Vielleicht rettest Du mich
Im Gespräch mit Rebekka Benzenberg

15. April 2021 • Text von

Bereits in früheren Arbeiten ließ Rebekka Benzenberg gebleichte Pelzmäntel zum Symbol für Subversion kapitalisierter Schönheitsideale werden. Für ihre Einzelausstellung „too much future“ in der Galerie Anton Janizewski führt Benzenberg die Auseinandersetzung mit dem Material fort. Mit uns spricht sie über den rebellischen Impetus ihrer Arbeiten und das Potenzial von Pop-Kultur.

Installationsansicht, Rebekka Benzenberg, too much future, Galerie Anton Janizewski, 2021. Courtesy die Künstlerin und Galerie Anton Janizewski, Foto: Sascha Herrmann.

gallerytalk.net: In der Galerie Anton Janizewski hast Du mehrere Pelzmäntel als eine riesige Collage auf der Wand angeordnet. In großen Buchstaben prangt mit dem gleichen Bleichmittel, mit dem auch Haare blondiert werden, der Titel der Arbeit und gleichzeitig der Ausstellung „too much future“ auf dem Material. Sowohl das Bleichmittel als auch der Pelz tauchten bereits in früheren Arbeiten von Dir auf. Wofür stehen diese Materialien in Deiner Praxis? 
Rebekka Benzenberg: In meiner Arbeit spiele ich mit dem Status- und Machtobjekt Pelz, das für etwas Luxuriöses steht, aber auf eine zeitgenössische Art und Weise auch für eine klischeehafte Weiblichkeit. Pelz ist ein Material, das sich im Wandel befindet. Durch Tierschützer*innen und Aktivist*innen wandelt sich die Sicht darauf zu etwas Grausamem und Toten, das dem Leben entgegensteht. Ebenso wie sein Status sind auch die Werte, für die er steht, im Wandel. In der Geschichte des Pelzes änderte sich das Geschlecht, das ihn trägt, ständig, aber das Image ist immer noch mit Prestige, Macht und Status verbunden.  Das Bleichen des Pelzes verweist auf die Kapitalisierung der westlichen weiblichen Schönheitsindustrie.

Und der Slogan?
Der Slogan „too much future“ kann in verschiedenen Zusammenhängen gelesen werden, ist darüber hinaus aber auch ein Zitat der Punkkultur der DDR. In meiner kommenden Ausstellung im GOLD+BETON wird beispielsweise gar kein Pelz gezeigt. Dafür aber der Speaker, den ich mit „actually I’m not like that 2“ bei der Absolvent*innenausstellung der Kunstakademie Düsseldorf und auch mit “too much future” habe kommunizieren lassen. 

Installationsansicht, Rebekka Benzenberg, Abschlusspräsentation, Kunstakademie Düsseldorf, 2020. Courtesy die Künstlerin, Foto: Moritz Krauth.

Indem Du das Material Pelz selbst benutzt, wird es zu etwas Subversivem. Es kommt mir wie eine Art rebellischer Akt vor, wenn Du es und seine gewünschte perfekte Ästhetik mit dem Bleichmittel quasi zerstörst. Wenn Du die Lautsprecher ansprichst, die auch präsent, laut und irgendwie unnachgiebig wirken, denke ich darüber nach, wie Du Dich selbst positionierst bzw. in welcher Rolle Du Dich selbst als Künstlerin und gleichzeitig Teil der westlichen Gesellschaft reflektierst?
Das Zerstören dieses exklusiven Materials und somit seiner Wirkung ist für mich ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Ich finde, dass alle eine Verantwortung haben, sich zu positionieren. Nicht zwangsweise in der künstlerischen Arbeit, aber allgemein sollte man die eigene Position reflektieren. Auch wenn es unangenehm sein kann, muss auch ich mich damit auseinandersetzen, dass ich ziemlich privilegiert bin durch Dinge wie ein kostenloses Schulsystem oder die Chance eine verhältnismäßig günstige Ausbildung zu bekommen. Nicht zuletzt dadurch überhaupt die Zeit und das Forum zu haben, mich künstlerisch auszudrücken. In meiner Arbeit versuche ich, neben meiner feministischen Haltung, unter anderem auch diese Aspekte einfließen zu lassen. Man könnte das Weiterverarbeiten des Pelzes beispielsweise als „Upcycling“ verstehen und als Statement.

