.

Auf der linken Seite des Raumes führt eine kunstvoll verzierte Holzwand zu einer Vitrine. Erstere bildet eine Replik der Qasr Al Mschatta-Schlossfassade, einer weiteren Architektur im Pergamonmuseum, welche ebenfalls durch einen kolonialen Hintergrund nach Berlin gelangte. Die Vitrine ist gefüllt mit aus Pappe gebastelten Häusern. Es handelt es sich um Zeugnisse eines Workshops, in welchem Kinder die Häuser aus ihren Heimatländern nachbauten. Viel Rosa und Pink, Blumen und Bäume. Auf einem Turm mit Zinnbalustrade laufen Hühner auf dem Dach. In einem Voiceover ergänzen die Stimmen der Kinder das Gesehene.

Das Bild zeigt eine Ausstellung-Ansicht der Ausstellung "Fasahat". Zu sehen ist die Rückwand des nachgebauten Ishtar-Tors in blauer Farbe mit Zitaten darauf gedruckt.

“Fasahat”, 2020, Ausstellungsansicht. Courtesy of Eric Tschernow and Galerie im Turm.

Hinter dem Ischtar-Tor, an der Rückwand des Raumes, sind drei Bildschirme angebracht. In verschiedenen Formaten kommen hier die Themen der Ausstellung – Ankommen, Aneignen, Umgestalten, Bewahren – Rauben, Kolonialismus – erneut, dieses Mal “live” zum Ausdruck. Auf der Rückwand und den Seiten des nachgebauten Ischtar-Tors finden sich Zitate von Teilnehmern des Projektes “Fasahat” zum Monument und seiner Herkunftsgeschichte. Dank über die Bewahrung trifft auf Schock über den einstigen Raub. Die Stimmen sind vielseitig und nicht letztlich festgelegt, wie auch die Ausstellung selbst. Trotz ihrer unaufgeregten Form sind beide stark und bestimmt.

Das Bild zeigt eine Ausstellung-Ansicht der Ausstellung "Fasahat". Zu sehen ist eine Nachbildung des Ishtar-Tor mit drei Bildschirmen im Hintergrund. Das Tor hat eine kräftige blaue Farbe.

“Fasahat”, 2020, Ausstellungsansicht. Courtesy of Eric Tschernow and Galerie im Turm.

Die Ausstellung ist weder laut noch bunt. Auch die Beschreibungen “fancy” oder “hip” treffen es nicht ganz. Inhalte und Präsentation sind ernsthaft, und bei eingehender Beschäftigung und Offenheit, tief berührend. “Fasahat” bedeutet im Arabischen “einen neuen Raum schaffen, der Hoffnung verspricht”. Ausstellung und Ort bieten einen solchen Raum, und damit eine Möglichkeit für neue Perspektiven und Debatte(n).

WANN: Die Ausstellung “Fasahat” ist noch bis zum 6. September zu besichtigen.
WO: Galerie im Turm, Frankfurter Tor 1, 10243 Berlin.

Am Mittwoch, den 19. August findet um 18 Uhr ein Künstlergespräch statt. Am Freitag, den 4. September um 18 Uhr erfolgt eine Performance des Künstlers Nagham Hamoush.

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