Relevating the art world
Eva Karl über die Zukunft der Kunstinstitution

19. Oktober 2020 • Text von

Ein diverses Team, ein offenes, diskurs-freudiges Haus, ein breites Publikum – das ist der Traum jeder Kunstinstitution und die “relevante” Zukunft, die sich auch Eva Karl wünscht. Aber wo anfangen mit dieser Vision? (Text: Clara Tang)

Screenshot relevator.org
relevator.org (c) Eva Karl.

Mit ihrem Webseitenprojekt, dem sogenannten Relevator, denkt sich die Grafikdesignerin und Kunsthistorikerin in spe in mögliche Zukünfte des Kunstbetriebs hinein und stellt die wichtigen Fragen, deren Antworten die Kunstinstitutionen von morgen ausmachen werden. Wie fair kann eine Institution sein, die Diversität jeglicher Art im eigenen Team nicht aktiv fördert? Welche Zielgruppen sollte ein Museum der Gegenwart wirklich ansprechen? Eva Karl macht sich für diese Denkprozesse in Institutionen mit ihrer digitalen Plattform und im direkten Austausch mit User*innen auf kollaborativen Webseiten stark – mit etwas Skepsis, einer gesunden Portion Optimismus und viel Sinn für Humor.

gallerytalk.net: Liebe Eva, kannst du einmal vorstellen, wie du die Webseite relevator.org entwickelt hast? Welche Ideen stecken dahinter?
Eva Karl: Inspiriert wurde ich vom interdisziplinären Kurs “Creating Emerging Futures” an der Humboldt-Universität – hier konnten wir uns mit Zukunftsforscher*innen, Museumsdirektor*innen und erfahrenen Akteur*innen des internationalen Kulturbetriebs austauschen und vor allem selbst über die Gestaltung von Zukünften – ja, im Plural! – nachdenken. Wir haben Parameter herauskristallisiert, anhand derer Zukunftsfähigkeit gemessen werden kann: Für wen werden Ausstellungen gemacht? Welche Künstler*innen werden über- oder unterrepräsentiert? Und wie sieht die Teamzusammenstellung in der Institution selbst aus? Das alles sind ja aktive Entscheidungsprozesse, Kultur “passiert” nicht einfach.

Die Kunsthistorikerin in Spe Eva Karl.
Eva Karl (c) Frances Albani.

Und aus diesen Diskussionen ist der Revelator entstanden?
Meine eigenen kritischen Denkprozesse wollte ich humorvoll zu etwas Nutzbarem umwandeln. Der Relevator ist eine Art digitales Workbook, das Entscheider*innen und Mitarbeiter*innen helfen kann, ihre Institution auf mehr Relevanz hin auszurichten. Das klingt hier erstmal schrecklich abstrakt. Es wird aber innerhalb kürzester Zeit auf der Seite klar, was gemeint ist, wenn unter „Start!“ die Bereiche „Key Elements“, „Action Plan“, „Curation Strategies“, „Dos & Don’ts“ sowie hilfreiche „Zitate“ bereitstehen.

Welche Denkprozesse fehlen dir denn beispielsweise in deutschen Institutionen?
Die Antwort auf diese Frage ist im Relevator umgedreht: Kultur wird ja nicht in einem Vakuum produziert und unhinterfragt ausgestellt, sondern ist immer in den kulturellen Rahmen und die damit zusammenhängende Bewertung ihrer jeweiligen Zeit eingebettet. Für irgendjemanden muss die ausgestellte Kunst eine bestimmte Bedeutung haben, in anderen Worten: Relevanz. Deshalb ist mit der Frage nach Relevanz auch die Frage des “Für wen?” eng verknüpft.

Screenshot relevator.org: der "Art User".
relevator.org (c) Eva Karl

Wer ist denn dir User oder “Art User”, der diese Relevanz schätzt?
Mit dem „Art User“ wird anhand einer möglichen Zielgruppe veranschaulicht, welche Erwartungen in der nahen bis fernen Zukunft besonders wichtig sein können – zu seinen Werten zählen zum Beispiel Diversität, Freiheit, Bildung, Vielseitigkeit, Vernetzung und Individualität. Diese hochtrabenden Begriffe werden anhand exemplarischer Ich-Aussagen konkret, denn beim Relevator soll es um ein direktes Gegenüber gehen – um einen Dialog, der nicht nur Personen wie mich als angehende Kunsthistorikerin anspricht, sondern eben eine viel breitere, jüngere Zielgruppe, die längst einen hybriden Lebensstil pflegt und auch an Ausstellungen bestimmte Erwartungen hat.