Ich finde, dass Deine Arbeiten diese Reflektion und Weiterverarbeitung des Pelzes clever kommunizieren. Ich habe auch über die Gegenüberstellung des exklusiven Materials zu den eher billigen und synthetischen blonden Haarsträhnen in der Arbeit “never look back” nachgedacht. Wie hängt die Konfrontation mit den jeweiligen Slogans “too much future” und “never look back” zusammen? Ist es ein Versuch das “Jetzt” festzuhalten, indem du einerseits die Überwältigung der Zukunft und andererseits die Furcht vor dem Zurückblicken thematisierst?
Das ist eine schöne Beobachtung von dir. Die Zitate sind ebenso wie der Sound impulsiv gewählt. Es handelt sich in beiden Fällen um Zitate aus der Popkultur, die mit einem biographischen Lebensgefühl zu tun haben und die Arbeiten für die Betrachter*innen öffnen sollen. Popkultur ist durch den Mainstream meistens inklusiv und meistens haben die Leute einen eigenen Zugang dazu.  Mir war es wichtig, dass die Betrachter*innen sich zwischen den beiden Zitaten bewegen, um das Gefühl einer Zerrissenheit zu verdeutlichen. Also ja, es ist ein Versuch das „Jetzt“ festzuhalten.  Das künstliche Haar ist aus ähnlichem Material wie künstliche Nägel und man findet beides oft in Beauty Salons. Ich selbst bin als Teenagerin mit solchen Codes rumgelaufen. Diese Codes hat man früher oft in sozial schwächeren Milieus gefunden. Dem Material wohnt für mich eine starke Kampfeshaltung und ein „Empowerment“ inne und ich habe es für die Arbeit auf Taubendraht drapiert. Jemand meinte einmal zu mir als Reaktion auf die Arbeit: „Tauben sind die letzten Punks der Stadt“. Das gefiel mir sehr gut. 

Installationsansicht, Rebekka Benzenberg, too much future, Galerie Anton Janizewski, 2021. Courtesy die Künstlerin und Galerie Anton Janizewski, Foto: Sascha Herrmann. / Installationsansicht, Rebekka Benzenberg, Abschlusspräsentation, Kunstakademie Düsseldorf, 2020. Courtesy die Künstlerin, Foto: Moritz Krauth.

Ich erinnere mich gerade auch, dass für den Sound auch verschiedene Schnipsel aus popkulturellen Songs der letzten Jahre gewählt sind, oder? 
Genau, der Sound besteht aus Zitaten der Pop-Musik der 90er bis in die Gegenwart und nimmt bei meiner Abschlussarbeit und der Arbeit für die Ausstellung im GOLD+BETON eine sehr wichtige Rolle ein. In einer abgespeckten Mini-Version ist er auch in der Galerie Anton Janizewski zu hören. Bei der Soundarbeit handelt es sich um eine Kollaboration von Sebastian Welicki, Leonard Horres und mir. Die Grundidee des Aufbaus ist es, ein Narrativ zu inszenieren, ähnlich wie bei einem DJ-Set. Angelehnt an eines der zurzeit kommerziell erfolgreichsten Konzepte von DJ-Sets in der EDM-Szene geht es nicht darum, einen langen Spannungsbogen zu ziehen, sondern eher darum, einen populären Song kurz anzuspielen bis er wirkt und dann direkt in die nächste Stimmung überzugehen. Unser Ziel mit diesem Aufbau ist nicht (wie bei EDM) die Stimmung im Publikum anzuheizen, sondern die Musik konsumierbar zu machen. Dabei haben wir versucht Songs zu wählen, die mit einem bestimmten Lebensgefühl verknüpft sind. Die Songauswahl geht von selbst komponierten, dekonstruierten Coverversionen bis hin zu Techno-Soundtracks aus Blockbustern und Evergreens aus dem Mainstream.

Wie zum Beispiel?
„Memories“ von Kid Cudi und David Guetta von 2011 ist beispielsweise einerseits ein Partyhit, löst jedoch gleichzeitig ein beklemmendes Gefühl aus und kann schließlich beim Abspielen einer A cappella-Version eine eindeutig depressive Stimmung hinterlassen. Ein Phänomen, das es in der Pop-Kultur schon immer gab, aber nun in der Eindeutigkeit und Reichweite seinen Zenit im Mainstream hat. Es geht dabei nicht um die Wertung eines Lebensgefühls, sondern eher um ein mögliches Identifikationspotential, welches abgelehnt oder angenommen werden kann, aber immer eine Positionierung mit sich bringt.