Gesprächsbereitschaft und thematische Vielseitigkeit sind wichtige Elemente an Museen und anderen Kunstinstitutionen. Wie kann dieser Dialog “relevanter” werden, also auch eine breite Zielgruppe abholen?
Diskurse, zum Beispiel über Postkolonialismus oder Feminismus, werden meist auf Metaebene geführt. Ich würde es begrüßen, wenn der Diskurs bereits im eigenen Haus beginnt: Wie divers ist das eigene Team? Das bezieht sich auf Diversität in allen Dimensionen, also auch auf die Profession. Wie wäre es, wenn ein Ausstellungsteam neben der üblichen Kunst-Expertise auch – je nach Ausstellungsthema – Mediziner*innen, Köch*innen, Programmierer*innen versammelt? Ich denke, je mehr Perspektiven zu einem Thema an einem Tisch versammelt sind, desto wertvoller kann der Output sein. Dass das nicht so einfach ist, ist mir klar. Aber wo kann man konkret anfangen, wie kann man sich vernetzen und ehrlich austauschen? Dabei hilft der Relevator.

relevator.org (c) Eva Karl

Führt der Weg durch deinen Fragebogen am Ende zu einem Ziel – einem besseren, fairen, diversen Betrieb, oder geht es hier um einen abstrakten Denkanstoß? Was erhoffst du dir mit diesem Projekt?
Es ist am Ende das, was man draus macht! Der Twist im Projekt ist, dass keine Antworten vorgegeben, sondern einige unbequeme Fragen gestellt werden: Der Relevator inszeniert sich nicht als bewertende Instanz, sondern als transformierendes Gegenüber, als Work in Progress für die Personen, die bereit sind, sich darauf einzulassen. Es ist eine Plattform unterschiedlicher Ressourcen, wobei ich es als essenziell ansehe, dass weitere Personen ihren Input geben. Deshalb habe ich auf der kollaborativen Plattform Notion bereits eine offene Seite dafür angelegt.

Ist dieser Austausch und das Format einer Online-Plattform wichtig für deinen Relevanz-Appell?
Relevanz oder Zukünfte sind keine fixen Konzepte, sondern ständiger Veränderung unterworfen. Deshalb darf und soll der Relevator mit den Beiträgen möglichst vieler Leute auch aus unterschiedlichen Disziplinen weiterwachsen. Ich finde es konsequent, dass das Projekt als Website mit offenen Kollaborationsseiten und dem „Art User“ als reale Zielgruppe digital und damit zeitlich und geografisch unabhängig zugänglich ist. Für einen möglichst internationalen Austausch habe ich Englisch als Sprache gewählt. Die Medien, die wir nutzen, sagen viel über unsere Bereitschaft zu Dialog und unser Selbstverständnis aus. One-way Communication wäre für „Art User“ nicht so relevant.

Screenshot relevator.org. Eine Autobahn gen Relevanz.
relevator.org (c) Eva Karl

Auch du bist Teil des Kunstbetriebs – als “member of the cultural landscape” oder “Art User”. Was erwartest du von den nächsten Jahren, wenn du dir Proteste gegen und Umbrüche in Museen heute anschaust?
Als Teil des Kunstbetriebs bin ich gespannt, inwiefern sich der kulturelle Sektor auch in Zukunft als attraktiver Arbeitgeber behaupten wird, denn die Ansprüche und Erwartungen an die Arbeit verändern sich rasant. Das geht natürlich gleichzeitig mit der Frage nach dem Wert von Kultur und Finanzierungsquellen für Institutionen einher, die Thematik ist wirklich komplex.

Hast du schon konkrete positive Veränderungen an Institutionen bemerkt?
Im September wurde bekannt, dass ein Museum in New York seine einzige Arbeit von Jackson Pollock verkauft, um den Erlös in Werke von unterrepräsentierten Künstler*innen zu investieren. Das finde ich einen interessanten Ansatz – ohne zu fordern, dass nun alle Institutionen so vorgehen müssen. Er zeigt, dass der Platz für Kunstwerke in Institutionen und auch die Kunstgeschichte selbst nicht in Stein gemeißelt, sondern aus einer engen Wechselwirkung mit den kulturellen Bedingungen der jeweiligen Zeit entsteht. Ein weiteres interessantes und vielseitiges Projekt ist auch nextmuseum.io, wo mittels Ko-Kuration und Ko-Kreation das Museum der Zukunft verhandelt wird. Ich werde weiter gespannt beobachten, wohin diese Entwicklung führt.

Schaut euch den Relevator doch mal an unter www.relevator.org.