Installationsansicht, Rebekka Benzenberg, too much future, Galerie Anton Janizewski, 2021. Courtesy die Künstlerin und Galerie Anton Janizewski, Foto: Sascha Herrmann.

Nochmal zurück zu dem Taubendraht: Wird diese Kampfeshaltung, von der Du sprichst, durch den Taubendraht unterstrichen? Dieser ist spitz und könnte als Verteidigung dieses Lebensgefühls interpretiert werden oder als eine Art des zur Wehr Setzens und Rebellion. Siehst Du das auch so oder implizierst Du mit dem Taubendraht eher einen Verweis auf etwas “Bürgerliches”?
Deine Interpretation gefällt mir sehr und so habe ich das nie gesehen. Taubendraht steht für mich tatsächlich eher für eine Verteidigungsstrategie des wohlhabenden Milieus. Ähnlich wie Architektur, die versucht Obdachlose zu vertreiben. Zum Beispiel Parkbänke, die so gestaltet sind, dass es unmöglich wird auf ihnen zu schlafen. Der Taubendraht steht hier symbolisch für die Verdrängung sozial schwächerer Milieus aus wohl situierten Stadtgebieten. Auch Nagelstudios und Wettcasinos findet man fast gar nicht in reichen Stadtteilen. Aber du hast Recht! Ich eigne mir das Material Taubendraht wirklich auch an und es wird so zum Symbol einer Kampfeshaltung.

Ich finde es super, wie du verschiedene Lebensgefühle aufgreifst und so viele Möglichkeiten der Identifikation schaffst. Zum Sound im GOLD+BETON: Ist es der gleiche wie bei der Absolvent*innenausstellung oder nur das gleiche Prinzip, wie du es gerade beschrieben hast? 
Zwischen dem eigentlichen Abschluss an der Kunstakademie und der Ausstellung im K21 hat sich viel am Sound getan. Nur leider war es durch Corona erst sehr spät möglich, die Ausstellung zu besuchen. Deswegen habe ich mich entschieden die Tonspur beizubehalten. Der Fokus liegt allerdings auch hier nicht nur auf dem Sound, sondern kommuniziert mit Textarbeiten, die ich zurzeit entwickle.

Installationsansicht, Rebekka Benzenberg, too much future, Galerie Anton Janizewski, 2021. Courtesy die Künstlerin und Galerie Anton Janizewski, Foto: Sascha Herrmann.

Werden die Textarbeiten eine Weiterentwicklung der Textfragmente sein, über die wir eben schon gesprochen haben? Der Titel der Ausstellung „maybe you save me” (den ich übrigens liebe) im GOLD+BETON taucht schon bei einer Arbeit in der Galerie Anton Janizewski auf.
Ich nehme wieder Fragmente aus vorherigen Arbeiten zu der neuen Ausstellung mit, weil meine Arbeiten für mich fast nie abgeschlossen sind. Es sind immer Zwischenstände aus einem Prozess. Ich arbeite mit Materialen teilweise über Jahre, bis ich sie mir komplett angeeignet habe und ich sie als „mein“ Material begreife. Genauso ist das auch bei den Zitaten. Im GOLD+BETON werde ich den Slogan „maybe you save me” wie einen Untertitel in das Schaufenster setzen und dabei den Sound via Lautsprecher laufen lassen. Wegen Corona bleibt es unsicher, ob der Ausstellungsraum offen sein kann. Deshalb habe ich die Arbeiten so konzipiert, dass man sie erfassen kann, ohne den Raum betreten zu müssen. Es freut mich sehr, dass dir der Titel so gefällt!

Deine Praxis ist also eine Art Bestandsaufnahme des Moments oder des Prozesses. Ein bisschen wie der Versuch das „Jetzt” zu fassen. Ich freue mich auf das Projekt im GOLD+BETON! 
Ja genau! Lustigerweise passt “maybe you save me” auch gerade zu der aktuellen Situation der Ausstellungsräume am Ebertplatz.

WANN: Die Ausstellung “too much future” in der Galerie Anton Janizewski läuft noch bis Samstag, den 8. Mai. Die Ausstellung “maybe you save me” im GOLD+BETON eröffnet am Freitag, den 16. April.
WO: Galerie Anton Janizewski, Goethestraße 69, 10625 Berlin und GOLD+BETON, Ebertplatz 3, 50668 Köln.

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